57. Elbe ahoi! Auf der „Wasserstraße“ wird das Wasser knapp~~...

gepostet auf: vietze-elbe-488
Eine "Bundeswasserstraße", auf der das Wasser immer knapper wird – langsam, aber stetig –, sodass größere Güterschiffe nicht mehr fahren können: das ist eine zugleich ernste und kuriose Angelegenheit. Fast schon grotesk ist jedoch, dass dieses Problem länger als 15 Jahre bekannt ist und verantwortliche Institutionen wie beteiligte Verbände keinen gemeinsamen Weg aus der Sackgasse finden.


Seit 200 Jahren befahren motorisierte Schiffe die Elbe – ein Jubiläum, das zum Jubeln jedoch kaum Anlass gibt. Die Güterschifffahrt auf der Elbe hatte eine große Zeit; die ist vorbei, künftig kann es nur noch um kleinere Frachtmengen und Schiffe mit relativ geringem Tiefgang gehen. Dennoch soll jetzt eine neue Runde beim umstrittenen Elbe-Ausbau eröffnet werden.

Vor einigen Monaten ist der letzte aktive Binnenschiffer in Vietze in den Ruhestand gegangen, das sich früher stolz als „Schifferdorf“ bezeichnete. Das Bild oben zeigt (laut einer Notiz auf der Rückseite des Originalfotos) den Steuermann Albert Tege aus Vietze und den Maschinisten Alexander Grendel mit Familienangehörigen auf dem Seitenraddampfer „Wallwitzhafen“ um 1930 – zu einer Zeit also, als die Binnenschifffahrt auf der Elbe buchstäblich noch brummte (Danke dem Vietzer Höhbeck-Museum* für die Überlassung des Fotos!).
 
Bis in die 1930er Jahre bestand die Mehrzahl der Vietzer Haushalte aus Schifferfamilien, ähnlich war die Situation in anderen Elbedörfern des Landkreises. Die Binnenschifffahrt auf der Elbe war ein wichtiges und krisensicheres Gewerbe; sie wirkte im Deutschen Reich – also im Kohle- und Dampfmaschinen-Kapitalismus – und danach bis Mitte des vorigen Jahrhunderts gleichsam als Autobahn für Industrie und Handel Richtung Osten. Die Kohle-basierten Schwerindustrien an Rhein und Ruhr konnten ihre Märkte und Standorte am effektivsten über Elbe, Havel und den verlängerten Mittellandkanal ausweiten.
 
Mit moderner Technik im Schienenverkehr, Straßenbau und LKW wurden Gütertransporte über Landwege immer wettbewerbsfähiger; die auf der Elbe beförderten Mengen gingen kontinuierlich zurück. Jahrzehnte lang – insbesondere nach der Deutschen Einheit1989 – investierten Bundesländer,  Bundesregierung und die EU hohe Summen in die Infrastrukturen der Binnenschifffahrt im sogenannten Elbekorridor (Elbe plus deren Seiten- und Verbindungskanäle). So sollten größere Marktanteile am Transportgeschäft für die Güterschifffahrt, Binnenhäfen und das weitere "verladende Gewerbe" entlang der Elbe zwischen Hamburg, Dresden und Tschechien oder ins Odergebiet gesichert werden. Der Staat baute und bezahlte Ausbaggerungen, Buhnen, Deckwerke, Hebewerke, Verbindungskanäle – trotzdem gab es keine Impulse für die Güterschifffahrt auf der Elbe.

Dazu der Umweltwissenschaftler und Elbe-Experte des Bundes für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND), Ernst Paul Dörfler:
„Eine Verkehrsverlagerung auf das Schiff fand nicht statt, die Transporte sind rückläufig und bewegen sich auf historischen Tiefstständen: Nur 0,2 Prozent der per Binnenschiff im Elbekorridor transportierten Güter laufen über die Elbe. Dabei sollten sich die Transporte auf dem Wasser verzehnfachen! Doch die "wissenschaftlichen" Prognosen erwiesen sich als heiße Luft. Es gab kein Wachstum im Schiffsverkehr.“ (1)

