Über ein Jahr mussten sich die rund 3000 Menschen zwischen Trebeler Wald, Höhbeck und Elbe mit einem schmalen Angebot zufrieden geben – seit Donnerstag können sie wieder aus einem üppigen Sortiment auswählen: der EDEKA-Markt "Hildebrandt" hat wieder geöffnet.
Es ist zwar nur ein Supermarkt, der in Gartow wiedereröffnet wurde, ein Supermarkt, wie es ihn in vielen Orten und Städten gibt - zugegeben mit einem überdurchschnittlich üppigen Sortiment. Für die rund 3000 Menschen zwischen Schnackenburg und Trebel, zwischen dem Höhbeck und Aulosen war „Hildebrandt“ aber schon immer mehr: der Supermarkt war schon vor dem Großbrand im August 2012 Versorgungszentrum, Informationszentrale und Treffpunkt in einem - morgendlicher Klönschnack über die Tresentheke inklusive. Hier wurde der neueste Klatsch ausgetauscht, Alltagsprobleme besprochen (und oft auch gelöst) und Kaffee getrunken. Und den Inhaber sah man beinahe täglich mit einem Einkaufswagen durch die Regale wandern. Mit Einkaufszetteln bewaffnet, sammelte er höchstpersönlich die Gegenstände zusammen, die er später am Tag an Ältere, Kranke oder aus anderen Gründen Immobile ausliefern würde.
Ein Großbrand veränderte den Gartower Alltag
Die Nacht zum 17. August 2012 war deshalb nicht nur für Volker Hildebrandt, Inhaber des seit Jahrzehnten familiengeführten Supermarktes, eine Katastrophe. Bis heute ist nicht geklärt, wer mitten in der Nacht einige Pappkartons im Außenbereich anzündete und damit für die komplette Zerstörung des Marktgebäudes und die Unbewohnbarkeit des benachbarten Wohnhauses sorgte. Auch die Einwohner der umliegenden Ortschaften waren geschockt: Über Nacht war ihnen ihre Hauptversorgungsquelle abgebrannt. Da zufällig in der gleichen Zeit auch der einzige noch im Ort vorhandene Schlachter zugemacht hatte, wurde der Einkauf von frischer Wurst, Fleisch und Käse zum Abenteuer, der viele der Kunden nötigte, sich verstärkt in Lüchow oder Dannenberg zu versorgen. Allein ein auswärtiger Schlachter sorgte mit seinem Stand auf dem Wochenmarkt wenigstens einmal in der Woche für "Frischfleisch".
Auch gute Weine suchte man in Gartow seit dem vergangenen Herbst vergeblich: im Spätherbst hatte auch der Getränkehandel Kleint sein Geschäft geschlossen, so dass auch im Bier-, Wein und Spirituosenbereich nur noch die Discounterware zu bekommen war. Nix Vielanker, nix Wendlandbräu, nix Vinho Verde oder Rioja Reserva. Selbst der Kauf von Coca Cola in Halbliterflaschen wurde für Gartower zur Odyssee – erst in Lüchow, Dannenberg, Wittenberge oder Salzwedel wurden die Colasüchtigen fündig.
Wiedereröffnung war lange ungewiss
Über ein halbes Jahr zitterten Gemeindevertreter und Einwohner des Gartower Raums, ob ihr Supermarkt mit Vollsortiment wieder aufmachen würde. Schwierigkeiten mit der Versicherung, die Tatsache, dass Volker Hildebrandt schon deutlich über 50 Jahre alt ist sowie enorme Kosten für den Wiederaufbau ließen Volker Hildebrandt und seine Frau Heidrun lange zögern, ob sie dieses Wagnis wieder eingehen sollten.
Doch letztendlich gab die EDEKA-Nord
ihr Einverständnis, nachdem auch die Versicherungen sich bereit
erklärt hatten, den Schaden zu übernehmen. Denn: die Brandstiftung
ist bis heute nicht aufgeklärt – eine der beiden Versicherungen
wollte diese gar dem Inhaber anlasten und hielt die
Schadensregulierung zurück. Auch ein familiärer Schicksalsschlag
und die erst zwei Jahre zuvor erfolgte Renovierung des Ladens
stellten die Wiedereröffnung unter eigener Regie für Hildebrandt massiv in Frage.
Kein Wunder, dass der neu gestaltete
Parkplatz schon am frühen Morgen aus allen Nähten platzt. Von nah
und fern sind die Interessierten gekommen, um sich über das neue
Angebot zu informieren - und kräftig einzukaufen. Allein an der Frischfleisch-Theke bilden sich
in kürzester Zeit lange Schlangen.
"Auf dass die Regale abends immer leer sind"
Um die Funktion eines „Treffpunktes“ noch weiter zu stützen, gibt es jetzt übrigens beim eingemieteten Stand der Bäckerei Stahlbock einen Cafébereich mit rund 20 Plätzen, der zum längeren Aufenthalt bei „Hildebrandt“ einlädt, was am Eröffnungstag auch ausgiebig genutzt wurde.
Und da ein großer Teil der ehemaligen Angestellten wieder eingestellt werden konnte, war es am Donnerstag Abend ein bißchen wie beim Familientreffen - endlich wieder altvertraute Gesichter hinterm Tresen, das gewohnte Brot im Regal und auch für "Zimtbrötchen von Stahlbock" muss jetzt niemand mehr nach Lüchow fahren. Der Mensch ist halt doch ein Gewohnheitstier - besonders wenn die Einkaufswünsche so persönlich erfüllt werden wie bei "Hildebrandts".
Foto / Angelika Blank: Nach über einem Jahr war es geschafft. Da war zur Wiederöffnung ihres Supermarktes schon mal ein Sekt fällig. Mit den neuen Inhaberin Heidrun Hildebrandt (2. von links) und Bauherr Volker Hildebrandt (2. von rechts) freuten sich Samtgemeinde-Bürgermeister Friedrich-Wilhelm Schröder (li.) und Gemeinde-Bürgermeister Ulrich von Mirbach (re.)