Von der Architektur des Gewebes
Für Sybilla Hansl, Tochter des Firmengründers Heinz Röntgen und Mitglied der Geschäftsleitung, ist es überhaupt keine Frage: sie liebt ihre Stoffe. „Ja, da steckt viel Herzblut drin“, lacht sie und möchte sich am liebsten den wunderbaren Jacquard-Stoff umhängen, der in Gartow ausgestellt ist. Immerhin dauert es einige Monate - manchmal sogar Jahre, bis ein neuer Stoff das Licht der Messen und Ausstellungen erblicken darf.
Im Familienunternehmen ist Sybilla Hansl für die technische Umsetzung und Ausrüstung der Stoffe zuständig. Zusammen mit ihren drei Brüdern und ihrer Mutter leitet sie das Unternehmen, das ihr Vater bereits 1964 in Düsseldorf gründete. Noch heute ist der visionäre Geist von Heinz Röntgen in den Stoffen spürbar. Kompromisslos werden die Stoffe nach dem Grundprinzip „höchste Qualität und Funktionalität“ produziert. „Da braucht es auch bei unseren Produzenten die Grundeinstellung, dass Qualität und Sorgfalt über alles geht. Das lässt sich nicht mit jedem Unternehmen umsetzen“, so Sybilla Hansl. Nicht nur aus diesem Grund werden 85 % der Stoffe in Europa hergestellt.
Ganzheitliches Erlebnis Dekostoff
Was Mensch dann erleben kann, sind Stoffe, die in ihrer Einzigartigkeit kaum jemanden unberührt lassen. „Diese Stoffe haben eine derart sinnliche Balance zwischen dem, was Augen sehen, Hände fühlen und Ohren hören können, dass es schier unglaublich ist“, begeisterte sich auf der Vernissage der Kunstprofessor Alex Kufus, an der Universität der Künste Berlin in der Fakultät Gestaltung für Entwerfen und Entwickeln zuständig. „Besonders faszinierend ist der Gesamteindruck. Schon weitem wecken die Stoffe Interesse und je näher man kommt, umso mehr ist man fasziniert.“
Was Hände fühlen und was Augen sehen können – gut, das ist bei Stoffen noch nachvollziehbar. Doch was Ohren können? Als Gestaltungsmerkmal von Textilien? „Ja klar, je nach vorgesehenem Zweck spielen bei der Auswahl eines Stoffes die Soundqualitäten eine nicht unwichtige Rolle“, so Sybilla Hansl. „Eine fein gewebte Seide hat beim Anfassen oder beim Wehen im Wind einen völlig anderen Klang als ein in drei Lagen gewebter Jacquard-Stoff.“
Diese Sorgsamkeit auf allen Ebenen ist es, die Prof. Axel Kufus schierweg zum Schwärmen bringt. Unbedingt müsse man sich „diesen herrlichen Jacquard-Stoff“ anschauen, der einem „ganzheitlichen Erlebnis“ gleichkomme. „Schauen Sie hier“, vorsichtig zieht Kufus die Lagen des orangen leuchtenden barocken Dekostoffs „Tarantella“ auseinander. „Das ist doch Architektur. Architektur des Gewebes. Wie die einzelnen Stofflagen miteinander verwoben sind. Mal sind Fäden aus allen drei Lagen fest miteinander verbunden, an anderer Stelle liegen sie lose übereinander, hier dringen bestimmte Farbtöne durch, dort andere. Und von hinten hat der Stoff noch eine ganz andere Wirkung. Da wird das Muster, was schon auf Papier sehr dreidimensional wirkte, in seiner Plastizität noch einmal betont.“ Unglaublich sei es, wie Nya Nordiska es immer wieder schaffe, einer einfachen Papierzeichnung in einem ganz anderen Medium zu einer so viel höheren Wertschöpfung zu verhelfen. Wunderbar auch, dass man hier in der Ausstellung sehen könne, was aus der anfänglich womöglich einfachen Skizze im Endprodukt wird.
Kein (bedeutsamer) Textildesign-Wettbewerb ohne Nya Nordiska
Die Verbindung uralter Techniken mit modernen High-Tech-Geweben, aber auch die Technologie der Gewebe und nicht zuletzt die Gestaltungsideen sind es, die Nya Nordiska schon seit Jahren zu den Gewinnern des begehrten „red dot“-Awards gehören lassen. Mit mehr als 8.000 Anmeldungen aus insgesamt 60 Ländern zählt der red dot design award zu den größten Designwettbewerben weltweit. Nya Nordisky konnte die Jury nun schon fünf mal von ihren Produkten überzeugen: 1998, 2004, 2006, 2007 und 2008 wurden jeweils mehrere Stoffe ausgezeichnet - insgesamt 50 mal konnten sie den Preis inzwischen schon einheimsen.
Neben dem "red dot" hat Nya über die Jahre 180 Auszeichnungen für ihr Design erhalten. Vom Designpreis der Bundesrepublik Deutschland bis zum GOOD DESIGN Award des Chicago Athenaeum, dem traditionsreichsten internationalen Designpreis sind in der Liste der Preise so ziemlich alle Wettbewerbe vertreten, die im Textildesign Rang und Namen haben.
Verantwortlich für die Entwicklung des Designs ist ein Dreier-Team: Sybilla Hansl, ihre Mutter Diete Hansl-Röntgen und die Textildesignerin Alice Pieper entscheiden gemeinsam, welche Muster ihrer "Stamm"-Designer wie Jutta Hüneke, Noriko Hiroshige, Frauke Jaruntowski oder Irmhild Schwarz als Grundlage für einen neuen Stoff dienen sollen. Alljährlich werten sie die Vorschläge der freien Künstler aus - und legen die neue Linie fest.
Für Jochen Herbst, Initiator der Gartower „Kunstkammer“ ist es keine Frage, dass die Stoffe Nya Nordiskas als Kunst gelten müssen. „Sicher ist bei den Stoffen von Nya Nordiska viel Handwerk im Spiel – aber eben auch viel Kopfarbeit. Das ist Kunst, so wie wir Kunst sehen. Denn Kunst beinhaltet immer auch das Handwerk“, wehrt sich Jochen Herbst gegen Vorwürfe, dass man ja jetzt in der Kunstkammer auch „Kunsthandwerk“ ausstelle.
So können die Besucher in Gartow noch bis zum 31. Juli ein Stück Deutsche Designgeschichte erleben. Und sie können erfahren, wie aus einem auf Papier gemalten Dessin ein kunstvoll und technologisch auf höchstem Standard produzierter Dekorationsstoff wird. Zart und durchsichtig wie Pergamentpapier – oder rauh wie Sackleinen und doch prächtig schillernd wie ein prunkvoller Vorhang aus einem kaiserlichen Palast.
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Öffnungszeiten (bis zum 31. Juli):
Freitag 16 - 19 Uhr
Samstag 10 - 14 Uhr
Sonntag 11 - 13 Uhr
und nach Vereinbarung unter Tel. 05846-1745
oder 05846-979482
Titelbild: Sybilla Hansl mit ihrem Stoff "Tarantella"
Fotos: Angelika Blank