Thema: gesundheit

Netzwerk: Hilfe für schwerst erkrankte Kinder

Auf der niedersächsischen Landkarte gibt es einige weiße Flecken, was die Versorgung von schwersst erkrankten Kindern anbelangt. Vor allem auf dem Land. Lüchow-Dannenberg ist ein solcher weißer Fleck. Dies zu ändern, hat sich nun ein Team von Ärzten, Pflegern und Betroffenen vorgenommen.

Zur „Kick-off-Veranstaltung" zum Aufbau eines medizinischen, pflegerischen und psychosozialen Netzwerks für schwerkranke Kinder im Wendland hatte die Elterninitiative „Krebs - Kinder in Not" am vergangenen Mittwoch Abend ins Amtshaus Lüchow eingeladen.

Die Elterninitiative will sich dem „Netzwerk für die Versorgung schwerkranker Kinder und Jugendlicher e.V." mit Sitz in Hannover anschließen. Als Netzwerk-Vertreter sprachen der Vorsitzende, Prof. Dr. Dirk Reinhardt von der Medizinischen Hochschule Hannover sowie Volker Rinne seitens des Geschwisterkinder-Netzwerks.

Vorsitzender Uwe Robohm begrüßte am Mittwoch auch Landrat Jürgen Schulz als Schirmherrn der Veranstaltung. Schulz lobte die Arbeit der Elterninitiative als „das Wertvollste, was Menschen überhaupt leisten können".

Prof. Dr. Dirk Reinhardt, Onkologe an der Medizinischen Hochschule Hannover, leitete seinen Vortrag mit einem Beispiel ein: „Melanie, zweieinhalb Jahre alt, ist an lymphoblastärer Leukämie erkrankt. Die Behandlung dauert sechs bis acht Monate. Anschließend ist eine 18-monatige Erhaltungstherapie erforderlich".

Das bedeutet 125 Fahrten für die Familie - nach Hannover und zurück, auch bei Eis und Schnee.

Recht auf umfassende Versorgung

Die Idee: Zur Erhaltungstherapie reicht es aus, wenn die Betroffenen, statt nach Hannover, nur noch nach Uelzen fahren. Und alle Beteiligten sind ein kleines Stück entlastet.

Solche Entlastungen sind sogar gesetzlich verbrieft, wie Prof. Reinhardt erläuterte: „Der Anspruch auf Optimierung der Nachsorge besteht seit 2003. Seitdem haben schwerkranke Kinder und Jugendliche ein Recht auf umfassende und optimale Versorgung - sowohl stationär als auch ambulant zu Hause. Aber erst 2011 konnten erste Verträge mit den Krankenkassen geschlossen werden", so Reinhardt über die zähen Verhandlungen mit den Kostenträgern.

Während die medizinische Betreuung von schwerkranken Erwachsenen sowohl stationär als auch in der häuslichen Versorgung gegeben sei, weise die flächendeckende Versorgung schwerkranker Kinder vor allem in ländlichen Regionen erhebliche Defizite auf. Reinhardt: „Kinder und Jugendliche verändern sich dynamischer als Erwachsene. Ihr Entwicklungsstand bestimmt das Verständnis von der eigenen Erkrankung, von Heilung, Hoffnung, Angst, Linderung und Tod. Je jünger und sprachloser sie sind, desto schwieriger ist es für Eltern, Geschwister, Ärzten und Pflegekräfte, die Probleme der kleinen Patienten nachzuvollziehen und in die richtige Fürsorge, Behandlung und Pflege umzusetzen. 


Das heutige Versorgungsangebot werde diesem besonderen Bedürfnis gerade in der häuslichen Versorgung nicht gerecht. Die engagierte Arbeit von Kinder- oder Hausärzten sei aber absolut hervorzuheben. "Trotzdem ist dieses Engagement in keiner Weise ausreichend finanziert; eine entsprechende Fortbildung in der pädiatrischen Schmerz- und Palliativmedizin kann durch die Hausärzte in der Regel nicht wahrgenommen werden. Diese sehr belastende Situation wollen wir verbessern – derzeit konzentriert auf das Bundesland Niedersachsen," so Reinhardt weiter.