„Finales Startsignal zum Ausbau der Elbe“

Gibt es neuerdings wieder Hoffnung für die Güterschifffahrt auf der Elbe, vielleicht sogar neue Ideen? Können durch gezielte Ausbaumaßnahmen an der Elbe – entsprechend dem aktuellen Bundestagsbeschluss zum Gesamtkonzept Elbe – die Bedingungen für einen verlässlichen Gütertransport langfristig verbessert werden?
So behaupten es interessierte Kreise aus dem Hafen- und Frachtgewerbe derzeit verstärkt und füttern die Medien entsprechend. Etwa der Bundesverband Öffentlicher Binnenhäfen (BÖB) und die Interessenvereinigung Elbe-Allianz, der rund hundert Unternehmen, Behörden sowie Industrie- und Handelskammern angehören. In einer gemeinsamen Erklärung geben sie zackig die Marschrichtung vor:
„Mit dem Beschluss des Bundestages zum Gesamtkonzept Elbe haben wir das finale Startsignal um die Elbe wieder besser schiffbar zu machen. Wir sehen damit den jahrelangen Stillstand beendet.“ Und: „Vor dem Hintergrund der auch in diesem Jahr aktuellen Niedrigwasserproblematik erwartet die verladende Wirtschaft die Herstellung einer zuverlässigen Wasserstraße Elbe“ (2). Stefan Kunz, der das den Medien mitteilt, ist Vorsitzender der Elbe Allianz; laut deren Webportal ist Kunz im Haupt- oder auch bloß Nebenberuf Mitarbeiter des Hafen Hamburg Marketing e.V. und deren „Leiter der Dresdener Repräsentanz“.

Lobbyist Kunz und seine selbsternannten Elbe-Alliierten wiederholen seit Jahren gebetsmühlenartig ihre ruinösen Ausbaupläne für den Fluss:
„Wesentliche Forderung der Elbe Allianz e.V. war und ist, eine stabile und durchgängige Fahrrinnentiefe durch entsprechenden Unterhaltungsaufwand und ggf. umweltverträgliche und kosteneffiziente Ausbaumaßnahmen zu garantieren. Dies gilt insbesondere auch für die Elbestrecken bei Coswig und Dömitz und andere Stellen, an denen der Fluss nicht im Gleichgewicht zwischen Erosion und Abfluss ist und an denen gar keine bzw. nicht ausreichend Buhnen vorhanden sind.“
Und auch bei diesem Thema müssen wieder tausende angeblich bedrohte Arbeitsplätze zur Rechtfertigung für einen neue Runde im Buhnenrausch  dienen (genauer: 16.400, das ergab eine „Elbschifffahrtsstudie“ der öffentlichen Binnenhäfen).(3)

Gemeinsam mit der Regierung Tschechiens, die an der Elbe Allianz teilnimmt und sogar den Bau von Staustufen im Elbe-Oberlauf plant, verlangen die selbsternannten Elbe-Alliierten vom Staat Jahr für Jahr – mal Lobby-leise, mal Presse-LAUT –, die Elbe laufend weiter auszubauen und eine durchgehende Fahrrinnentiefe zu garantieren; die Zielmarke ist gerade auf 140 cm über elf Monate im Jahr aktualisiert worden. Erhoben wird diese Forderung ohne Rücksicht auf gravierende finanzielle, ökologische und verkehrspolitische Bedenken und unbeeindruckt von den Realitäten: ständig sinkenden Transportmengen (entgegen blühenden Wachstumsprognosen), zunehmenden Erosionsschäden in der Fahrrinne und anhaltender Wasserknappheit im Elbe-Flusstal. Die zentrale Frage, ob ein verstärkter Elbe-Ausbau unter diesen Rahmenbedingung überhaupt noch zielführend und gleichzeitig „umweltverträglich“ sein kann, interessiert die Elbe Allianz offenkundig nur am Rande; Öko-Schleifchen am Baggerschiff sind allemal willkommen.

Die selbsternannten Elbe-Alliierten und ihre LAUTsprecher

Ähnlich ist das Meinungsbild in der Berliner GroKo, also in den CDU- und SPD-Bundestagsfraktionen. Dort haben sich Ende Juni bei einem Bundestagsbeschluss ebenfalls diejenigen Lobbyist*innen durchgesetzt, die das als Konsenspapier erarbeitete Gesamtkonzept Elbe (Staat, Wirtschaft, evangelische Kirche und Umweltschützer waren am GKE beteiligt) als reines Ausbauprogramm umdeuten möchten (siehe dazu auch den Blog-Beitrag 55). Für ihre Fraktionen behaupteten die Abgeordneten Jürgen Klimke (CDU), Dagmar Ziegler und Gustav Herzog (beide SPD) in zeitgleichen Presseinfos, der Bundestag habe mit dem mehrheitlichen Beschluss das Gesamtkonzept Elbe „bestätigt“ – eine überaus gewagte Deutung, oder schon Desinformation? Die Elbe-Allianz wird die VerLAUTbarungen der Abgeordneten jedenfalls gern in ihr Webportal übernommen haben.
 
