Am Freitag hatte die Bürgerinitiative Umweltschutz zum großen Ratschlag über den Umgang mit dem aktuellen Endlagersuchgesetz geladen. 80 Gorlebengegner diskutierten einen Abend lang intensiv, ob und wie sie sich am Dialog beteiligen wollen.
Eines war schnell sichtbar: das Vertrauen in die Politik ist bei den wendländischen Atomkraftgegnern derart tief erschüttert, dass sie sich kaum vorstellen können, dass der vorliegende Gesetzesentwurf dazu beiträgt, dass der womögliche Endlagerstandort Gorleben im Verlauf des Prozesses aus wissenschaftlichen Gründen aus dem Rennen geworfen wird.
Wolfgang Ehmke, Sprecher der BI zeigte sich davon überzeugt, dass "das was da beschlossen wurde, den gesellschaftlichen Großkonflikt nicht befriedet". Nicht nur Ehmke hegt den Verdacht, dass der Entwurf deswegen so schnell verabschiedet werden oll, damit das Konfliktthema aus dem kommenden Bundestagswahlkampf herausgehalten wird, um sich verschiedene Koalitions-Optionen offen zu halten.
Auch für Martin Donat, Vorsitzender der BI, ist der "Konflikt in diesen sogenannten Konsens hinein geschrieben".
Vor allem an Benennungsverfahren und Zusammensetzung der Enquete-Kommission (nach dem neuesten Entwurf Bund-Länder-Kommission genannt), die Verbindlichkeit der Ergebnisse dieses Gremiums, der vorgeblichen Allmacht der Regulierungsbehörde sowie fehlende bis mangelnde Beteiligungsrechte von Ländern und Kommunen sowie Bürgern stoßen auf teils massive Kritik der Gorlebengegner.
Straße versus Politik
Doch bei aller Kritik an dem "schnell zusammen gestrickten" Gesetz mehrten sich am Freitag Abend auch die Stimmen, die dem Prozess eine Chance geben wollen und für eine Beteiligung an dem Verfahren plädierten.
Nicht nur BI-Anwalt Thomas Hauswaldt warnte davor, sich nicht an der Enquetekommission zu beteiligen. "Mich stört am meisten, dass die Regulierungsbehörde schon mit dem Start des Prozesses eingesetzt wird," so Hauswaldt. "Da diese Behörde die Arbeit der Kommission organisieren soll, steht zu befürchten, dass sie durch ihre Professionalität und Kontinuität die Kommission vor sich hertreibt." Hauswaldt plädierte dringend dafür, in die Kommission "Jemand von uns" zu schicken, der/die mit kritischem und Sachverstand wesentliche Fragen einbringen kann.
Eine Ansicht, die vor allem bei den Anhängern des ausschließlichen Straßenwiderstands - allerdings nur durch wenige Widerständler vertreten - auf vehemente Ablehnung stieß. "Wir sehen keinen Sinn mehr darin, uns auf politische Spielchen einzulassen," war hier die einhellige Meinung.
Im Verlaufe des Abends kam nicht nur BI-Sprecher Ehmke zu dem Schluss, dass es wohl am sinnvollsten wäre, sich an eine sinnvolle Rollenverteilung zu erinnern. "Wir müssen drinnen und draußen kämpfen," fasste Ehmke die Diskussion zusammen. Drinnen - durch Beteiligung an der Kommission, draußen - durch vehementen Widerstand auf der Straße.
Dass das Zusammenspiel von "Drinnen und Draußen" zur Zeit allerdings nicht sonderlich gut funktioniert, wurde deutlich, als Rebecca Harms (Europaparlament Grüne und BI-Mitbegründerin) die Diskussionen der letzten Tage auf der politischen Ebene erläuterte. Ihre Einschätzung der aktuellen politischen Lage mochten einige gar nicht hören. "Die Politik ist hier nicht gefragt," musste sich die Fraktionsvorsitzende der Grünen anhören, die seit über 35 Jahren gegen Atomanlagen in Gorleben kämpft.
