Thema: widerstand

40 Jahre Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg

Die Befürchtung, dass in Langendorf ein Atomkraftwerk gebaut werden könnte, brachte 1974 Menschen zusammen, die gegen diese Pläne kämpfen wollten. Daraus wurde eine der größten Anti-Atom-Initiativen in Deutschland: die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg. Am Samstag feierte sie ihren 40. Geburtstag.

Im März 1977 gründete sich die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg. Seitdem schrieb diese Bürgerbewegung Geschichte. Seit nunmehr 40 Jahren kämpft die Initiative gegen einen Atommüll-Standort Gorleben. Lehrer, Hausfrauen, Bauern, Adlige, Künstler und Philosophen - sprich: unterschiedlichste BürgerInnen der Region - bilden den Boden für die vielfältigen, hartnäckigen aber auch witzigen Protestaktionen der vergangenen Jahrzehnte. Inzwischen sind es auch Kinder und Kindeskinder die in die Fußstapfen der "Ur"-Protestler getreten sind.

Der größte Erfolg ist wohl, dass bis heute nicht ein Gramm Atommüll im Salzstock Gorleben eingelagert worden ist - wenn auch im Zwischenlager über 100 Transportbehälter mit hochradioaktivem Abfall auf ihre Einlagerung warten. Und auch das "Nukleare Entsorgungszentrum" wurde am 16. Mai 1979 von dem damaligen Niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht mit der Begründung "politisch nicht durchsetzbar" aufgegeben.

Zuvor war im März des Jahres der legendäre "Hannover-Treck" aus dem Wendland nach Hannover gezogen, wo die Treckerdemo in einer Kundgebung endete, an der rund 100 000 Menschen teilnahmen.

DIE ANFÄNGE

Ende 1973 wurde im Wendland bekannt, dass die Landesregierung den Plan verfolgte, bei Langendorf an der Elbe ein Atomkraftwerk zu errichten. "Atomkraftwerk Langendorf ? das heißt Radioaktivität, verseuchtes Wasser, verseuchte Luft, verödeter Boden, vergiftete Menschen, verkrüppelte Kinder, ANGST." Diese Anzeige in der Elbe-Jeetzel-Zeitung schockierte Ende 1973 so sehr, dass aus der Handvoll BürgerInnen, Künstler und Philosophen, die sich zum Protest zusammgefunden hatten, schnell über 1000 wurden.

Der Druck der damals noch nicht als Verein organisierten Bürgerinitiative wurde so groß, dass der Gemeinderat Langendorf die Abstimmung über den Flächennutzungsplan (in dem der Bau eines AKW vorgesehen war) immer wieder vertagte - bis die Preußen Elektra ihr Vorhaben aufgab.

Doch schon tauchte ein neues Schreckgespenst am Horizont auf: die Pläne Niedersachsens, ein Nukleares Entsorgungszentrum einrichten zu wollen. Bis zum 22. Februar 1977, dem Tag der Standortbenennung Gorlebens, ahnte niemand, dass es Gorleben sein würde, wo die ehrgeizigen Pläne von Atomindustrie und Niedersächsischer Landesregierung umgesetzt werden sollten.

"Sowohl Bund und Land spekulierten darauf, dass in diesem, bisher überwiegend konservativ eingestellten Landkreis, kein nennenswerter Widerstand zu erwarten sei," erinnert sich Rebecca Harms. Zumal der Landkreis als eine der ärmsten Regionen Deutschlands galt. Die Tatsache, dass Lüchow-Dannenberg den nordöstlichen Zipfel Niedersachsens bildete, spielte bei der Entscheidung wohl auch eine Rolle - auch die NATO hatte festgelegt, dass dieser Zipfel im Kriegsfalle nicht verteidigt werden sollte (Zitat: SPIEGEL 6/74. "Stadtflucht der Dichter" ).

Doch die Protestgruppen, die sich schon gegen das AKW Langendorf organisiert hatten, waren wachsam geblieben. So dauerte es nicht lange, bis es im Wendland zur ersten großen Demonstration kam. Lilo Wollny, ebenfalls eine der ersten Anti-Gorleben-Kämpferinnen: „Mich verblüfft es noch heute, daß sich bereits am 15. März, also kaum drei Wochen nach der Standortbenennung, rund 20 000 Menschen auf dem abgebrannten Waldgelände nahe Trebel trafen, wo der Bau vorgesehen war.“ (Aus einem wnet-Interview mit Lilo Wollny )

Kurz zuvor, Anfang März, hatten sich die bisher nur durch persönliche Kontakte verknüpften Protestgruppen zu einem Verein zusammengeschlossen, der "Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg e.V.".

