Entschuldungsvertrag: Sanierung statt Zukunftssicherung

Gigantische Hebesteuersätze und ins Unermessliche steigende Gebühren sind vorerst vom Tisch. Am Montag beschloss der Kreistag die Annahme des sogenannten „Zukunftsvertrages“ - wenn auch unter erheblicher Kritik durch die Kreistagsabgeordneten. Der Landkreis kann nun mit einer Entschuldungshilfe von 80, 7 Millionen Euro rechnen.

Landrat Jürgen Schulz schien sichtlich nervös, als er am Montag Nachmittag die Sonder-Kreistagssitzung zum sogenannten "Zukunftsvertrag" eröffnete. Mit vehementen Worten plädierte er an die Abgeordneten, sich ihrer Verantwortung bewusst zu sein. „Wir reiten mit unseren Finanzen auf der Rasierklinge,“ so Schulz. „Deshalb bitte ich Sie inständig, dem Vertrag zuzustimmen.“ In offensichtlicher Sorge, die Abgeordneten könnten den Vertrag ablehnen, griff er sogar zum Pathos: „Überlege nicht, was dein Land für Dich tun kann, überlege, was Du für dein Land tun kannst,“ zitierte Schulz den berühmtesten Satz John F. Kennedys.

Doch auch Schulz musste einräumen, dass mit dem Abschluss des Vertrages nur wenig Spielraum für Investitionen bleiben werde. Lediglich die eingesparten Zinslasten in Höhe von rund 800 000 Euro jährlich dürfen für dringende Investitionen wie Straßen- oder Schulbau oder die Weiterentwicklung der Breitbandversorgung eingesetzt werden. „Ich weiß, dass 800 000 Euro nicht viel sind,“ so Schulz. „Ich gehe aber davon aus, dass wir zusätzlich EU-Mittel in Anspruch nehmen können, die dann vom Land mit zusätzlichen Mitteln gegenfinanziert werden.“ So blieben von den Kosten für Investitionen lediglich 10 % beim Landkreis hängen, zeigte sich der Landrat optimistisch. 

Viel Skepsis – wenig Jubel

Wie berechtigt die Befürchtungen des Landrats waren, dass die Abgeordneten den Vertrag ablehnen könnten, sollte sich in der Diskussion über den Zukunftsvertrag zeigen. Letztendlich waren es nur wenige Abgeordnete, die den Tag des Vertragsabschlusses als „guten Tag für Lüchow-Dannenberg“ sehen mochten. Mit seiner Ansicht, dass dieser Vertrag ein „großer Erfolg der rot-grünen Landesregierung“ sei, erntete Klaus-Peter Dehde (SPD) allerdings nur höhnisches Gelächter von der CDU und skeptisches Raunen von seinen Kollegen der Gruppe X.

Die meisten Abgeordneten jedoch, ob CDU, UWG, SOLI oder Grüne hatten mehr oder weniger große Bauchschmerzen, ja zu dem Vertrag „zur Erreichung nachhaltiger Haushaltskonsolidierung des Landkreises Lüchow-Dannenberg“ wie er offiziell heißt, zu sagen.

Für Elke Mundhenk (Grüne) ist aus dem „Blick in die Zukunft“ allenfalls Vergangenheitsbewältigung geworden. „Verschwunden ist das Ziel der dauerhaften Zukunftsfähigkeit – obwohl das Gutachten dem Landkreis Zukunftsfähigkeit attestiert hat,“ so Mundhenk. Die grüne Bürgermeisterin aus Dannenberg stört nicht nur der Spardruck, sondern auch, dass alle Umsätze aus Verkäufen zur Schuldenregulierung benutzt werden müssen. „Wo bleiben dann Möglichkeiten zur Investition?“ fragt sich Mundhenk. „Wir werden derart auf Diät gesetzt, dass es lediglich zur Übernahme der Kassenschulden gekommen ist. Ich bin nicht sicher, ob das jetzt erreichte Verhandlungsergebnis das ist, für welches wir so lange gekämpft haben.“

Letztendlich entschied sich Mundhenk trotz aller Bedenken für ein „Ja“ zum Vertragsentwurf, um sich wenigstens einen minimalen Handlungsspielraum zu erhalten. „Die 80,7 Mio. Euro werden den Haushalt definitiv entlasten. Inwieweit sich diese Entschuldung auch für den Bürger positiv auswirken wird, ist noch nicht abzusehen," blieb Mundhenk skeptisch.

"Das wird schwer"

Auch Christian Carmienke zeigte sich enttäuscht über das Ergebnis der langjährigen Verhandlungen. Nicht nur dem CDU-Fraktionsvorsitzenden fehlt im Vertragsentwurf die Zusicherung, dass notwendige Investitionen weiterhin vom Land bezuschusst werden. Auch andere Abgeordnete zeigten sich enttäuscht bis ärgerlich über den Wegfall dieser Zusicherung, die zu früheren Zeiten im Vertrag enthalten gewesen war.

Wolfgang Wiegrefe (UWG) wies darauf hin, dass „so ein Vertrag mit Leben gefüllt werden muss“. „Wir sind über 10 Jahre hinweg gefordert, ausgeglichene Haushalte zu liefern. Das wird schwer genug werden.“

Den im Vertrag verankerten Druck zu Fusionsverhandlungen mit anderen Landkreisen sah Wiegrefe allerdings sehr entspannt. „Ich weiß, dass uns weder der Landkreis Uelzen noch der Landkreis Lüneburg gerne aufnehmen mögen.“ Dennoch: „Wir müssen den Vertrag, so wie er uns vorgelegt wurde, nutzen, damit wir einen Ausgleich des Haushalts hinbekommen. Denn ohne diesen Vertrag gibt es keine Chance, den Landkreis langfristig zu erhalten,“ ist Wiegrefe überzeugt.

