Thema: atommüll

Soll Atommüll oben bleiben? TEIL I

Mit einem Fachgespräch, das am Montag stattfindet, will die grüne Bundestagsfraktion dazu beitragen, den Stand der Fachdiskussion zum Thema Atommüll-Lagerung und aktuelle Endlager-Planungen zu beleuchten, mögliche Lösungsbeiträge aus dem Forschungsbereich vorzustellen und die Argumente für und gegen rückholbare Endlagerung auf den Prüfstand zu stellen. Hier die Rede von Sylvia Kotting-Uhl, Sprecherin für Atompolitik der Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion ...

Atommüll ist mit das Tödlichste, was es auf der Erde gibt. Er tötet durch Strahlung und ist hochgiftig. Bis das Risiko aus diesen Stoffen halbwegs erträglich geworden ist, vergeht eine Million Jahre. Den Müll über einen derart langen Zeitraum so aufzubewahren, dass er Menschen nicht gefährden kann, scheint schier unmöglich.

Diejenigen, die uns das Atommüllproblem beschert haben, haben ihre Vorstellungen bedenkenlos auf Kosten künftiger Generationen durchgesetzt. Leider genügt es nicht, sich darüber zu empören. Der tödliche Müll ist da. Es müssen Wege gefunden werden, damit umzugehen.

Diejenigen, die sich in unserem Land mit der Atomkraft und ihren Folgen beschäftigen sind sich in vielem nicht einig. Fast alle aber sind dafür, den Atommüll tief in der Erde zu lagern und ihn mit mehreren Barrieren gegen die Biosphäre abzuschotten. Benötigt wird dazu eine sehr dicke, vollkommen wasserundurchlässige Gesteinsschicht in 800 bis 1300 Meter Tiefe. In dieser geologischen Barriere würde der Müll dann zusätzlich in Behältern verschlossen.

Die denkbaren Möglichkeiten

Insgesamt sind fünf Lagervarianten für hochradioaktiven Atommüll in der Diskussion:

1. Endlagerung mit raschem Verschluss des Bergwerks ohne die Möglichkeit der Rückholbarkeit

Diese Entsorgungsoption wurde bereits 1957 von einer US-Akademie in den Grundzügen vorgeschlagen. Die als "baldige" Endlagerung bezeichnete Variante geht davon aus, dass eine Lagermöglichkeit in einer tiefen geologischen Formation gefunden wird, die von der Biosphäre abgeschottet ist. Dorthin wird der in Sicherheitsbehälter verpackte Atommüll verbracht, sobald er endlagerfähig ist. Nach der sogenannten Betriebsphase (von der Einlagerung der Abfälle bis zum Verschluss der Schächte) wird das Bergwerk verfüllt und verschlossen. Danach ist eine weitere Überwachung nicht mehr vorgesehen. Die Sicherheit wird "passiv" durch die geologische Barriere und weitere technische Abschottungs-Maßnahmen gewährleistet.

2. Endlagerung mit Verschluss des Bergwerks nach einigen hundert Jahren. In dieser Zeit wird die Sicherheit des Atomlagers kontrolliert.

Diese Option hat in den letzten Jahren international an Einfluss gewonnen. Sie sieht ebenfalls eine Einlagerung in einer tiefen geologischen Formation vor. Das Endlager wird aber über einen längeren Zeitraum nicht verschlossen, damit im Fall neuer Vorkommnisse oder Erkenntnisse der Atommüll evakuiert werden kann. Insbesondere soll beobachtet werden, ob der strahlende Abfall seine Umgebung und die Barrieren verändert.

3. Kontrollierte geologische Langzeitlagerung mit der Möglichkeit der Rückholbarkeit.

Diese - derzeit in der Schweiz favorisierte - Variante unterscheidet sich von der zuletzt beschriebenen dadurch, dass zunächst ein Test- und ein Pilotlager errichtet werden soll. Im Testlager sollen Sicherheitsfragen für ein späteres Hauptlager (in dem der Atommüll eingelagert wird) geklärt werden. Das Pilotlager dient der Kontrolle der Entwicklungen. Das Hauptlager soll nach der Einlagerung bis auf einen Zugangstollen versiegelt werden. Die Rückholbarkeit der Abfälle ist dadurch zunächst relativ einfach. Nach einer langen Beobachtungsphase, die länger als 100 Jahre dauern kann, soll auch dieser Stollen verschlossen werden. Schrittweise wird das Lager dann in ein Endlager übergehen.