DIE KUNST UND DER WIDERSTAND

Schon an den Protesten gegen das AKW Langendorf hatten sich maßgeblich Künstler aus dem Landkreis beteiligt. Der Maler und Bildhauer Uwe Bremer, der Künstler Josi Vennekamp, die Dichter und Philosophen Nicolas Born sowie Hans-Christoph Buch lebten schon länger im Wendland und wollten es nicht hinnehmen, dass "ihre" Zufluchtsregion durch ein Atomkraftwerk verschandelt werden sollte (siehe dazu auch: "Stadtflucht der Dichter" ) .

Die Kunst war von Anfang an ein wesentlicher Bestandteil des Protestes. Kreative Ideen, künstlerische Aktionen ("Da müssen wir durch","Hart an der Grenze" oder "Irritationen am Wegesrand") und originelle Plakate wurden durch KünstlerInnen wie Uta-Helene Götz, Werner Götz, Irmhild Schwarz oder Astrid Clasen zu kreativen Begleitern der Proteste anlässlich der Castortransporte. Die Bürgerinitiative war an diesen künstlerischen Aktionen oft nicht beteiligt - profitierte aber von der Attraktivität u.a. der Landschaftskunstaktionen. 

Nicht zuletzt waren auch die "Wunde.r.punkte" (woraus später die Kulturelle Landpartie" wurde), ein Bestandteil der kreativen Protestkultur im Wendland.

Dabei schützte die Kunst auch schon mal vor strafrechtlicher Verfolgung. Das "Tag X"-Plakat , mit dem 1985 die BI anlässlich des ersten Castortransportes zur "Verhinderung der Atommülltransporte ins Wendland" aufrief, brachte denen, die es besaßen oder gar öffentlich aufhingen, Hausdurchsuchungen und strafrechtliche Verfolgung ein.

Durch die Unterschrift von Joseph Beuys und seinen auf dem Plakat verewigten Satz „Menschengemässe Kunst muss 1. Die Zerstörung des Menschengemäßen verhindern und 2. Das Menschengemäße aufbauen – nur das ist KUNST und sonst gar nichts.“ wurde das Plakat zum Kunstwerk - und konnte deshalb nicht mehr verboten werden.



Mitbegründerin der BI war die 2016 verstorbene Marianne Fritzen. Im Video von Dirk Drazewski beschreibt sie die Anfänge der Bürgerinitiative .


DIE ERFOLGE

Der durch die BI organisierte Widerstand brachte bereits 1979 den ersten Erfolg: aufgrund der massiven Proteste sah sich Niedersachsens Ministerpräsident Ernst Albrecht genötigt, das Projekt "Nukleares Entsorgungszentrum" aufzugeben, weil er es für politisch nicht durchsetzbar hielt.

Wie gut die Allianz "Bürger, Bauern, Edelmann" funktionierte, zeigten auch die Kaufversuche der damaligen Deutschen Gesellschaft zur Wiederaufbereitung von Kernbrennstoffen (DWK), die im Vorfeld der Erkundungsarbeiten im Salzstock großflächig oberirdische Waldflächen aufkaufen wollte. Wichtige Flächenüber dem Salzstock blieben im Besitz der Eigentümer, weil sie sich den Gorlebengegnern angeschlossen hatten. Andreas Graf von Bernstorff verzichtete zum Beispiel auf über 20 Millionen Mark, die er für den Verkauf seiner ausgedehnten Waldfllächen bei Gorleben erhalten hätte.

Und vor allem ist der Bürgerinitiative Umweltschutz zusammen mit anderen Umweltorganisationen wie z. B. Greenpeace und BUND die absolute Festlegung auf Gorleben als Atommüll-Endlagerstandort aufzubrechen. Der Neubeginn der Endlagersuche und das kürzlich novellierte Standortauswahlgesetz ist neben hartnäckiger Arbeit von Bundes- und Landespolitikern - hauptsächlich der Grünen - auch ein Erfolg der beharrlichen Informations- und Protestarbeit der Bürgerinitiative.

