Über 70 000 Flüchtlinge haben in diesem Jahr bisher in Deutschland
um Asyl gebeten. 124 davon werden in der nächsten Zeit in
Lüchow-Dannenberg eintreffen, wo sie sich aufhalten müssen, bis ihr
Asylantrag entschieden ist. Keine leichte Aufgabe - weder für die
Flüchtlinge noch für die Gemeinden, die sie aufnehmen müssen.
Beispiel Gartow: dort leben seit einigen Wochen zwei Georgier, die
vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge dem Landkreis
Lüchow-Dannenberg zugewiesen worden sind. Sie sind die ersten zwei von
insgesamt 17 Asylbewerber_innen, die die Samtgemeinde in der nächsten
Zeit noch aufnehmen soll.
Beide sprechen weder Englisch noch sonst eine Sprache, für die eine
Chance bestünde, hierzulande einen Übersetzer zu finden.
Bürgeramtsleiter Lutz Haas bemüht sich nach Kräften, den beiden Asylbewerbern im Alltag zu helfen. "Doch das ist nicht einfach," so Haas. Mit viel Glück fand Haas in Dannenberg eine Frau, die Georgisch spricht und zumindest per Telefon in Problemfällen übersetzen kann.
Die Probleme der dezentralen Unterbringung
Eigentlich ist es nach Auskunft des Bundesamtes für Migration und
Flüchtlinge (BAMF) vorgesehen, dass die Asylbewerber in dem Landkreis,
wo sie untergebracht werden, sozial betreut werden. "Die
Länder haben im Rahmen der Unterbringung auch die Betreuung der
Asylbewerber, beispielsweise durch Sozialarbeiter, zu gewährleisten,"
heißt es in einer Antwort des BAMF auf eine entsprechende wnet-Anfrage.
Bei der Kreisverwaltung in Lüchow gibt es diese Ansprechpartner auch.
Doch bei der Alltagsbewältigung in Gartow (oder einer anderen Gemeinde
im Landkreis) hilft das wenig. Deswegen will der Sozialausschuss Gartow
dafür sorgen, dass eine Ehrenamtlichen-Initiative die soziale Betreuung
der Asylbewerber übernimmt.
Nicht
nur an dieser Stelle zeigen sich die Ungereimtheiten des
Asylverfahrens. Jahrelang kämpften die Grünen im Landtag, die Piraten
und Flüchtlingsinitiativen darum, dass Asylbewerber dezentral
untergebracht werden. Der ehemalige Innnenminister Schünemann hatte
diese Forderungen z.B. Im Jahre 2009 mit dem Verweis auf "eine
effektivere Gestaltung der Querschnittsaufgaben und damit eine
Verbesserung der Wirtschaftlichkeit " abgelehnt und die Unterbringung in
zentralen Aufnahmelagern verteidigt.
Verteilung nach Einwohnerschlüssel
Seit dem Regierungswechsel werden nun die Asylbewerber in Niedersachsen
so bald wie möglich dezentral untergebracht - was neue Probleme mit
sich bringt. Für die Anzahl der zuzuweisenden Asylbewerber wurde eine Quote nach Einwohnerzahlen festgelegt - für Lüchow-Dannenberg bedeutet dies 124 Flüchtlinge, die der Landkreis aufzunehmen hat. Die Gemeinden erfahren dann ca. 10 Tage vor dem Eintreffen, wieviele Personen aus welchem Land sie aufzunehmen haben.
"Und dann müssen wir Unterkünfte bereit halten," so Bürgeramtsleiter
Lutz Haas. Doch woher - wie in Gartows Fall - auf die Schnelle siebzehn
Wohnungen hernehmen? Private Eigentümer sind gegenüber der Vermietung an
Asylbewerber_innen extrem skeptisch. Öffentliche Unterkünfte stehen
nicht bzw. nicht mehr zur Verfügung.
Und dann kommen sie: aus Afghanistan, Syrien, Iran oder eben Georgien. Mit all ihren Problemen, dramatischen Erfahrungen und Erlebnissen stehen sie in einem Dorf in Deutschland - und hoffen auf ein ruhigeres Leben als bisher.
Einmal Braunschweig und zurück
Dabei gilt es zunächst, die Tücken des bürokratischen Deutschlands zu
erkennen und zu überwinden. Da kommen unverständliche Amtsbriefe in
Deutsch, die sie auffordern, "um 8.00 Uhr morgens" in Braunschweig zur
Anhörung zu erscheinen. Unmöglich, von Gartow aus diesen Termin
einzuhalten. Fünf Stunden dauert die Fahrt mit Bus und Bahn zur Anhörung
im Bundesamt (immerhin: mit dem ersten Bus um 5.13 Uhr wäre zumindest
eine Ankunft um 10.28 Uhr möglich). Allerdings
"geht die Außenstelle gerne auf Wünsche nach Terminen zu einer späteren
Uhrzeit ein, sofern uns diese bekannt werden (beispielsweise durch einen
Anruf)," teilt das BAMF mit. Doch wie bitte anrufen, wenn die
Deutschkenntnisse nicht einmal zum Brötchen bestellen ausreichen?
Kommen die Asylbewerber aber nicht oder zu spät zu ihrer Anhörung, dann könnte ihr Asylverfahren an dieser Stelle beendet sein. Entstanden ist diese Situation, weil der Plan, alle Asylbewerber zunächst in zentralen Aufnahmelagern (die alle in Niedersachsen liegen) unterzubringen und sie erst nach erfolgter Anhörung auf die Länder zu verteilen, angesichts der hohen Anzahl neu eintreffender Asylbewerber_innen nicht funktioniert.
Über 100 000 Flüchtlinge im Jahr 2013
Denn monatlich kommen nach Auskunft des BAMF rund 5.000 Flüchtlinge in Deutschland an, weshalb die Flüchtlinge bereits auf die Bundesländer verteilt werden, bevor ihre Anhörung stattfinden konnte. Folge: sie müssen für die Anhörung erneut in Braunschweig anreisen, egal, ob sie in Lüchow-Dannenberg, Bayern oder Baden-Württemberg untergebracht sind. Die Länder sind dann dafür zuständig, die teilweise recht hohen Fahrtkosten zu übernehmen.
Ändern wird sich an der Situation so schnell wohl wenig. Für das Jahr 2013 werden insgesamt über 100 000 Flüchtlinge in Deutschland erwartet. Immerhin will das BAMF die Praxis überdenken, Briefe an die Asylbewerber lediglich in Deutsch abzuschicken.
In den Gemeinden, die die Flüchtlinge aufnehmen müssen, bleibt die Situation allerdings schwierig. Für die beiden ersten Asylbewerber konnte in Gartow ein ehemaliges Postgebäude eingerichtet werden. Doch für die weiteren 15 Menschen, die demnächst kommen, sucht Bürgeramtsleiter Haas händeringend Unterkünfte.
Der Sozialausschuss Gartow will eine "Willkommenskultur" etablieren, um den Flüchtlingen Ankunft und Dasein in Lüchow-Dannenberg einfacher zu machen. Ob das gelingt, wird die Zeit zeigen.
Foto / Angelika Blank: Das ehemalige Postgebäude in Gartow wurde kurzerhand zu einer Unterkunft für zwei Asylbewerber umgebaut. Doch es fehlen immer noch Wohnungen für weitere 15 Flüchtlinge, die demnächst in der Samtgemeinde untergebracht werden müssen.