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Film: "Vitus" von Fredi Murer

Vitus ist anders. Schon im Kindergartenalter spielt er Orgel und läßt Erzieher verzweifeln, weil er schlauer ist als sie. Als den Eltern dämmert, daß sie ein Wunderkind zum Sohn haben, wittern sie eine Pianisten-Weltkarriere. Besonders die Mutter entwickelt einen überrollenden Ehrgeiz, der keinen Plan B oder gar Freude zuläßt.

Als sie das Kindermädchen Isabel dabei erwischt, wie es mit Vitus Spaß hat, anstatt ihn beim Üben zu überwachen, schmeißt sie Isabel raus und gibt ihren Beruf auf, um Vitus’ nun selbst rund um die Uhr in seinen Talenten voranzubringen. Auch die Klavierlehrerin wird gegen einen prominenteren Lehrer ausgetauscht, egal, wie Vitus das findet. Vitus’ Vater ist mit der eigenen Karriere in der Hörgeräte-Branche beschäftigt, und hat kaum ein Ohr für den Sohn übrig. Der zieht sich zurück, findet aber in seinem Großvater einen, der ihn altersgemäß behandelt und seinem Bedürfnis nach dem Stinknormalen endlich Futter gibt. Das sieht die Mutter gar nicht gern. Doch in Vitus’ Künstlerschale haust auch ein kämpfender Filou, der sich einen genialen Befreiungsschlag einfallen läßt.

Regisseur Fredi Murer ist mit „Vitus“ ein Spagat geglückt. Er behandelt das Thema Hochbegabung seriös und behutsam, ohne zu missionieren. Wir erhalten Einblick in die Gemütslage ehrgeiziger Eltern, die einem karrieregeleiteten Erziehungsideal hinterherhecheln und dabei vergessen, die Seele ihres Jungen mitzunehmen. Der findet zwar Halt beim Großvater, doch die einzige Freundin – das Kindermädchen Isabel – wird ihm rücksichtslos aus dem Leben gerissen. Auch die Beliebtheit bei Mitschülern und Lehrern hält sich in Grenzen; er klugscheißert einfach zu viel. Keine Frage: Wäre mir mit 12 oder 14 Jahren so einer wie Vitus begegnet, ich hätte ihn in die Streber-Ablage getan und nach allen Regeln der Kunst gepiesackt.

Während im ersten Teil des Films die dramatischen Elemente dominieren, entspannt sich die Handlung im zweiten Teil. Aus dem Drama wird eine unterhaltsame Geschichte mit glänzenden und zum Kreischen trocken komischen Diaologen. Mehr und mehr fühlt sich der Film an wie eine lauwarme Brise, die einen samtig umhüllt. Bruno Ganz hat seinen Teil dazu beigetragen, indem er einen Großvater erschuf, den sich wohl jeder Enkel wünscht – voller Gelassenheit, Herzenswärme, neugierigem Interesse am Enkel und einer unerschütterlichen Treue ihm gegenüber. Erst dies macht die Menschwerdung des Wunderkinds möglich.

Bei der Besetzung des älteren, 12jährigen Vitus hatte Murer die Wahl, einen Schauspieler oder ein echtes Wunderkind zu nehmen, das auch die Klavierszenen ohne Double übersteht. Sie fiel auf Teo Gheorghiu, der in London eine Schule für musikalisch Hochbegabte besucht und trotz kanadischen Passes und rumänisch-stämmiger Eltern perfekt Schweizerdeutsch beherrscht, da er in der Schweiz geboren und aufgewachsen ist. Eine großartige Besetzung. Der Film wird in Originalsprache – also Schweizerdeutsch – mit Untertiteln zu sehen sein. Nicht abschrecken lassen, man gewöhnt sich dran.

Am Mittwoch, dem 4. Juni, um 20 Uhr im Clenzer „Culturladen“.




2008-06-01 ; von René Schüttler (autor),

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