Seiet 1998 hat die CDU ihre Mehrheit auf Kreisebene nicht wieder erreichen können. SPD, Grüne, FDP und seit einigen Jahren auch die an der LINKE orientierte SOLI-Gruppe bestimmen die Kreispolitik. Und ehemalige BI-Vorsitzende oder zumindest langjährige Gorlebengegner sind Europaabgeordnete (Rebecca Harms) oder Niedersächsischer Umweltminister (Stefan Wenzel).

"Langhaarige Chaoten", "Ökoterroristen" oder "unappetitliches Pack" sind öffentlich nicht mehr zu hören. Und Gorlebengegner sind in den verschiedensten Bereichen zu finden, ob als Lehrer in den Schulen, Angestellte in den öffentlichen Verwaltungen oder als Sozialpädagogen in unterschiedlichen Einrichtungen. Noch 1987 gab es unter dem Oberkreisdirektor Klaus Poggendorf ein faktisches Berufsverbot für Gorlebengegner in allen öffentlichen Einrichtungen. Poggendorf verbot sogar die Nutzung von Veranstaltungsräumen, die im Besitz des Landkreises waren, für "Anti-Gorleben"-Veranstaltungen.

DIE ARBEIT IST NOCH NICHT VORBEI

Trotz aller Erfolge ist der Kampf der Gorlebengegner noch lange nicht vorbei. Ein Endlager für hochradioaktiven Müll ist weltweit immer noch nicht gefunden worden, die Castortransporte in das Zwischenlager sind nur zeitweise ausgesetzt und der Endlagerstandort Gorleben ist trotz Atommüll-Kommission und Standortauswahlgesetz längst nicht vom Tisch - trotz aller gegenteiligen Überzeugungen von Bundes- und Landespolitikern.

Dazu hat die BI mit einem Vermittlungsproblem zu kämpfen. Seit die Castortransporte nicht mehr stattfinden und die Atommüllkommission ein Verfahren zur Standortortsuche für ein Endlager festlegte, ist für die breite Öffentlichkeit das Thema "Atommüll" uninteressant geworden.

Zu kompliziert sind die Diskussionen geworden, zu spezifisch die Probleme, die sich im Endlager-Suchverfahren stellen. Wer versteht, wie wichtig die Senkung der Einlagerungstemperatur auf 100 Grad ist? Wer kann einschätzen, welche Auswirkungen ein Klageverbot in der ersten Phase des Findungsprozesses hat? Und wie gestaltet sich der lt. Gesetz vorgesehene Beteiligungsprozess tatsächlich? Bleibt es bei Akzeptanzveranstaltungen oder haben die betroffenen Bürger einer Region realistische Möglichkeiten, sich ernsthaft für oder gegen ein Endlager in ihrer Nähe auszusprechen?

Alle Welt glaubt, dass sich die Suche nach einem Endlager auf "einem guten Weg" befindet. Aber viele der Gorlebengegner sind im Laufe der Jahre zu Experten in Sachen Atommüll-Endlagerung geworden - und wissen deshalb, wieviel Tücken im Detail liegen. Sie wissen, wieviel im Laufe der Jahrzehnte getrickst und getäuscht wurde, um die Interessen von Politik und Atomindustrie durchzusetzen. Und sie wissen um die faktische Übermacht des Geldes, die letztendlich womöglich doch zum Atommüll-Standort Gorleben führen wird. Immerhin kostete das ganze Verfahren zur Erkundung des Salzstocks Gorleben bisher über 3 Milliarden Euro.

Auf mindestens 50 Jahre wird der Zeitraum geschätzt, bis ein Endlager fertiggestellt sein wird - manche reden gar von 150 Jahren. Das "Gorleben-Thema" bleibt also auch den Folgegenerationen noch lange erhalten.

Titelfoto /gorleben-archiv :
Tag-X-Plakat aus dem Jahre 1985, von Joseph Beuys handsigniert und mit einem Text versehen.

Foto vom Gemeinderat Langendorf: wendland-archiv.de / Fotograf: Otto Kiehn







Fotos

2017-03-26 ; von Angelika Blank (autor),
in 29484 Trebel

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