4. Kontrollierte Langzeit-Zwischenlagerung für einige Jahrhunderte.

Dabei wird der Atommüll über einen langen Zeitraum zwischengelagert und zugänglich gehalten. Diese Option geht davon aus, dass gegenwärtig eine befriedigende Endlagerung des Atommülls nicht möglich ist, weil keine Langzeitsicherheit gewährleistet werden kann und ein verschlossenes Endlager die Möglichkeiten zum Eingreifen verbaut. Die Entscheidung über die Endlagerung wird daher für einen langen Zeitraum offengelassen. Wenn eine befriedigende Lösung für den Atommüll - sei es ein sichere Endlagerung oder eine Möglichkeit zur technischen Behandlung - gefunden ist, soll diese ergriffen werden.

5. Hüte-Konzept": dauerhafte kontrollierte Lagerung

Diese Variante wird auch "Hüte-Konzept" genannt: Der Strahlenmüll wird behütet, bis seine Gefährlichkeit abgeklungen ist. Er wird ober- oder unterirdisch gelagert und durch technische Barrieren und Kontrollmaßnahmen gesichert. Ein eigentliches Endlager wird nicht angestrebt. Die faktisch unbegrenzte Offenhaltung des Atommülls wird allerding nirgends in der Welt ernsthaft verfolgt.

Internationale Tendenzen

Ein Endlager gibt es weltweit noch nicht. In den Diskussionen darüber, welche Art Endlager bevorzugt wird, ist derzeit viel Bewegung. International scheint es gegenwärtig eher eine Abkehr von Modellen der baldigen Endlagerung und zugunsten einer rückholbaren Lagerung zu geben. Dazu ein kleiner Überblick:

In Schweden ist die Planung eines Endlagers vergleichsweise weit fortgeschritten. Von der ursprünglich bevorzugten Endlagerung ohne Rückholbarkeit hat man sich inzwischen abgewandt. Vorgesehen ist jetzt die schrittweise Inbetriebnahme eines Endlagers in der Weise, dass über einen langen Zeitraum Erfahrungen mit dem Betrieb gesammelt werden. Während dieser Zeit soll die Rückholbarkeit gewährleistet sein. Technische Barrieren sollen über mehrere hunderttausend Jahre wirksam sein. Der Verschluss des Bergwerks soll nach und nach vor sich gehen, die Abschottung gegen die Außenwelt wird - sofern sich keine neuen Probleme auftun - stufenweise verschärft und damit die Rückholung erschwert.

USA: Rückholbarkeit für 50 Jahre

In den USA ist die Rückholbarkeit der Abfälle für 50 Jahre nach der Einlagerung gesetzlich vorgeschrieben. Eine Verlängerung dieser Frist ist in der Diskussion. Begründet wird diese Option nicht nur mit der Möglichkeit, auf unvorhergesehene sicherheitsbedrohende Ereignisse zu reagieren und weitere Kenntnisse über die Langzeitsicherheit zu erlangen. Auch eine spätere Nutzung der abgebrannten Brennelemente als künftige Rohstoffquelle wird als Beweggrund vorgebracht. Auch erhofft man sich von dieser Variante eine größere Akzeptanz. Die US-Regierung hat allerdings gerade angekündigt, das lange Jahre favorisierte Atommülllager in Yucca Mountains nicht weiter zu verfolgen. Damit ist die Entsorgungsdebatte in den USA weitgehend neu eröffnet.