Passend dazu erschien Anfang letzter Woche im Wirtschaftsteil der Elbe-Jeetzel-Zeitung ein Artikel (offenbar von einer Presseagentur übernommen), der unter der programmatischen Überschrift „Die Elbe als Güter-Highway“ treuherzig den verschärften Elbe-Ausbau in Betracht zieht: „Neues Konzept soll Schiffbarkeit verbessern“, liest man dann im Untertitel (4) – doch sucht man im nachfolgenden Artikel vergeblich nach nur einem neuen Gedanken jenseits altbekannter Ladenhüter Marke Buhnenbau – Maßnahmen, die im Gesamtkonzept Elbe (GKE) ausdrücklich als bedenklich und umstritten festgehalten werden.
Um nicht missverstanden zu werden: Lobbygruppen zu zitieren gehört zum journalistischen Handwerk; doch muss man die immer gleichen Botschaften dieser einen Interessengruppe ohne eigene, weiter gehende Hintergrundrecherchen mehrspaltig ausbreiten, sogar in den Titel ziehen?

Das GKE folgt insgesamt dem Grundsatz, dass angedachte (Aus-)Baumaßnahmen das Ökosystem des Flusses nicht schädigen dürfen. Damit folgt es im Übrigen geltendem Recht, z.B. der EU-Wasserrahmenrichtlinie. Insofern ist das immer schon herrschende Dogma zumindest auf dem Papier überwunden, ökonomische Wünsche und Ziele (etwa: Fahrrinne durchgehend tiefer!) müssten vor allen anderen stehen. Der Alltag sieht leider oft anders aus –  der oben schon einmal zitierte E.P. Dörfler fasst zusammen:

„Wir wissen schließlich, dass die Flussregulierungen im Interesse der Schifffahrt Flüsse ökologisch negativ verändern. Inseln und Sandbänke verschwinden, und auch den Flussauen droht Gefahr. Die Verengung der Flüsse durch versteinte Ufer und Buhnen führt zur Tiefenerosion. Der Fluss gräbt sich immer tiefer in sein Sand- oder Kiesbett ein, an der Elbe etwa zwei Meter in 100 Jahren. Mit dem Flusswasserspiegel sinkt auch der Grundwasserstand ab, dadurch trocknet die gesamte Aue aus, und damit werden unsere artenreichsten Lebensräume vernichtet. Die Gegenmaßnahmen – das Einbringen von Kies (künstliches Geschiebe) in den Fluss – können diesen Prozess nur hinauszögern, aber nicht verhindern. Die Wasserbauer vor hundert Jahren wussten bereits von dieser Gefahr, haben die Eintiefung im Interesse der Schifffahrt aber billigend in Kauf genommen.“ (1)

Die Elbe wird zum Engpass – durch Wasserknappheit

 Längst geht es gar nicht mehr darum, ob man eventuell mit begrenztem Aufwand doch noch die von den selbsternannten Elbe-Alliierten gewünschten Ergebnisse erzielen könnte. Denn elementare Naturbedingungen für eine berechenbare oder gar ganzjährige Elbeschifffahrt sind nicht mehr gegeben. Und zwar nicht nur durch die Langzeitfolgen der Flussregulierung, sondern  auch durch Auswirkungen der Erderwärmung. Stichwort: Wasserknappheit; diese verkürzt noch einmal die schon immer beklagten knappen Zeiträume der Schiffbarkeit wegen Niedrigwassers.
 So meldete die Mitteldeutsche Zeitung aus Halle/ Saale am 14.8., dass im vorigen Jahr 2016 „an 285 Tagen wegen Niedrigwasser - also Wasserstände unter zwei Meter - keine Massengüter auf der Elbe transportiert werden (konnten). An 98 Tagen registrierte der elektronischen Informationsservice ELWIS sogar weniger als 1,40 Meter in der Fahrrinne von der Elster- bis zur Saalemündung. Damit steht auf Dauer die Wirtschaftlichkeit der Binnenschifffahrt grundsätzlich in Frage.“ (5)
 
 Und nicht nur die Wirtschaftlichkeit dieser Branche steht grundsätzlich in Frage, auch die herkömmlichen Ziele und Methoden der staatlichen Flussregulierung müssen neu definiert werden. Das Gesamtkonzept Elbe könnte dafür den Weg weisen, wenn es von den Beteiligten respektiert und ernsthaft umgesetzt würde. Dörfler schreibt dazu in einem Kommentar unter dem Titel „Die Realitäten der Elbe anerkennen“:
„Das Problem der mangelhaften Befahrbarkeit der Elbe besteht nicht etwa in unzureichenden Baumaßnahmen, sondern in den veränderten Abflussverhältnissen. Limitierend sind nicht die sogenannte Reststrecken oder Engpässe. Die Elbe ist durch ihre Wasserknappheit auf ihrer ganzen Länge ein Engpass geworden. Sie führt seit 25 Jahren definitiv weniger Wasser - es fehlt fast ein halber Meter! Und diese fehlenden Wassermengen können weder herbeigebaut noch herbeigebaggert werden, wie das Bundesverkehrsministerium schon mehrfach dargelegt hat.“ (6)

