350 Mitarbeiter von Polizei, Feuerwehr, THW und DRK übten am Sonntag in Dannenberg, wie sie bei einem Attentat zusammenarbeiten. Letztendlich dauerte es mehrere Stunden, bis die Situation völlig geklärt und alle "Opfer" in Sicherheit gebracht waren.
Das Szenario, mit dem sich rund 350 Beteiligte der sogenannten "Vollübung" am Sonntag Vormittag auseinandersetzen mussten, hatte es in sich. Der Notruf kurz vor 11 Uhr morgens hörte sich noch nach Routine an:
"Streitigkeiten im Famila-Supermarkt" hieß es am Telefon. Doch nur
wenige Minuten später änderte sich die Lage. Anrufer meldeten, dass
Schüsse fallen.
Nach dem fiktiven Übungsszenario waren die Täter in den gut besuchten
Einkaufsmarkt geflüchtet und beschossen schon die erste Polizeistreife. Wenig später stellte sich heraus, dass es mehrere Täter sind, die sich im Gebäude aufhielten und immer wieder um sich schossen.
Für die örtlichen Polizisten aus allen Polizeistationen des Landkreises, die sich sonst hauptsächlich mit Unfällen, Streitigkeiten und Körperverletzungen auseinandersetzen müssen, eine besondere Lage, die praktisch nie vorkommt. Trotzdem mussten sie rund eine halbe Stunde lang alleine in dem unübersichtlichen Supermarkt zurechtkommen, bevor sie vom Mobilen Einsatzkommando aus Lüneburg unterstützt werden konnten. Theoretisch haben die Beamten alle in ihrer Ausbildung gelernt, mit solchen "Lagen" fertigzuwerden, aber kaum jemand hat so etwas schon leibhaftig erlebt. "Gerade deswegen, weil solche Situationen nur sehr selten vorkommen, veranstalten wir derartige Übungen, damit die Beteiligten lernen, was im konkreten Fall auf sie zukommt," so eine Polizeisprecherin.
Gut geplant und umgesetzt - und trotzdem gab es Tote und Verletzte
Rund 60 Beobachter konnten das Geschehen über zwei Leinwände mitverfolgen und mussten erleben, wie kompliziert es ist, in einem unübersichtlichen Gebäude wie dem famila-Supermarkt auch nur festzustellen, wie viele Täter im Gebäude sind und wie viele Opfer es inzwischen gegeben hat. Drei Ausgänge, eine Tiefgarage, ein Treppenaufgang mit Aufzug, Lagerräume sowie ein riesiger Verkaufsraum mit übermannshohen Regalen und Zwischenwänden machten es den ersten vier Ortspolizisten so gut wie unmöglich, sich einen Überblick zu verschaffen. Erst als weitere Kollegen zur Unterstützung eintrafen, gelang es, einen Abschnitt nach dem anderen zu klären und für sicher zu erklären.
Wenige Minuten nach dem ersten Notruf alarmiert, traf das Mobile Einsatzkommando aus Lüneburg laut Übungsszenario rund eine halbe Stunde später ein - eine realistische Zeiteinschätzung.
Auf den ersten Blick war nicht zu erkennen, dass es zu größeren Unstimmigkeiten zwischen den verschiedenen beteiligten Einheiten gekommen wäre. Jeder Schritt, jede Aktion schien gut geplant und perfekt aufeinander abgestimmt.
Anderthalb Stunden bis die Rettung kommt
Doch immer wieder tauchten Herausforderungen auf, die gemeistert werden mussten - und sei es nur eine Eingangssperre, die von der anderen Richtung nicht zu öffnen war. Also konnten die Opfer nicht so schnell aus der Gefahrenzone entfernt werden, wie es notwendig gewesen wäre. Insgesamt dauerte es anderthalb Stunden, bis die Polizisten in dem unübersichtlichen Gebäude alle Täter ausgeschaltet bzw. verhaftet hatten und alle Ecken des Gebäudes für sicher erklären konnten. Der Einsatzleiter der Polizeiinspektion Lüchow, Thomas Behnken, wies darauf hin, dass diese Dauer als eher kurz anzusehen ist. "Wir haben für die Übung einige Alltags-Schwierigkeiten wie den benachbarten Getränkemarkt, das Restaurant oben auf dem Plateau oder einen voll besetzten Parkplatz außen vor gelassen, sonst hätte die Auflösung der Situation wesentlich länger gedauert."
