Am Montag jährt sich der Tag, an dem Erdbeben, Tsunami und die atomare Katastrophe von Fukushima Japan und die Welt in Schrecken versetzte. Ein Gastkommentar von Rebecca Harms, die vergangenes Jahr nach Fukushima reiste, um sich selbst ein Bild von der Katastrophe zu machen.
Mit dem 11. März 2011, three-eleven wie die Japaner selber sagen, ist nicht nur in Japan der Glaube zerbrochen, dass die Folgen eines großen Atomunfalls kontrollierbar sind. Das Ende des atomaren Zeitalters scheint seither in Sicht. Auch ehrgeizige Ankündigungen von AKW-Neubauten in China, Russland, Großbritannien oder im Iran sind mehr Propaganda als durchfinanzierte Programme. Explodierende Kosten und technische Probleme auf den wenigen nuklearen Baustellen weltweit zeigen, dass auch diese Länder den Niedergang der Atomenergie nicht aufhalten können. Wie schnell und konsequent der Ausstieg global ablaufen wird, ist offen.
Japans weiterer Umgang mit der Atomenergie wird für diese Entwicklung eine wichtige Rolle spielen. Von den vierundfünfzig Reaktoren der Zeit vor Fukushima sind nur zwei wieder in Betrieb. Die restlichen 47 japanischen Reaktoren bewertete die Internationale Atomenergie Agentur (IAEA) kürzlich als „langfristig abgeschaltet“. Und auch wenn die seit der atomaren Katastrophe abgeschalteten AKW auf dem Papier schon wieder am Netz sind: Japan muss einen großen Teil seiner Reaktorflotte verloren geben.
Das Interesse, durch
Wiederanschaltung der AKW in Japan wieder Geld zu verdienen, wächst
täglich. Die Kosten der Atomkatastrophe werden zwischen 250 und 500
Milliarden Dollar geschätzt, Tendenz steigend. Der Staat bezahlt.
Die Japanerinnen und Japaner zahlen schon mit ihrer Gesundheit und
der ihrer Kinder für den lange unerschütterten Glauben an die
atomare Sicherheit. Sie zahlen mit ihren Steuern aber auch jeden Yen
an den bankrotten Atomkonzern Tepco, sie zahlen für Aufräumarbeiten,
Dekontaminierungsprogramme und Evakuierungen.
Gleichzeitig geht die
Verharmlosung der Folgen von Fukushima durch Regierung und Industrie
in den betroffenen Regionen weiter. Strahlenmessungen werden
manipuliert, sagen Bürgermeister, die die offiziellen Werte
überprüfen lassen. Die Ergebnisse sind je nach Gelände und Gebäude
verschieden. Verbindliche Werte, auf die die Belastung sinken soll,
fehlen. Dekontaminierungsarbeiten in Städten und Dörfern werden
neuerdings mit großer Eile durchgeführt. Bau- und Atomindustrie
sollen kräftig mitverdienen.
"Vorläufige Zwischenlager"
für abgetragenen Boden der Felder und Gärten, für gefällte Bäume
aus Parks und Wäldern, reichen nicht aus. In große
Plastiksäcke verpackt wird kontaminiertes Material in den "
gesäuberten" Gärten und Höfen vergraben. Möglichst viele
Menschen sollen zurückkehren, damit an den
schlechten Entschädigungen für Evakuierte noch gespart werden
kann. Die Ruinen der Reaktoren bei Fukushima sind nach Einschätzung
der japanischen Regierung "unter Kontrolle". Aber bis heute
wird mit viel Wasser gekühlt. Japanische Atomexperten, die in der
Untersuchungskommission des japanischen Parlaments gezeigt haben,
dass schon allein das Beben die Kenschmelzen auslöste, dürfen diese
These nicht vor Ort überprüfen.
Alle Reaktoren Japans sind durch Erdbeben gefährdet. Wer die Bürger überreden will, den Weiterbetrieb eines AKW zuzulassen, hat verloren, wenn die These zum Beben belegt wird. Vor einigen Tagen alarmierte mich Juri Scherbak, Arzt, Schriftsteller und Tschernobylliquidator aus der Ukraine. Er beklagte tief bestürzt, dass in Japan aus den ukrainischen Fehlern und Erfahrungen seit dem Supergau 1986 gar nichts gelernt werde, noch nicht einmal zum Schutz der Menschen.
Aus Tschernobyl und
Fukushima lernen? In Europa hängt viel an Deutschland. Scheitert die
Energiewende, dann wirkt das über deutsche Grenzen hinaus. Doch
statt die Energiewende zu europäisieren, mahnt der deutsche
Energiekommissar Oettinger vor den Kosten. Er verschweigt, dass
Deutschland heute billigen Industriestrom hat. Er malt das
Horrorgemälde der Deindustrialisierung Europas durch Atomausstieg
und Klimaschutz. Mit erfahrenen Nuklearhaudegen in seinen Diensten
will er das atomare Zeitalter verlängern. Sein Europäischer
Stresstest schafft nicht Sicherheit, sondern Alibi und Begründung
für Laufzeitverlängerung von alten Atomkraftwerken.
Die
versprochene Verschärfung der atomaren Sicherheitsstandards der EU
wird von der Industrie blockiert. Ukrainische Stromnetze werden mit
EU-Geld nachgerüstet, damit billiger Atomstrom aus alten Meilern
nach Westen fließt. Als im letzten Jahr eine Volksbefragung in
Litauen mit einem klaren Nein zur Atomkraft endete, empfahl Günter
Oettinger postwendend der Regierung in Vilnius, nicht auf die
Bürger zu hören. Die Regierung Merkel, sonst in Brüssel sehr
zielstrebig, lässt den Kommissar gewähren.
Dabei wäre die Europäische Energiewende vorteilhaft für Sicherheit, Versorgung, Wirtschaft und Klima. Der gemeinsame Aufbruch in das Zeitalter der Erneuerbaren und der Effizienz wird von der Mehrheit der Europäer nicht erst seit Fukushima gewollt. Neues Ansehen für Europäische Politik wäre garantiert, wenn die Politik bereit wäre aus Fehlern zu lernen. Anders als nach Tschernobyl sind die notwendige Technik und das Wissen vorhanden.
Ein Tag in Fukushima - Eine Woche in Japan. Reisenotizen
Anfang 2012 reiste Rebecca Harms auf Vortrags- und Recherchereise durch verschiedene japanische Großstädte - im Gepäck eine Studie über die Mängel des Stresstests und die Neugier auf die Lage in Japan ein Jahr nach Fukushima. Notizen und Fotos der Reise versammelte sie in dem 88-seitigen Taschenbuch „Ein Tag in Fukushima – Eine Woche in Japan“.
Auf Veranstaltungen und in kleinen Runden traf sie Atomkraftgegnerinnen, Wissenschaftler, Journalistinnen, Politikerinnen und Bürgerinnen. Ein Tag in der Region Fukushima war der traurige Schlüsseltag der Reise. Die Stärke der neuen japanischen Anti-Atom-Bewegung begriffen die Europäer am Ende ihrer Tour auf der Global Conference for a Nuclear Free World in Yokohama.
Das Taschenbuch (88 Seiten mit Fotos, 12,- Euro) ist anlässlich des Fukushimatages außer in den Buchhandlungen in Lüchow auch beim BI-Büro, Pfoten und Co. (Königsberger Straße), der Alten-Jeetzel-Buchhandlung sowie in Dannenberg in der Bottega di Lina erhältlich. Im Buchhandel ist es unter der ISBN-Nr. 978-3-905689-40-2 (Verlag Die Brotsuppe ) zu bestellen.