96. Zeitenwende in der Gartenwelt

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Goldener Herbst, doch dicke Luft im Garten: die Delegierten der Gartenfrüchte treffen sich zur Herbstversammlung. Der Sommer war heiß, lang und trocken. Und die Aussichten auf künftige Jahre sind nicht gut – Dürre und Wassermangel machen Angst.
Also ist die Stimmung unter den Abgeordneten aufgeregt bis wütend. Die meisten haben Sonnenbrand-Flecken auf der Pelle oder dunkle Stellen im Fleisch, über die sie nicht gern sprechen.

Bereits während der Ansprache des Vorstands gibt es Zwischenrufe und lauten Protest. Besonders einige Delegierten der Walnüsse gehen auf Konfrontation:
„Den ganzen Sommer lang nur Durst - Durst - Durst!“
„Nicht zum Aushalten – so will man nicht abhängen.“
„Schluss mit der Durst-Diktatur! Freiheit und Wasser!!“

Beifall von einer Gruppe Zwetschen:
„Dieser Quitten-Apfel-Vorstand ist unfähig! “
„Lassen ein paar Regenwasser-Tonnen aufstellen, das war’s dann. Hängen sonst nur ´rum und wollen in Ruhe reif werden!“
„Wir stecken voll in der Durstkrise, und nichts passiert.“
„Wo bleibt die neue Grundwasserleitung?“
„Die Große Quitte soll zurücktreten.“

„Ja, sofort! Diese Vorstandsquitten sind doch bloß Marionetten der Saftfabriken und der geizigen Kleingärtner“, schreit eine Walnuss und verliert vor Empörung das Gleichgewicht. „Quitten sind sowieso total überflüssig. Nicht mal Leitungswasser haben sie für uns organisiert, als die Tonnen leer waren. Weil angeblich ‚zu teuer‘. Wir sind den Gärtnern gar nichts wert – das ist die Wahrheit!“

„Bitte: Gärtner UND GärtnerINNEN“, wendet ein leuchtend roter Apfel ein. „Sprecht bitte nicht immer so herabsetzend und aggressiv gegen unseren Vorstand!“

„Du hast gut reden, du Früchtchen“, keifen Pflaumen und Walnüsse den Apfel an. „Hängst komfortabel im Halbschatten hinter der hohen Buche und kommst uns hier mit Durchhalteparolen“.

Nun versucht eine Birne, den Streit zu versachlichen: „Aber ehrlich – man möchte doch schon mal wissen, was aus der versprochenen Grundwasserleitung geworden ist. Die sollte doch helfen, teures Leitungswasser zu sparen – oder was?“  

Endlich meldet sich die Große Quitte vom Vorstand zurück; sie räuspert sich bedeutungsschwer und spricht:
„Werte Mitfrüchte, ich bitte doch sehr um eine sachliche und faire Debatte! Wie ich schon sagte: diese neue Leitung mit Anschluss an den Grundwasserbrunnen könnte langfristig eventuell hilfreich sein, aber….“

Murren aus den Reihen der Birnen und Zwetschen, Geschrei von den Walnüssen:
„Wie bitte? – was heißt hier: ‚langfristig‘?“ 
„Wie lange soll das denn noch dauern?“
„Nieder mit der Durst-Diktatur“!

Die Große Quitte fährt fort: „…aber die Verhandlungen mit dem Brunnenbesitzer sind anscheinend äußerst kompliziert, das sagen unsere Gärtnerinnen und Gärtner – alle übrigens, ob groß oder klein.“ Die Große Quitte schaut nachdenklich zur Seite und verstummt kurz; dann geht ein Ruck durch die massige Frucht und sie spricht laut, fast kämpferisch weiter:
„Und leider muss ich euch mitteilen: Obendrein stellt der Brunnenchef unannehmbare Bedingungen. Er fordert mehrere Plantagen als Tribut, die ihm überhaupt nicht zustehen. Das können wir unmöglich akzeptieren.“

„Oh nein!“ – „Erpresser!“ – „Unglaublich!“ – „Dieser Mistkerl.“
Man sieht viele überraschte und erschrockene Gesichter, aber auch Zustimmung unter den meisten Äpfeln, Birnen und Quitten – sogar bei den Zwetschen.

„Alles Geizhälse und Obstverächter, diese sogenannten Gärtner“, jammert eine verzweifelte Birne und lässt ihren Stil hängen. „Und ich hatte so große Erwartungen in unseren neuen Vorstand. Wie soll es bloß weiter gehen?“ Einige Zwetschen berühren sie mitfühlend an der Seite.
„Die sollen dem Brunnenchef einfach geben, was er verlangt – damit wir genug Wasser bekommen!“, verlangen einige Walnüsse.
„Genau – baut die Leitung fertig, gebt uns Grundwasser!“
„Der Brunnenchef ist unser Freund, unsere Rettung!“

„Seid ihr schon angefault unterm Stil?“ ärgert sich nun eine andere Quitte. „Solche Forderungen sind doch total unreif, geradezu Obst-unwürdig, zum Fremdschämen!“ 

Ein Apfel ergänzt in vorwurfsvollem Ton: „Und das sagen die gleichen Birnen, die vor kurzem noch im Vorstand saßen und zusammen mit den Kleingärtnern verhindert haben – ich betone: es VERHINDERT haben, dass in jedem Garten große Regenwasserspeicher aufgebaut werden – wie es viele Quitten und Äpfel schon lange gefordert haben!“

Jetzt wird es richtig laut: „Frechheit – Lüge – Quittensau – Plantagenknecht – Fallobst…“ – das sind nur einige der Beschimpfungen, die den Vorstandsfrüchten und ihren Anhängern entgegen geschleudert werden.

Die Große Quitte versucht zu beschwichtigen, die drohende Eskalation abzuwenden. Zunächst ruhig, fast bittend:
„Glaubt mir, niemand will euch dürsten lassen. Wir hängen doch alle im gleichen Gartenbezirk. Wir müssen zusammen halten, Wasser sparen! Erpressungen des Brunnenchefs widerstehen und neue Quellen erschließen lassen.“ Dann laut und verärgert:
„Und dabei bringt es uns nicht einen zusätzlichen Eimer Wasser, wenn einige taube Nüsse über eine angebliche Durst-Diktatur schwadronieren oder Äpfel mit Birnen vergleichen! Solche Verdrehungen bringen uns nicht weiter!“

Nun kippt die Versammlung um in ein großes Durcheinander – man schreit sich an, Delegierte schubsen sich gegenseitig zur Seite oder bringen vermeintliche Gegner ins Rollen.

Einige Walnüsse fangen an, im Chor zu skandieren: 
„WIR SIND DAS OBST – WEG MIT DER DURST-DIKTATUR“.
Zwischendurch werden Rufe laut wie „Apfelmus“, "dumme Nuss", „Quittengelée“, „Birnenkompott“, "Zwetschen-Datschi" und dergleichen mehr.

Plötzlich erscheint der Gärtner vor dem Geräteschuppen, holt sich den Obstpflücker und einen großen Korb.
So schnell es geht eilen die Delegierten der Gartenfrüchte in alle Himmelsrichtungen davon.

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--> Die vorigen Beiträge hier im Blog:
95. Es kommt noch keine Flut, d'rum habt doch mal mehr Mut!
94. Begrenzte Solidarität
93. Conni, Corona und die 'freien Bürger'