Der Himmel war seit Wochen blau, nichts als blau. Alle Regentonnen waren leer, und die Sonne brannte das letzte Grün aus der Landschaft. Am 15. Juli stand die Diplomlandwirtin Marlene S. gerade vor ihrem Maisacker; er sah aus wie die Felder, die sie aus Fernsehsendungen über Ruanda kannte. Da entdeckte sie am westlichen Himmel eine weiße Wolke; sie hatte ungefähr die Form einer Sahnetorte.
Man darf Frau S. als aufgeklärte Bäuerin bezeichnen, aber angesichts der Wolke tauchten Erinnerungen an ihre Großmutter auf und ihr Rezept für solche Notzeiten: „Du mußt Wäsche auf die Leine hängen, Kind, dann regnet es garantiert.“ Frau S. eilte nach Hause; eine Stunde später schwebte die Wolke senkrecht über der einladend mit Bettlaken vollgepackten Wäscheleine. Die Wolke sah jetzt aus wie eine Sahnetorte, in die jemand mit der Faust geschlagen hatte. Etwas weiter östlich löste sie sich allmählich auf.
Gegen Ende Juli schwamm eine Wolke heran, die einem Blumenkohl ähnelte, der von einer Raupe verfolgt wird. „Dir zeig’ ich’s!“, murmelte Frau G. mit zusammengebissenen Zähnen. Sie drapierte ihren roten, zwanzig Meter langen Gartenschlauch in auffälliger Schlangenform auf die Reste ihres Rasens und warf einen provozierenden Blick zum Himmel. „Das hilft doch nicht“, rief ihre Nachbarin, Katharina M., über den Zaun. „Fenster putzen, das bringt’s!“ Und sie fuhr fort, die große Scheibe ihres Wohnzim-merfensters von außen zu bearbeiten. Die Raupe fraß den Blumenkohl und verdaute sich dann selbst. Der Himmel war uneingeschränkt blau.
Am 12. August bemerkte Herr August Z., der deprimiert zwischen den jung angepflanzten kostbarexotischen Bäumchen seines Gartens umherstrich, eine zartgrau schattierte Wolke in Form eines auf dem Rüssel balancierenden Elefanten ohne Stoßzähne. „Dann muß es eben sein“, seufzte er, fuhr sein neues BMW-Cabrio auf einen nahebei liegenden Acker, öffnete das Verdeck und ging nach Hause. Am nächsten Tag weigerte sich seine Frau, auf den eingestaubten Polstern Platz zu nehmen.
Eine Woche später zelebrierte der katholische Pfarrer Josef R. mit seiner Gemeinde einen Bittgottesdienst zum heiligen Petrus, dem himmlischen Bevollmächtigten in Wetterangelegenheiten. Aber St. Petrus war gerade damit beschäftigt, ertragreiche Anbaugebiete im Mekong-Delta wegzuschwemmen.
Am 21. August warb die erfolgreiche Geistheilerin Isadora St.-G. per Anzeige in der Lokalzeitung für einen Vollmondnackttanz auf dem Osterfeuerplatz: So hätten die Ahnen in mythischer Vorzeit den Regen herbeigerufen. Die Anregung stieß auf überwältigende Resonanz. Der Vollmond wurde eine Weile von einer silbernen Wolke beschattet, die wie ein Eisbär aussah, der gerade eine Albinorobbe verschlang; übrig blieb merkwürdigerweise die Robbe, die den Mond bald wieder freigab.
Zwei Tage später erblickte Frauke M. eine Wolke, in der sie die freundlichen Rundungen ihrer Patentante Klara wiedererkannte. Sie warf einen Blick auf ihre verkümmerten Bohnen und raunte wehmütig vor sich hin: „Opfer müssen wohl sein.“ Sie zog ihr fast neues Lieblingskleid an; es war mit großblumigen Petunien bedruckt und innen mit einem Etikett versehen: „Nur chemisch reinigen! Nicht waschen!!“ Sie hatte es erst einmal zu einer Abendeinladung getragen und den Rock, über den ihr Tischnachbar sein Glas gekippt hatte, später auf Minimallänge gekürzt, was dem Kleid sogar noch mehr Schick verliehen hatte – Tante Klara pinkelte fünf Tropfen.
Ende August war die Landschaft nicht mehr fahl. Sie zerbröselte in Siena- und Umbratöne. Um diese Zeit erfuhr der Redakteur der Lokalzeitung von dem archaischen Treiben der einheimischen Regenmacher und war schockiert: „Magie!“, knurrte er, „Regenzauber! Es ist nicht zu fassen!“ Er war noch jung und überzeugt, es sei die Aufgabe des Journalisten, den Menschen das Licht der Aufklärung zu bringen. So machte er sich an einen zornigen Kommentar, der solch „peinlich atavistische Praktiken“ verdammen sollte, mittels derer „Menschen des Computerzeitalters schamlos in steinzeitliche Verhaltensweisen zurückzufallen drohten“.
Voller Eifer hämmerte er seine Botschaft in den Dienstcomputer. Dabei bemerkte er nicht, daß es um ihn herum immer dunkler wurde. Erst ein Blitz und fast gleichzeitiger Donnerschlag schreckten ihn auf.
Und dann begann es zu regnen. Der Regen fiel den September, Oktober hindurch, den ganzen Winter über und zerschlug im Frühjahr noch die Kirschblüten.