CSU-Chef Erwin Huber läuft Sturm gegen die aktuelle Atompolitik Umweltminister Gabriels. Nicht nur, dass Huber eine Verdoppelung der Laufzeiten erreichen möchte, nein, er lehnt auch ein Endlager in Bayern rigoros ab. Es gebe "seit 30 Jahren eine politische Entscheidung für den Salzstock in Gorleben" in Niedersachsen. Das sei "doch nahezu fertig", so Huber in einem Interview der ARD-Sendung „Bericht aus Berlin“. Bundesumweltminister Gabriel bezeichnete diese Haltung in einem Interview mit dem Berliner „Tagesspiegel“ als feige. „Wer die Atomenergie ausbauen wolle, wie CSU-Chef Erwin Huber, Bayerns Ministerpräsident Günther Beckstein (CSU) oder Baden-Württembergs Regierungschef Günther Oettinger (CDU), müsse auch "bei sich zu Hause nach einem Endlager suchen" lassen, sagte Gabriel dem "Tagesspiegel". "Tut er es nicht, ist er kein ernstzunehmender Gesprächspartner, sondern im Zweifel ein politischer Feigling."
Auch im Landkreis Lüchow-Dannenberg stoßen Hubers Aussagen auf Verständnislosigkeit. Selbst der parteilose Landrat Jürgen Schulz ist erstaunt, dass ein so versierter Politiker wie Huber auf 30 Jahre alte politische Beschlüsse pocht. Huber müsse doch wissen, dass diese in einem Genehmigungsverfahren nicht stand halten werden, da komme es schließlich auf Fakten an, so Schulz. Im November findete die von Bundesumweltminister Gabriel initiierte internationale Endlagerkonferenz in Berlin statt. Dort sollen grundsätzliche Sicherheitskriterien und -anforderungen an Standort, Bau und Betrieb eines Endlagers entwickelt werden. Dabei könnte natürlich auch heraus kommen, dass in Bayern oder Baden-Württemberg wesentlich geeignetere Gesteinsformationen zu finden sind als im Norden Deutschlands. Nach Ansicht von Landrat Jürgen Schulz wären die südlichen Ministerpräsidenten über ein derartiges Ergebnis gar nicht begeistert. „Die ahnen, was auf sie zukommen könnte, nämlich das, was wir seit 30 Jahren in Gorleben erleben.“
Unterdessen hat sich kürzlich der Präsident des Bundesamtes für Strahlenschutz, Wolfram König, in die Debatte eingeschaltet. In einem Interview mit der Tageszeitung "Der Tagesspiegel" vom 17.07.2008 fordert er eine Endlagersuche nach Schweizer Vorbild. Dort haben die Bürger volle Einsicht, außerdem gibt es verbindliche Kriterien für die Suche. Derzeit sei die Endlagerung gefährlichen hochradioaktiven Atommülls nicht einmal technisch gelöst. Für den Sicherheitsnachweis eines Endlagers Gorleben seien noch mindestens 15 Jahre (Erkundung) nötig, so König weiter.
Geschichtsverfälschung?
Hierzu hat die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg (BI) Fragen. In einem dieser Tage an Wolfram König gesandten Brief stellt sie ihren Standpunkt klar: "Das Gorleben-Moratorium des Jahres 2000 war Ergebnis eines politischen Kompromisses, zustande gekommen ist das Moratorium aber nur, weil Geologen an der Eignung Gorlebens zweifeln." Erinnert wird, dass dem BfS das 300 Seiten umfassende Gutachten von Prof. Dr. Klaus Duphorn aus dem Jahr 1982 vorliegt, im dem fundiert und akribisch dargelegt wird, welche Risiken der Salzstock Gorleben als Folge der komplizierten geologischen Struktur und der Wasserkontakte, Laugennester und eines nicht vorhandenen Deckgebirges auf mehreren Quadratkilometern für die Endlagerung hochradioaktiver Abfälle berge.
Auftraggeber war die Physikalisch- Technische Bundesanstalt (PTB), also die Vorläuferbehörde des BfS. Im Mai 1983 hatte der Amtsleiter Professor Helmut Röthemeyer in Hannover gegenüber Journalisten eine Zusammenfassung der bis dahin vorliegenden Untersuchungsergebnisse mit einer "internen Gesamtbewertung" verbunden, die zu der Empfehlung gelangte, "das Erkundungsrisiko breiter zu streuen." Erklärtes Ziel der PTB war es, auch andere Salzstöcke zu erkunden. "Für eine Behörde war das ein unerhört mutiger Schritt, noch konsequenter wäre gewesen, ganz auf die Einbahnstraße Gorleben zu verzichten", folgert die BI.
Erst zwei Jahre später erfuhr die Presse, dass die Bundesregierung der PTB per Weisung untersagt hatte, derartige Überlegungen anzustellen (FR 25.7.85: "Maulkorb für kritische Äußerung über Gorleben"). Die BI hakt nun nach: "Wir halten es für dringend geboten, dass dieser Vorgang jetzt angesichts der anhaltenden Debatte um die Fortsetzung der Arbeiten unter Tage seitens des BfS öffentlich gemacht wird, um deutlich zu machen, dass die Zweifel an Gorleben begründet sind, politisch aber vom Tisch gewischt wurden." Prof. Klaus Duphorn sei Fachwissenschaftler, kein Politiker. Als Fachmann agierte er äußerst umsichtig und forderte zunächst weitere Erkundungen in Gorleben. Später revidierte er seine Auffassungen und warnte eindringlich vor der Fortsetzung der Bauarbeiten in Gorleben. Unter Erkundung verstand er ausschließlich weitere Tiefbohrungen, u. a. an den Flanken des Salzstocks, nicht den Ausbau des Bergwerks, ruft die BI ins Gedächtnis.
In dem Schreiben an Wolfram König heißt es wörtlich: "Sie in Ihrer Eigenschaft als Präsident des BfS sprechen in den jüngsten Stellungnahmen auch davon, dass Gorleben nicht zu Ende erkundet wurde. Wir möchten Sie bitten, klar zu stellen, was Sie unter Erkundung verstehen. Wir können uns nicht vorstellen, dass Sie die Fertigstellung des Endlagerbergwerks mit einer Erkundung gleichsetzen." Das Bundesamt für Strahlenschutz kündigt in Kürze eine Stellungnahme dazu an.
Gericht verweigert Salzabbau
Unterdessen verlor Graf Andreas von Bernstorff, Eigner grosser Flächen rund um das geplante Endlager in Gorleben und Inhaber der Bergrechte zum Salzabbau, seinen Prozess um den geplanten Salzabbau in Gorleben. Von Bernstorff wollte die Salzgewinnung gerichtlich erzwingen. Doch das Oberverwaltungsgericht räumte Anfang des Monats dem öffentlichen Interesse an der Endlagerung von Atommüll mehr Gewicht ein als dem Recht auf Salzgewinnung. Ein Rechtsmittel ist gegen dieses Urteil nicht möglich. In erster Instanz hatte das Verwaltungsgericht dem Eigentümer Recht gegeben und das Landesamt für Bergbau angewiesen, eine erste Genehmigung zum Salzabbau zu erteilen. Dagegen hatte das Bergamt Berufung eingelegt.
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Foto: Seilfahrt im Gorlebener Schacht /von Gerhard Ziegler