Harms ließ sich nicht beirren und machte den Anwesenden deutlich, dass die Bewegung sich über die politische Dimension verständigen müsse und dass nur eine konkrete und kritische Einmischung in den Prozess die einzige Chance bieten wird, dass es zu einem tatsächlichen Neustart in der Endlagersuche kommt.
"Nun sehen die Beteiligten in den anderen Ländern, was ein wirklicher Neustart in der Endlagersuche bedeutet, nämlich, dass sie die Probleme, mit denen wir uns seit Jahrzehnten herumschlagen, dann bei sich haben werden," so Harms.
Auch Harms stört, dass das Gesetz verabschiedet werden soll, bevor die Kommission ihre Arbeit beendet hat. "Das was am Ende rauskommt, bleibt unklar," kritisiert die EU-Politikerin. Aber sie wies auch darauf hin, dass es auch unter anderen politischen Verhältnissen zu keinem besseren Ergebnis gekommen wäre. Es sei nur richtig, wenn die Standortregionen Druck machen und am Prozess teilnehmen.
Ob der "große Spannungsbogen zwischen Straße und Politik" aber gelingt, bleibt offen. Viele wendländische Gorlebengegner trauen der Politik so wenig, dass sie nicht einmal mehr erkennen mögen, wo sie noch Bündnispartner in der Politik haben, die ihre Anliegen durchsetzten könnten. So wurde selbst die Frage, ob "wir" das Angebot des Ministerpräsidenten Stephan Weil und Umweltminister Stefan Wenzel, sich im Wendland noch einmal der Diskussion zu stellen, annehmen sollen, zu einer längeren, zähen Debatte, auch wenn es immer wieder im Raum raunte, das "sei doch gar keine Frage, natürlich müsse man das Angebot annehmen."
Die Überlegung, dass die beiden Politiker auch von anderen Beteiligten - Landrat, Kreistag, Naturschützern oder schlicht einer freien Bürgergruppe - eingeladen werden könnten, kam der Versammlung gar nicht. ...
Am Freitag Abend jedenfalls signalisierte die Mehrheit der Anwesenden, dass sie hochkritisch sind, aber die Chance des "ganz kleinen Schlüssellochs" Enquetekommission, wie es Martin Donat bezeichnete, nutzen wollen. So sollen zum Beispiel Fachtagungen organisiert werden, die die Arbeit der Kommission wissenschaftlich ergänzen sollen.
PS: der finale Gesetzesentwurf liegt vor
Inzwischen hat das Bundesumweltministerium einen überarbeiteten Gesetzentwurf zur Endlagersuche vorgelegt und präzisiert die Einrichtung der Enquete-Kommission. Diese Bund-Länder Kommission (so der neue Name) besteht demnach aus sechs Abgeordneten des Deutschen Bundestages, sechs Vertreterinnen oder Vertretern von Landesregierungen, vier Vertreterinnen oder Vertretern aus der Wissenschaft, zwei Vertreterinnen oder Vertretern von Umweltverbänden, zwei Vertreterinnen oder Vertretern von Religionsgemeinschaften, zwei
Vertreterinnen oder Vertretern aus der Wirtschaft und zwei Vertreterinnen oder Vertretern der Gewerkschaften und hat somit 24 Mitglieder. Die Mitglieder sollen einvernehmlich von Bundestag und Bundesrat gewählt werden.
Die Kommission soll bis zum 31.12.2015 den Bericht zum Standortauswahlverfahren möglichst im Konsens, mindestens aber mit einer Mehrheit von zwei Dritteln ihrer Mitglieder beschließen.
Foto / Angelika Blank: Skepsis und Misstrauen dominierten am Freitag abend den BI-Ratschlag im Dannenberger Ostbahnhof