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Stoffkontor Kranz AG: Mit Schuldverschreibungen aus der Krise?

Rund 900 000 Euro fehlen der Stoffkontor Kranz AG, um anstehende Zahlungsverpflichtungen zu begleichen. Mit überwältigender Mehrheit beschlossen die Aktionäre auf ihrer Hauptversammlung am Freitag, dass diese Summe bis Ende Juni durch Schuldverschreibungen, sogenannte „Wandelanleihen“ aufgebracht werden soll. Gelingt dies nicht, droht der Aktiengesellschaft die Insolvenz.

Angelika Blank konnte in Vollmacht für eine Aktionärin an der Hauptversammlung teilnehmen. Hier ihr Bericht:

Vor dem Hintergrund der akuten Finanzkrise blieb die Umbesetzung des Vorstandspostens auf der Versammlung ein nebensächlicher Punkt - trotz mehrfacher Forderungen von Aktionären über die Umstände der Entlassung genauere Auskunft zu geben. Man habe sich im „gegenseitigen Einverständnis“ getrennt und einen Aufhebungsvertrag geschlossen, hieß es dazu lapidar. Weitere Erklärungen, vor allem über die persönliche Verantwortung von Heinrich Kranz für die derzeitige Finanzmisere, mochten weder Beckhaus noch der Aufsichtsrat abgeben. „Man muss jetzt nach vorne schauen und versuchen, die Krise zu meistern“, so Beckhaus. Ein Vorstandsbericht konnte nicht vorgelegt werden, denn es gab schlicht keinen. So musste sich die Versammlung damit begnügen, dass Dr. Beckhaus den Anwesenden die aktuelle Lage in einer Finanzanalyse erläuterte.

Nach dieser Analyse schlummern in den Lagern fertige und halbfertige Stoffe im Wert von über 1 Mio. Euro. Die Sachanlagen und Immateriellen Vermögensgegenstände belaufen sich auf 502.624,00 Euro, wobei der Wert der Firma mit 210.42,00 angegeben wurde. Die Beteiligungen betrugen im Jahre 2008 3.450.000,00 Euro - eine stille Beteiligung an der PourPur GmbH, Münster. Laut Bilanz wurde diese Beteiligung "durch Wandlung der Verbindlichkeiten der Beteiligungsgesellschaft aus dem Kauf von Faserbrennnesseln in eine stille Beteiligung" erbracht.

Nach der im Frühjahr erstellten Analyse sind die Umsätze von 2005 – 2008 um fast die Hälfte auf 414 000 Euro abgerutscht. Für die Aktionäre war diese Tatsache neu. Sie gingen bisher von wesentlich günstigeren Umsatzzahlen aus. Dies ist der Tatsache geschuldet, dass über Jahre hinweg Umsätze an die 100%ige Tochtergesellschaft „Pourpur GmbH“ als Einnahmen der Aktiengesellschaft in die Bilanz einflossen. Erst eine intensive Analyse nach dem Ausscheiden von Heinrich Kranz ergab nach Aussagen des Aufsichtsrats den eklatanten Umsatzrückgang, nachdem die Verkäufe an die Pourpur GmbH herausgerechnet waren. "Man muss wohl sagen, dass hier eine Aufbauschung der Umsätze stattgefunden hat", so Dr. Beckhaus in seiner Analyse.

Doch dies liegt nicht in der alleinigen Verantwortung von Kranz. Sowohl Aufsichtsrat als auch Aktionärsversammlung waren über die Konstruktion mit der Pourpur GmbH seit Jahren informiert. Die Methoden für die komplizierten Wertberechnungen, die der Bilanz zugrunde lagen, waren allerdings nur dem Vorstand bekannt. So musste Aufsichtsratsvorsitzender Frey auf Nachfragen einräumen, dass der Aufsichtsrat nur „die Zahlen kontrollieren kann, die er auch kennt“. Warum allerdings der Aufsichtsrat über Jahre hinweg nicht darauf bestand, die grundlegenden Wertberechnungs-Methoden offen gelegt zu bekommen, blieb im Dunkeln – wurde aber auch von den Aktionären nicht abgefragt.

Die abgesunkenen Umsätze verbunden mit ständig gestiegenen Produktionskosten haben die Aktiengesellschaft nunmehr an den Rand der Insolvenz gebracht. Kommen nicht über die Schuldverschreibungen/Wandelanleihen bis Ende Juni 2009 900 000 Euro zusammen, muß die AG "zum Amtsrichter gehen", wie es Aufsichtsratsvorsitzender Johannes Frey ausdrückte.

Trotzdem die Firma bleibt optimistisch: Der Businessplan der Stoffkontor AG -  nachzulesen auf der Website der Stoffkontor AG www.nettleworld.com - sieht vor, dass in den nächsten fünf Jahren eine Verzehnfachung der Umsätze realisiert wird - von 1.599.505  Euro im Jahre 2007 auf 17.132.942 Euro im Jahre 2013.