Schweiz: kontrollierte geologische Langzeitlagerung

In der Schweiz ist man von der ursprünglich verfolgten baldigen Endlagerung abgegangen und bevorzugt nun die Option der kontrollierten geologischen Langzeitlagerung. Vor einem endgültigen Verschluss des Atomlagers soll es eine Test- und eine Beobachtungsphase geben. Die Akzeptanz des Lagers soll sich in einem öffentlichen Diskurs erweisen. Erst wenn die Bevölkerung vom Funktionieren der Anlage überzeugt ist, kann das Bergwerk endgültig verschlossen werden.

Frankreisch: Langzeit-Zwischenlagerung oder rückholbare Endlagerung?

In Frankreich werden parallel die Varianten einer Langzeit-Zwischenlagerung und einer rückholbaren Endlagerung untersucht. Die Langzeit-Zwischenlager sollen über einen Zeitraum von mehreren hundert Jahren konzipiert werden. Das Endlager soll verschiedene Niveaus der Rückholbarkeit ermöglichen. Die Einlagerung soll für mindestens 100 Jahre reversibel sein.

Niederlande: nicht eindeutig festgelegt

Auch in den Niederlanden hat man sich nicht eindeutig festgelegt, welche Variante hauptsächlich verfolgt werden soll. In der engeren Debatte sind hier die Endlagerung mit Rückholbarkeit und die Langzeit-Zwischenlagerung. Zum Hauptziel in der Entsorgungsfrage wird die Erhaltung des Handlungsspielraums für künftige Generationen erklärt.

Finnland: Einlagerung in wasserführendes Hartgestein + zusätzlicher Absicherung

In Finnland soll im kommenden Jahr die Errichtung eines Endlagers in der Nähe des AKW-Standorts Olkiluoto genehmigt werden, das ab 2020 in Betrieb gehen soll. Dabei soll die Rückholbarkeit berücksichtigt werden. Da das Endlager in wasserführenden Hartgestein vorgesehen ist, soll der Müll zusätzlich durch ein extrem korrosionsbeständiges Material wie Kupfer von Flüssigkeiten abgeschottet werden. Neue Forschungen stellen die Widerstandsfähigkeit gegen Korrosion aber gerade in Frage.

Stand der Festlegungen in Deutschland

Lange Jahre war man sich in Deutschland einig, dass der unterirdische Lagerstollen möglichst bald zugeschüttet und verschlossen werden solle - ohne Rückholbarkeit. Schon in den ersten Überlegungen zum Umgang mit Atommüll in den 50er und 60er Jahren des letzten Jahrhunderts wurde auf eine Lagerung in tiefen geologischen Schichten abgezielt. Eine aktive Bewachung und Kontrolle war nicht vorgesehen. Der tödliche Müll sollte für alle unerreichbar sein.

Auf das Konzept der Nicht-Rückholbarkeit verständigte sich die Reaktor-Sicherheitskommission auch Anfang der achtziger Jahre. Im Regelwerk "Sicherheitskriterien für die Endlagerung radioaktiver Abfälle in einem Bergwerk" finden sich Festlegungen für einen möglichst schnellen Verschluss des Endlagers ohne weitere Sicherheitsmaßnahmen.

An dieser Grund-Vorgabe wurde über Jahrzehnte festgehalten. Die Option war nicht umstritten, eine ausdrückliche Diskussion über Fragen der Rückholbarkeit wurde aber nicht geführt. Die Bundestags - Enquetekommission "Zukünftige Kernenergie-Politik" empfahl Anfang der 80er Jahre, die Nicht-Rückholbarkeit zu überdenken, weil damit für nachfolgende Generationen Verbesserungen behindert würden. Die Debatte wurde allerdings kaum aufgegriffen.

Die neuen Sicherheitsanforderungen

Die Festlegungen in den "Sicherheitsanforderungen für die Endlagerung radioaktiver Abfälle in einem Bergwerk" wurden inzwischen ersetzt durch die "Sicherheitsanforderungen an die Endlagerung wärmeentwickelnder radioaktiver Abfälle". Dieses Regelwerk wurde in den letzten Jahren durch verschiedene Verbände und Institutionen unter Federführung des BMU erarbeitet. Als Rückholbarkeit definiert das Dokument "die geplante technische Möglichkeit zum Entfernen der eingelagerten radioaktiven Abfallbehälter aus den Endlagerbergwerk". Auch die neuen Regeln sehen keine langfristige Rückholbarkeit vor. "Das Endlager ist so zu errichten und so zu betreiben, dass ... in der Nachverschlussphase keine Eingriffe oder Wartungsarbeiten erforderlich werden", heißt es im Kapitel Sicherheitsprinzipien.

