Landwirte gehen auf die Strasse, protestieren, fahren mit ihren schweren Treckern nach Berlin. Sie wollen reden - doch genau das ist nicht immer einfach, kommentiert Wolf Rüdiger Marunde.
„Land schafft Verbindung“ blockierte kürzlich mit hunderten von Traktoren die Strassen auch im Wendland – aus „Solidarität mit den niederländischen Kollegen“. Die sollen nämlich ihren Viehbestand reduzieren. Warum sind die Bauern denn dagegen? Reden ist schwierig mit jemandem, der hoch oben in seiner Treckerkanzel sitzt und zu einer Protestkundgebung in das Regierungsviertel dieselt oder zuhause Kreisel blockiert. Und ein „Mahnfeuer“ irgendwo draußen an einer Bundesstrasse empfindet man auch nicht grade als Anreiz, mit den aufgebrachten Bauern am Feuer in eine Auseinandersetzung zu treten.
Stickstoffkrise
Lesen wir also selbst nach: In den Niederlanden werden 366 Schweine pro Quadratkilometer gehalten, so viel wie nirgendwo sonst in Europa. Deren Gülle sorgt für dauerhaft hohe Emissionen an Stickstoff aus giftigem Ammoniak, der auf die Böden ringsum gelangt – weit mehr, als die EZ-Gesetzgebung erlaubt. Ammoniak (NH3) schadet der Umwelt, der menschlichen Gesundheit und dem Klima. Nach einem Urteil der höchsten niederländischen Verwaltungsrechtsinstanz müssen nun die Genehmigungen für Stickstoff-Emmissionen beschränkt werden. Unsere Nachbarn nennen diesen Zustand inzwischen die „Stickstoffkrise“.
Im deutschen „Schweinegürtel“, der sich von Nordrhein-Westfalen bis über das westliche Niedersachsen erstreckt, gibt es ähnliche Probleme wie in den Niederlanden. Auch Deutschland muss seine Stickstoff-Emmissionen in den kommenden Jahren drastisch reduzieren: Bis 2020 um fünf Prozent und bis 2030 um 29 Prozent (gegenüber 2005). Und der Landwirtschaft sind zwischen 70 und 95 Prozent aller NH3-Emissionen zuzuschreiben.
Weltmarkt Politik
Dabei braucht weder die niederländische Bevölkerung noch die deutsche die dort produzierten Mengen an Schweinefleisch. Ein Großteil wird auf den Weltmarkt exportiert, wo die Preise so niedrig sind, dass dieses Geschäftsmodell mit schärferen Umweltvorschriften nicht funktionieren würde. Wesentliche Grundlage der Billigfleischproduktion sind die Einfuhren von – meistens gentechnisch verändertem – Soja aus Übersee. 2018 waren es mehr als 5 Millionen Tonnen allein für Turbofuttermittel. Was bei uns über die Gülle ins Grundwasser und in die Luft gelangt, stammt zu einem Großteil eigentlich aus Brasilien, USA und anderen Überseestaaten. Eigentlich müssten die Sojafrachtschiffe die Gülle aus dem Schweinegürtel wieder mit zurücknehmen.
Für unsere exportorientierte Agrarpolitik sind die Führungen der Bauernverbände politisch mitverantwortlich. Sie haben die Agrarpolitik der letzten Jahrzehnte entscheidend mit gestaltet – im Sinne der großen Betriebe. Die von ihnen propagierte internationale "Kostenführerschaft" der deutschen Bauern ist einer der Ursachen, dass die industrielle Massentierhaltung auf dem Vormarsch ist, kleinere bäuerliche Familienbetriebe aber aufgeben müssen. Nun hoffen die Bauernverbands-Funktionäre offensichtlich, dass die protestierenden Bauern die öffentliche Meinung in ihrem Sinne beeinflussen. Gegen schärfer Umweltauflagen, gegen Klimaschutzpolitik.
Agrarbranche muss sich wandeln
Was will „Land schafft Verbindung“ konkret? Wie stellen sie sich zukunftsfähige Landwirtschaft vor? "Wir stellen uns der öffentlichen Debatte!“ beteuert die Organisation. Aber darauf warten wir nun schon eine ganze Weile. Es sind zwar viele, die protestieren, aber bei weitem nicht die Bauern. Immer mehr Landwirte sehen inzwischen, dass die Agrarbranche nicht so weitermachen kann wie im vorigen Jahrhundert, als man die Klimaerwärmung noch leugnen oder das Artensterben schlicht ignorieren konnte. Die Gesellschaft wird einsehen müssen, dass sie die Landwirte für umweltverträgliches Wirtschaften unterstützen, und die Konsumenten, dass sie für ihre Produkte mehr bezahlen muss.
Text + Grafik: Wolf-Rüdiger Marunde