Mit konzentrierten Verkaufsmaßnahmen, einer Reduzierung der Produktionskosten sowie gesteigerten Einnahmen durch Patentanmeldungen bzw. Lizenzgebühren soll dieses ehrgeizige Ziel erreicht werden. Vor allem geht Berater Beckhaus davon aus, dass es noch in diesem Jahr gelingen wird, endlich "echten" hochklassigen Brennnesselstoff herstellen zu können. Er habe schon mehrere namhafte Textilfabrikanten an der Hand, die diesen exklusiven Stoff dann sofort in größeren Mengen beziehen würden, so Beckhaus in der Hauptversammlung. "Damit haben wir dann ein exklusives Produkt in der Hand, für das wir höchste Preise erzielen können", so Beckhaus.

Die Herstellung von Stoff mit einem hohen Brennnesselanteil wäre allerdings ein Novum in der über zehn Jahre währenden Geschichte der Stoffkontor AG. Derzeit bestehen die „Nessel“stoffe zu 80 % aus Bio-Baumwolle. Bereits in vergangenen Jahren hatten Aktionäre immer wieder von technischen Schwierigkeiten bei der Verspinnung der Nesselfasern berichtet. Nun soll die Faseraufschlussanlage in Salzwedel, zentrales Modul bei der Herstellung von verwebbarer Nesselfaser noch in diesem Jahr im Vollbetrieb laufen. Wie in der Hauptversammlung mitgeteilt wurde, läuft die Anlage wegen Auflagen des Gewerbeaufsichtsamtes immer noch als "Versuchsanlage", also mit erheblich verminderter Kapazität. Welche Investitionen notwendig sind, um die Auflagen zu erfüllen, das wurde allerdings weder in der Hauptversammlung mitgeteilt, noch sind Investitionssummen im Businessplan aufgeführt. Desweiteren blieb offen, ob der Stoff letztendlich tatsächlich die Qualitätskriterien erfüllt, die "namhafte" Textilfabrikanten im Hochpreis-Sektor an einen Stoff stellen. Da die Frage in der Hauptversammlung nicht gestellt wurde, blieb es Dr. Beckhaus erspart, sie zu beantworten.

Schulden bei den Brennessel-Landwirten, denen ein Teil der 2008-Ernte nicht gezahlt werden konnte, wurden im Frühjahr durch Übertragung von Stoffballen ausgeglichen. Nun verkauft die AG einen Teil ihrer Lagerbestände auf Kommission für die Landwirte. Nur so konnten akut anstehende Zahlungsverpflichtungen an die Landwirte hinausgezögert werden.

Verwunderte es anfangs noch, warum die meisten Aktionäre die Präsentation von Aufsichtsrat und Dr. Beckhaus weitestgehend kritiklos hinnahmen, so wurde der Grund dafür zum Ende der Sitzung schnell klar: Rund die Hälfte der Anwesenden waren Landwirte, die sich einerseits mit teilweise nicht unerheblichen Summen an der Aktiengesellschaft beteiligt hatten und andererseits ihre Höfe – zumindest zum Teil – auf Brennessel umgestellt hatten. Muss die Stoffkontor Kranz Insolvenz anmelden, so würden in der Folge Dutzende Landwirte mitgerissen.

Im Sinne der Aktionäre, aber vor allem der in ihrer Existenz bedrohten Landwirte bleibt nur zu hoffen, dass der ehrgeizige Plan des Dr. Beckhaus aufgeht. Unbehagen bleibt allerdings, zumal Dr. Beckhaus schon seit Jahren als Berater für die AG tätig ist. Warum hat er die Missstände nicht schon vorher erkannt? Und wieso zieht er aus der Misere nicht die Erkenntnis, dass es vielleicht besser wäre, für ein bis zwei Jahre den Vorstandsposten selbst zu übernehmen? Denn auch diese Frage blieb offen: wie denn der Aufsichtsrat absichern will, dass im Unternehmen mehr Transparenz herrscht und er nunmehr die volle Kontrolle über alle Geschäftsvorgänge behält. Ein langjähriger Mitarbeiter des Stoffkontors soll nun die Geschäfte übernehmen. Doch auch hier bleibt Misstrauen: warum wurde Herr "van Fücks" oder so ähnlich - nicht einmal der Name blieb richtig haften - nicht formell vorgestellt? In jedem "normalen" Unternehmen wird die wichtige Personalie "Vorstand" mediengerecht aufbereitet - doch nicht bei der Stoffkontor Kranz AG. Da wurden derart ehrgeizige Pläne skizziert, dass man sich angesichts der Krisen der vergangenen Jahre nur wundern kann. Wer aber all diese flockig an die Wand geworfenen Zielvorstellungen umsetzen soll, blieb im Dunkeln. Lediglich Aufsichtsratsvorsitzender Johannes Frey übernahm die Verantwortung für das Gelingen der Pläne. Aber er war doch auch die letzten Jahre im Aufsichtsrat ...?

Wie gesagt, es bleiben viele Fragen offen. Am 30. Juni wird sich das erste Mal zeigen, ob der Stoffkontor Kranz AG ein weiterer Sommer beschert ist. Doch gelingt es, das Kapital einsammeln, dann wird es erst richtig ernst. Denn dann müssen die geflügelten Zahlen des Herrn Beckhaus sich in Wirklichkeit verwandeln.

LAST UPDATE:18.Mai 2009 14:50

Foto: Brennnesselpflanze/wikimedia.org

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2009-05-17 ; von Angelika Blank (autor),

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