Thema: bundeswehr

Meinung: Wir sind wieder wer!

Eine der möglicherweise folgenreichsten Entscheidungen der Nachkriegszeit geht nahezu spurlos an den deutschen Medien vorbei. Niemand scheint es als problematisch zu empfinden, daß die Bundeswehr eine Berufsarmee wird. Außer „zero“. Helmut Koch zur Abschaffung der Wehrpflicht.

Wehrpflicht ausgesetzt...“ So war die Nachricht. Und alles jubelt oder bleibt ruhig. Die offenbar Einzigen, die es stört, sind die sozialen Dienste, denen nun die Zivis fehlen, und vielleicht noch die Arbeitsagenturen, die neben diesmal gleich zwei Abiturjahrgängen nun nicht einmal mehr eine Entlastung durch Wehrdienstleistende bekommen. Das war’s. Niemandem außer mir scheint es bei dem Gedanken an eine Berufsarmee eiskalt den Rücken herunterzulaufen.

Jemand sehr Wichtiges ist gerade gestorben: der „Bürger in Uniform“. Anders ausgedrückt: die Bundeswehr wurde soeben aus der Zivilgesellschaft herausgelöst. Warum eigentlich? Weil es billiger ist? Weil sich mit Berufssoldaten besser Krieg führen läßt? Weil damit die europäischen Grenzen besser vor „Wirtschaftsflücht-lingen“ (die wegen von uns gemachtem Hunger und von uns gemachten Katastrophen immer mehr hierherdrängen) geschützt werden können? Oder weil man mittelfristig das eigene Volk fürchtet und für den Notfall einen Machtapparat braucht, der nicht vom Volk „infiziert“ ist?

Es ist noch gar nicht so lange her, daß das Recht, Waffen zu tragen, Adligen und ihren Söldnern vorbehalten war. Das waren Berufsheere, die ihrem jeweiligen Herren verpflichtet waren, ob Göttern, Päpsten, Kaisern oder Königen. Erst nach der französischen Revolution war es Napoleon, der eine allgemeine Wehrpflicht anordnete. Die preußischen Reformen 1813 übernahmen das Modell, und erst im amerikanischen Bürgerkrieg wurde in den Nordstaaten eine Wehrpflicht eingeführt (und später wieder abgeschafft). Heute beklagen sich viele US-Amerikaner über den schlechten inneren Zustand ihrer Armee, weil sich hier in den unteren Dienstgraden, wie in jeder Berufsarmee, in starkem Maße das Sediment der Gesellschaft sammelt. Die immer wieder bekannt gewordenen Übergriffe der Soldaten und Soldatinnen – ob in Vietnam, Irak oder Afghanistan – belegen dies.

In Europa waren bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts die adligen Offizierskorps der wichtigste Machtfaktor in den Staaten. 1918 waren es in Deutschland Berufssoldaten, die die deutsche Revolution niederschlugen. Der Kapp-Putsch 1920 war ein nach fünf Tagen gescheiterter Umsturzversuch gegen die junge Weimarer Republik. Er brachte den ersten demokratischen deutschen Staat an den Rand eines Bürgerkriegs und zwang die Reichsregierung zur Flucht. Die meisten Putschisten waren aktive oder ehemalige Berufssoldaten. Auf ihren Stahlhelmen prangte das Hakenkreuz. Die Heeresleitung sah dem Kapp-Putsch tatenlos zu – die meisten Putschisten waren ja Militärs. Erst ein Generalstreik rettete die Weimarer Republik.

Vor dem Zweiten Weltkrieg gab es in Europa militärgestützte Diktaturen in Bulgarien, Estland, Griechenland, Jugoslawien, Lettland, Litauen, Deutschland, Italien, Polen, Österreich, Rumänien, der Sowjetunion, Spanien und Portugal. Aber auch nach dem Zweiten Weltkrieg regierten vom Militär gestützte Diktatoren in Spanien, Portugal, Griechenland, Türkei – neben den sogenannten Volksrepubliken, in denen Parteiführung, Staat, Geheimdienste und Militär eine Einheit waren: die Diktatur einer Herrscherkaste. Überwiegend friedliche Revolutionen (UdSSR, DDR, etc.) sind nur möglich, wenn das Militär sie duldet. Wenn nicht, endet es wie in China: in einem Blutbad unter Panzerketten. Und nun schafft die Regierung unter Zustimmung der meisten Parlamentarier die Wehrpflicht ab. Genau genommen wird sie natürlich nur „ausgesetzt“. De facto heißt das: die Bundeswehr wird nun eine Berufsarmee sein, eine eigene Kaste, die im Zweifelsfall einem Parlament zeigen wird, ob sie bereit ist, einem Beschluß zu folgen, oder ob sie die jeweiligen Notwendigkeiten parlamentsfern selbst interpretiert.

„Aber nein“, werden jetzt viele protestieren,  „so etwas geschieht natürlich nie! Die heutige Bundeswehr ist (mal abgesehen von der Gorch Fock oder gewissen Geschehnissen in Afghanistan und einigen Kasernen) eine bis auf die Knochen demokratische Vereinigung und gefeit gegen jeglichen Machtmißbrauch. Punktum! Sitzen machen!“ So gesehen ist es auch nur gut und richtig, daß in der Öffentlichkeit keinerlei Problem im Ende des „Bürgers in Uniform“ gesehen wird.