Ganz anders schätzte Kurt Herzog den vorgelegten Vertrag ein. „Von Partnerschaft kann bei diesem Vertrag keine Rede,“ schimpfte der SOLI-Abgeordnete.“Hier diktiert einer die Bedingungen und sagt 'Friss oder Stirb'.“ Deshalb entschloss sich die SOLI, einer Unterschrift zum jetzigen Zeitpunkt nicht zuzustimmen, sondern die Kreisverwaltung aufzufordern, in neue Verhandlungen mit dem Land einzutreten. „Dabei sollen insbesondere die zunächst in Aussicht gestellten Unterstützungsmaßnahmen … mit dem Land neu und konket verhandelt und im Vertrag verankert werden“, heißt es im Beschlussvorschlag der SOLI.

Die SOLI meint, aus dem Vertrag einen Zwang herausgelesen zu haben, „sämtliche Bedarfszuweisungsanträge“ zurückzuziehen. Außerdem sei von ehemals versprochenen Strukturhilfen keine Rede mehr, so Kurt Herzog. Auch glaubt die SOLI nicht, dass die EU-Gelder, die Landrat Schulz anvisiert wirklich verfügbar gemacht werden können, da das Land die notwendige Gegenfinanzierung nicht zahlen werde.

„Schon beim nächsten Haushalt werdet Ihr mit dem Land heftig streiten,“ zeigte sich Herzog überzeugt. „Was bleibt denn angesichts lediglich 1,25 % des Haushalts, die für freiwillige Leistungen ausgegeben werden können, noch von kommunaler Selbstverwaltung übrig?“ frate Herzog. Herzogs Gruppenkollege Hermann Klepper argumentierte in die gleiche Richtung. Er meinte, in der Kreisverwaltung „nicht mehr hinnehmbare“ und „inakzeptable“ Zustände in der Stellenbesetzung wahrgenommen zu haben. Auch der Wert des Naturschutzes werde durch die Stellenminimierung deutlich in Frage gestellt.

Nach rund einer Stunde Diskussion entschlossen sich die Kreistagsabgeordneten dann doch mit großer Mehrheit für die Annahme des Vertrages - 32 Abgeordnete votierten dafür, drei dagegen und ein Abgeordneter enthielt sich der Stimme. Die Erleichterung war Landrat Jürgen Schulz und dem 1. Kreisrat Claudius Teske deutlich anzumerken. Immerhin hatten beide seit über fünf Jahren intensiv daran gearbeitet, dass die Entschuldung zustande kommt.

Übrigens: für die Diskusskion über den Zukunftsvertrag interessierten sich ganze sechs BürgerInnen - davon alleine mindestens zwei, die für die Verwaltung arbeiten. Zum Vergleich: geht es um Gorleben-Themen nehmen durchschnittlich 30 - 40 BürgerInnen auf den Zuschauersitzen Platz.

Hier die wichtigsten Eckdaten des "Entschuldungsvertrages":

- der Landkreis Lüchow-Dannenberg erhält zum 02.01.2015 80,7 % Mio. Euro - das entspricht 75 % der aufgelaufenen Kassenkredite (derzeit 107,6 Mio. Euro).

- dafür verpflichtet sich der Landkreis, zehn Jahre lang ein ausgegliches Haushaltsergebnis zu erreichen. Außerdem sollen weitere Überschüsse erwirtschaftet werden, um die restlichen Kassenkredite zu mindern.

- folgende Sparmaßnahmen bzw. Einnahmemöglichkeiten wurden im Vertrag fest verankert: Reduzierung der Aufwandsentschädigungen für Naturschutzbeauftragte; die Einstellung des Fahrradbusses zur Kulturellen Landpartie; weitere Einsparungen in der mittlerweile geschlossenen Jugendfreizeitanlage Meudelfitz; die Installation von Geschwindigkeitsmessanlagen; Verringerung der Schulstandorte; Finanzierung von Kindertagesstätten durch die Stadt Lüchow; weiterer Personalkostenabbau in der Kreisverwaltung; Reduzierung der Kosten für Reise und Fortbildung

- die Leistungen für freiwillige Ausgaben (z.b. Schwimmbäder, Büchereien, Musikschule etc.) werden auf 1,25 % des jeweiligen Jahreshaushalts eingefroren. 

- der Landkreis verpflichtet sich, die Infrastruktur dem demographischen Wandel anzupassen

- Erlöse aus Verkäufen müssen zum Schuldenabbau genutzt werden

- Und nicht zuletzt: der Landkreis verpflichtet sich, Fusionsverhandlungen mit benachbarten Landkreisen zu führen, soweit diese ebenfalls Beschlüsse zu Fusionsverhandlungen gefasst haben. 

Foto / Angelika Blank: Blühende Landschaften werden sich in Lüchow-Dannenberg wohl noch lange nur im Frühjahr auf den Feldern zeigen - die Entschuldungshilfe des Landes nimmt jedoch wenigstens die drückendsten Schulden weg.


 



2014-11-17 ; von Angelika Blank (autor),
in Lüchow-Dannenberg, Deutschland

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