In der Fortentwicklung, die am 30. September 2010 unter Umweltminister Norbert Röttgen veröffentlicht wurde, gibt es gegenüber dem Entwurf seines Vorgängers Sigmar Gabriel eine entscheidende Veränderung: Für die sogenannte Betriebsphase, also die Zeit von Beginn der Einlagerung bis zum Verschluss der Schächte, ist nun nicht mehr nur die Bergung der Abfälle als Bedingung formuliert, sondern auch die Rückholbarkeit. Der wesentlich Unterschied zwischen beiden Varianten besteht darin, dass die Bergungsmöglichkeit lediglich als Notfallmaßnahme vorzusehen war, während die Rückholbarkeit eine sogenannte Auslegungsanforderung darstellt, ohne die das Endlager nicht genehmigt werden darf. Das kann gegenüber der Bergungsmöglichkeit auch massive Veränderungen für das gesamte Einlagerungskonzept haben. Für die Zeit nach dem Verschluss des Endlagers, die so genannte Nachbetriebsphase geht das Konzept aber nach wie vor von einer langfristig nichtrückholbaren Lagerung aus.

Rückholbarkeit überhaupt möglich?

Im Zusammenhang mit dem Entwurf des damaligen Bundesumweltministers Sigmar Gabriel hatte es hierzu 2008 kurzzeitig Irritationen geben. Die FAZ titelte damals "Gabriel will Atommüll nur auf Zeit vergraben". Anlass war eine Passage im Sicherheitspapier, in dem für Abfallbehälter eine Haltbarkeit von 500 Jahren gefordert und ausgeführt wurde: "eine gegebenenfalls von künftigen Generationen in diesem Zeitraum für notwendig erachtete Rückholung der Abfälle aus dem stillgelegten und verschlossenen Endlager darf nicht erschwert werden". Das BMU begründete das damit, dass es international zunehmend üblich sei, die Rückholung von Atommüll in die Planungen mit einzubeziehen. Gleichzeitig wird in dem Papier aber auch betont, dass die Rückholbarkeit der Abfälle "kein Bestandteil des Planfeststellungsverfahrens" für ein Endlager sei. Auf Nachfrage betonte das BMU damals ausdrücklich, dass das Endlager langfristig völlig eingeschlossen werden solle - ohne eine Möglichkeit, die Abfälle wieder herauszuholen.

Der Präsident des Bundesamtes für Strahlenschutz Wolfram König erklärte dazu in einem Interview: "Was wir aber ermöglichen sollten ist, dass die Abfälle aus einem verschlossenen Endlager wieder bergmännisch herausgeholt werden können. Wenn es einen Erkenntnisgewinn in der Zukunft geben sollte, dass der von uns eingeschlagene Weg nicht mehr verantwortbar erscheint, Atommüll in tiefen geologischen Schichten abgeschlossen zu lagern, dann sollte man den Atommüll bergen können. Dafür müssen die Behälter so beschaffen sein, dass sie mindestens 500 Jahre intakt bleiben. Wäre der Abfall in der Asse bergbar gelagert worden, hätten wir heute übrigens nicht so viele Probleme damit: Wer allerdings fordert, dass Atommüll nicht nur bergmännisch bergbar, sondern auch ständig rückholbar gelagert wird, nimmt ein deutlich niedrigeres Sicherheitsniveau in Kauf."

+++ Fortsetzung folgt +++

Foto: Als Obfrau der Grünen im Gorleben-Untersuchungsausschuss nahm Sylvia Kotting-Uhl im September 2010 an einem Besuch im Salzstock teil ...




2011-05-09 ; von Sylvia Kotting-Uhl (autor),

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