Das Kernproblem laut Reinhardt: „Die Versorgung von schwerkranken Kindern und Jugendlichen unterscheidet sich wesentlich von der Versorgung erwachsener Patienten. Die jungen bedürfen spezieller Therapien und Zuwendungen; ihre Ärzte und Pflegekräfte müssen entsprechend qualifiziert und letztendlich auch angemessen vergütet sein.

Mehr als Erwachsene benötigen schwerkranke Kinder - neben optimaler Versorgung - kontinuierliche Zuwendung durch feste Bezugspersonen und eine altersgerechte Aufmerksamkeit in der Betreuung.

Schwerkranke Kinder müssen von besonders qualifiziertem Fachpersonal behandelt und betreut werden; Fachpersonal, das durch Ausbildung und Einfühlungsvermögen befähigt ist, auf die körperlichen, seelischen und entwicklungsbedingten Bedürfnisse der Patienten kind- bzw. jugendgerecht einzugehen und optimal zu reagieren. Diese hochspeziellen Leistungen sollten zumindest kostendeckend vergütet werden.

Deswegen empfiehlt Reinhardt: „Für die haus- und fachärztliche Versorgung - insbesondere für die spezielle Schmerztherapie und die Palliativversorgung - müssen multiprofessionelle spezialisierte Versorgungsteams aufgestellt werden, die kompetent, schnell, verlässlich und wirtschaftlich arbeiten".

Familienentlastende Angebote durch das Netzwerk

Sozialpädagoge Volker Rinne stellte familienentlastende Angebote innerhalb des „Geschwisterkinder-Netzwerkes" vor. „Wie ein Mobile bewegt sich jedes Mitglied einer Familie frei, und doch ist die Familie ein festes Gefüge", so Rinne. Bereits kleine Veränderungen können Auswirklungen auf das gesamte Familiensystem haben. Die Stärkung der Selbsterhaltungskräfte der Familie ist vorrangiges Ziel des Geschwisterkinder-Netzwerkes.

Zwar benötigten nur zehn Prozent aller Geschwisterkinder eine therapeutische Intervention, der große Rest ist gesund. Aber natürlich müssen auch die gesunden Geschwisterkinder betreut werden. Rinne: „Das Geschwisterkinder-Netzwerk unterstützt Familien mit schwerkranken oder behinderten Kindern und Jugendlichen durch eine gezielte Förderung der gesunden Geschwisterkinder als Familien-Entlastung und zur Verhinderung von Folgeerkrankungen. Wir vermitteln allgemeine und spezielle pädagogische Angebote für Geschwisterkinder und -jugendliche sowie für Teil- und Gesamtfamilien. Wir vermitteln Beratungen und Seminare für Eltern und Geschwisterkinder. Wir informieren über therapeutische Angebote.

Wir bemühen uns, Geschwisterkinder-Traumwünsche und notwendige Einzelförderungen zu ermöglichen. Wir vermitteln pädagogisch hochwertige Familienangebote und „Auszeiten- z.B. Segeltörns auf dem Schulschiff Alexander von Humboldt II oder Ausflüge in waldpädagogische Camps, ein weiterer Partner ist das Phaeno in Wolfsburg".

Infos: www. betreuungsnetz.org und www.geschwisterkinder-netzwerk.de

Foto / Börn Vogt: Kick off-Veranstaltung zum Aufbau eines Netzwerks für schwerstkranke Kinder auf dem Land: Am Mittwochabend trafen sich in Lüchow Mitglieder der Elterninitiative „Krebs - Kinder in Not" (Mitte: der Vorsitzende Uwe Robohm, daneben der ehemalige langjährige Vorsitzende Alfred Schulz) mit den Ärzten Prof. Dr. Dirk Reinhardt (MHH Hannover, 3.v.li.), Chefarzt Dr. Swen Geerken (Klinikum Uelzen, MVZ Dannenberg, re.) sowie Anke Menzel und Volker Rinne vom Netzwerk für die Versorgung schwerkranker Kinder und Jugendliche (von links). 




2013-09-15 ; von Björn Vogt (autor),
in Lüchow (Wendland), Deutschland

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