Erst nachdem sichergestellt war, dass keine Gefahr mehr bestand, konnten Notärzte, Sanitäter, Feuerwehrkameraden und Notfallseelsorger sich um die Opfer kümmern. Das betraf auch die Schwerstverletzten. Im Ernstfall wären trotz aller Bemühungen fünf Menschen tot - davon zwei der Täter - und 19 Kunden teilweise schwerst verletzt gewesen. Ein dritter Täter konnte verhaftet werden.
Insgesamt waren rund 350 Beamte und Helfer von Polizei, Feuerwehr, DRK und THW im Einsatz. Allein das DRK hatte über 100 Rettungskräfte und Helfer aufgeboten. Am Ende stellte DRK-Kreisbereitschaftsleiter Matthias Lippe fest, dass sie mit der Übungslage zwar gut zurechtkamen, aber: "Wenn es über 25 Verletzte werden, kommen wir an unsere Grenzen," so Lippe. Insgesamt stehen dem DRK in Lüchow-Dannenberg 127 Ehrenamtliche zur Verfügung, aber die Gesamtlogistik inklusive Gerätschaften und Ausstattung würde bei einer so hohen Verletztenzahl nicht mehr ausreichen. Zumal die nahegelegen Krankenhäuser mit einer derartigen Anzahl an Verletzten auch überfordert wären. Also wären Transporte nach Uelzen, Lüneburg oder Salzwedel notwendig - was wiederum zur Folge hätte, dass Rettungskräfte vor Ort fehlten.
Außerdem müssen alle geretteten Opfer registriert und durchsucht werden - schließlich könnte es sein, dass sich ein Täter unter die Opfer gemischt hat.
Eine Bewertung steht noch aus
Wie gesagt: auf den ersten Blick war nicht zu erkennen, dass es zu Unsicherheiten bei der Bewältigung der Situation oder zu Unstimmigkeiten zwischen den Beteiligten Institutionen gekommen war. Doch die Bewertung der Großübung steht noch aus. In den nächsten Wochen werden die Videoaufnahmen gesichtet, die begleitenden Beobachter geben ihre Beurteilungen ab und das gesamte Material wird ausgewertet. Erst dann wird sich zeigen, wo eventuelle Schwachstellen im Ablauf bzw. in der Zusammenarbeit liegen.
Der Übungsleiter Polizeidirektor Roland Brauer, zeigte sich jedenfalls schon am Sonntag Mittag hochzufrieden mit dem Ergebnis. Sein Fazit: "Die Übung hat uns gezeigt, dass die beteiligten Behörden hervorragend zusammenarbeiten können und für den Ernstfall gewappnet sind."
Kreisbrandmeister Claus Bauck äußerte sich nicht so euphorisch, wertete die Übung aber als "sehr wertvoll" für die weitere Arbeit.
Angesichts des schlimmen Attentats-Szenarios möchte man gerne etwas Beruhigendes sagen, doch die bittere Erkenntnis ist: wenn Mensch unversehens in so eine Situation gerät, gibt es keine Garantie, dass man es unverletzt übersteht - trotz aller Professionalität von Polizei und den anderen Hilfsinstitutionen.
Fotos | Angelika Blank: Die meisten Fotos stammen aus der Leinwandpräsentation, deswegen die schlechte Qualität. Aber sie machen deutlich, mit welch unübersichtlichen Verhältnissen die Polizisten zu kämpfen hatten.