Wirklich? Wenn sich erst ein Berufsmilitär durch alle Dienstgrade hindurch etabliert hat, ist es zu spät, sich zu wundern. Sicher ist der Wehrdienst eine äußerst lästige Pflicht, und Pazifisten finden ihn hochgradig entbehrlich. Doch wirklich entbehrlich ist der Wehrdienst nur, wenn es keine Armee mehr gibt. Solange eine Armee existiert, muß jeder Pazifist verweigern – aber die Wehrdienstleistenden sind der Garant gegen einen abgehobenen Machtapparat Berufsarmee. Die Aussetzung der Wehrpflicht bedeutet einen völligen Umbau der Bundeswehr. Später kann dieser Umbau nicht einfach mal so wieder rückgängig gemacht werden.

Seit Jahrzehnten beweisen die Parteien in den Parlamenten, daß sie das Bürgerwohl nicht interessiert. Politik ist in der Hauptsache darauf ausgerichtet, sich selbst, seine Partei und seine Klientel an der Macht zu halten und den mächtigen Firmen und ihren Lobbyisten Profite auf Kosten der Steuerzahler zu ermöglichen. Was passiert an dem Tag, an dem die Bürger sich nicht länger nur der Wahl enthalten, sondern sich wirklich von diesem Staat abwenden? Was passiert, wenn ein Demagoge vom Typ Haider, Berlusconi oder Wilders den Deutschen zeigt, daß man auf so Schnickschnack wie Parlamente oder Wahlen eigentlich auch gut verzichten kann. Was macht dann das Militär?

Ich will damit nicht die momentane Bundeswehr bewerten, dazu fehlen mir die Kenntnisse. Aber ich sehe in der Geschichte sich ähnelnde Entwicklungen. Ich befürchte, daß sich aus bestimmten Verhältnissen Zwangsläufigkeiten entwickeln könnten. Und eine bewaffnete Gruppe, die sich auf Befehl und Gehorsam von oben nach unten gründet, unterwirft sich keineswegs automatisch den Regeln einer demokratischen Gesellschaft – besonders, wenn diese vielleicht einmal beschließen sollte, die Macht der Armee einzuschränken, ihr Finanzen zu entziehen und sie nicht mehr überall dort „intervenieren“ zu lassen, wo es der Generalstab gern möchte.

Die Logik, das Empfinden, die Weltsicht – all das entwickelt sich in einer geschlossenen Gruppe anders und lösgelöst von der restlichen Gesellschaft. Das zeigen, trotz Wahlen, geschlossene Gesellschaften wie etwa Bundes- oder Landtage. Dieses Phänomen war einer der Hauptgründe, weshalb vor 30 Jahren die Grünen gegründet wurden – mit dem ehernen Prinzip der „Rotation“, um diese „In-Group“-Regeln zu brechen. Heute rotieren die Roths und Özdemirs nur noch, wenn ihre Macht und Pfründe in Gefahr geraten. Und wenn es Menschen, die zumindest Erinnerungen an den Traum von einem sozialen Leben haben, schon nicht gelingt – warum sollte dann ausgerechnet ein Generalstab, der über die Macht aus den Gewehrläufen verfügt, sich Laien, ja Zivilisten(!) beugen?

Nie wieder! Sagten die Deutschen. Nie wieder eine Armee! Sagten sie 1945. Doch diese aus dem Zweiten Weltkrieg geborene Erkenntnis war nicht sehr haltbar. Schon elf Jahre nach Ende des schlimmsten Krieges aller Zeiten (der, manche wissen das offenbar schon nicht mehr, von deutschem Boden ausgegangen ist und in deutschen Köpfen geplant wurde) leisteten die ersten Bundeswehrsoldaten wieder den Fahneneid. Im Offizierskorps konnten viele „alte Kameraden“ aus dem „tausendjährigen Reich“ ungebrochene Karrieren fortsetzen.

Nun verteidigen deutsche Soldaten „unsere Freiheit“ bereits am Hindukusch. Aber was heißt das? Was machen wir eigentlich in Afghanistan? Demokratie in die Köpfe der Taliban schießen? Die Afghanen vor Terroristen schützen? Oder machte Horst Köhler (so hieß bis vor kurzem noch unser Bundespräsident) keinen Fauxpas, sondern hatte einfach nur recht, als er sagte, wir seien aus wirtschaftlichen Gründen in Afghanistan? Welcher Afghane hat uns gerufen, um Hilfe gebeten? Und selbst wenn: Schicken wir auch Soldaten, wenn die Palästinenser uns gegen die Besatzer aus Israel rufen? Entsenden wir Panzer, wenn die Israelis uns gegen palästinensische Bombenleger um Hilfe angehen? Befreien wir Tibet nur deshalb nicht von den Chinesen, weil wir nicht genügend Panzer haben? Und wann greifen wir die USA an, um endlich die Todesstrafe abzuschaffen?

Staatsmoral ist sehr geschmeidig. Besonders, wenn es um Rohstoffe, Macht, Einfluß und vor allem gute Geschäfte geht. Eines der besten und krisenfestesten Geschäfte, der Waffenhandel, fand selbst im Weltkrieg über alle Fronten und Grenzen hinweg statt. Wollen wir wirklich eine Berufsarmee? Ich nicht. Auf keinen Fall. Ich fürchte sie. Hier, heute, morgen und anderswo.

Foto: PIZ/Marine

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2011-02-24 ; von Helmut Koch/zero (autor),

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