Die Zukunft für unsere dauerhaft unzuverlässige, doch (noch!) nicht komplett kanalisierte Wasserstraße liegt laut Dörfler zum Greifen nah – oder auch zum Wandern, Paddeln, Radeln:
„Die Fluss- und Auenlandschaft der Elbe, ihr reiches Natur- und Kulturerbe, ist für Deutschland und Mitteleuropa einzigartig. Schon jetzt kommen jährlich rund eine Million Touristen mit dem Fahrrad an die Elbe und sind von diesem Fluss begeistert. Das hilft der Tourismuswirtschaft und schafft Arbeitsplätze. Schauen wir nach Frankreich: Dort gehört die Loire zu den bedeutendsten Touristenzielen. Die Elbe hat ähnlich große Potentiale, wenn man sie nicht in ein enges Stein- und Betonkorsett zwängt." (1)
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 (1) Ernst Paul Dörfler: Das Glück der Elbe, in: Webportal der Bundeszentrale für politische Bildung, 30.04.2013; s.a. unten den Hinweis auf eine öffentliche Veranstaltung mit dem Autor.
(2) Presseerklärung des BÖB und der Elbe Allianz vom 5.7.17 zum Gesamtkonzept Elbe
(3) „Elbschifffahrtsstudie – ein deutliches Ergebnis für den Wirtschaftsstandort“, Pressemitteilung vom 21.7.2016 ; eine hilfreiche Zusammenfassung der Ergebnisse gibt es im Binnenschifffahrts-Portal bonapart – hier . Als Gegenposition zum Beispiel die bereits 2009 veröffentlichte Studie des Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) über „Stand und Potenziale der Elbe-Binnenschifffahrt und deren wirtschaftliche Wirkungen auf die Elbe-Region“, erstellt im Auftrag des BUND.
  (4) Violetta Kuhn: „Die Elbe als Güter-Highway“; EJZ vom 14.08.17, S. 12; mit fast gleichem Text, doch anders akzentuierten Überschriften erschien der Agenturtext z. B. auch in der Nordwest-Zeitung (NWZ) vom 9.8.17, dort auch kostenfrei online nachzulesen .
(5) Mitteldeutsche Zeitung aus Halle a.d. Saale vom 14.8.17 zum gleichen Thema: „Ebbe in der Elbe: Niedrige Wasserstände bremsen Frachtverkehr immer öfter aus“
(6) E.P. Dörfler: "Die Realitäten der Elbe anerkennen" , in: Webportal bonaparte – Nachrichten aus der Binnenschifffahrt, 4.3.2015

* Zum Foto: Das Vietzer Höhbeck-Museum veranschaulicht die Elbeschifffahrt in einem eigenen Ausstellungsraum anhand von alten Fotos, Schiffsmodellen, Mitbringseln und anderen Objekten. Auf Texttafeln wird u.a. erläutert: „Die meisten Vietzer Schiffer waren angestellt bei Schifffahrtsgesellschaften wie der Neuen Norddeutschen und Vereinigten Elbeschiffahrt (NNVE) oder der Schlesischen Dampfer-Compagnie – Berliner Lloyd (SDCBL).–
Einige Stilmerkmale von gut erhaltenen Wohnhäusern ehemaliger Schifferfamilien wurden im Rahmen eines geführten Dorfrundgangs in diesem Frühjahr erläutert – hier in einem kurzen Youtube-Clip (3 min.) zusammen gefasst.

Veranstaltungshinweis: Mit dem oben zitierten E.P. Dörfler als Vortragendem plant das Biosphaerium Albtalaue in Bleckede eine Veranstaltung für Freitag, den 15. September um 19 Uhr mit dem Titel „Die Elbe – die deutsche Loire?“

#hoehbeck #elbe


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 --> Die vorigen Beiträge hier im Blog:
 56. SUPER!lative, die niemand  braucht
 55. Berliner GroKo träumt von neuer Buhnen-Steinzeit an der Elbe
 54. “Einweihung" des Vietzer Deichs: halb fertig und schon Denkmal