91. Schöner wählen – oder: Politischer Kitsch aus Sammatz

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Eine neu gegründete Wählergemeinschaft kandidiert zur Kommunalwahl und verspricht, „frischen Wind“ in wendländische Gemeinderäte und in den Kreistag zu bringen. Schöne Idee, denke ich mir, können wir gebrauchen. Und was haben sich die Neuen vorgenommen, welche Ziele haben sie?

Man liest: Die Wahlliste KalliEco wurde von „Mitarbeitern des Michaelshofs in Sammatz gegründet“ – so wörtlich in der ersten Ausgabe ihrer Wahlzeitung. Die Kandidat*innen möchten  „ein wenig von der Athmosphäre des Michaelshofs in den Landkreis“ tragen – und zwar „mit euch zusammen“, also mit uns, den Wähler*innen. „Schön und Öko“ soll alles werden: „Wir bringen vom Michaelshof in Sammatz die Idee des grünen und schönen Dorfes in die Politik“. Denn Schönheit ist für die neue Wählergemeinschaft das wichtige, entscheidende dritte Lebensprinzip, das neben Nützlichkeit und Nachhaltigkeit verstärkt verwirklicht werden soll. Dafür möchte KalliEco „Projekte entwickeln, fördern und umsetzen. Lasst uns unsere Gemeinde und Samtgemeinde, unseren Kreis zum Aushängeschild für eine grüne, schöne Region machen. Das tut allen gut: der Natur, den Menschen, der Wirtschaft“.

Und was sollen wir nun unter „Schönheit“ verstehen? Vorbild dafür ist aus Sammatzer Sicht „die alte griechische Kultur“. Sie sei „von Schönheit, von Leben geprägt, vom Respekt der Natur gegenüber… Denn Schönheit hat Respekt vor Natur und Mensch. Sie führt aus sich heraus zu nachhaltigem Wirtschaften, umweltorientierter Lebensführung, sozialverbindlichem Verhalten“. Man darf und sollte massive Zweifel an diesen pauschalen Behauptungen haben, die mit kulturhistorischem Pseudowissen unterlegt sind. Welche kulturellen Leistungen der griechischen Antike sind denn bitteschön hier gemeint: die Tempel und Statuen auf der Athener Akropolis, vielleicht aber auch die kriegerischen Institutionen in Sparta? Was sagt uns die Abholzung der Wälder zwecks Bau von Kriegsschiffen über den angeblichen „Respekt gegenüber der Natur“? Oder der Ausschluss der Frauen aus der sogenannten 'attischen Demokratie', deren Reichtum auf Raubzügen und Versklavung der jeweils besiegten Feinde beruhte?

Die vorgebliche „Schönheit“ des alten Griechenlands ist doch nur (oder auch) eine bloß kunstverliebte Sicht auf die kultigen Fassaden einer opferreichen, brutalen Adels- und Sklavenhaltergesellschaft. Für frühere Versuche einer Wiederbelebung antiker kultureller Werte und Normen gab es schon einmal eine Epochenbezeichnung – bekannt als Klassizismus. Nun sind wir Zeuge einer lauten Wahlkampagne aus Sammatz für wendländischen Neoklassizismus. Bleibt zu hoffen, dass hiesige Gemeinden nicht auch ihre eigene Akropolis, marmorne Tempel und Statuen errichten müssen, um den Träumen Sammatzer Ästheten von „grünen und schönen Dörfern“ zu entsprechen.

Abgesehen von dieser schrägen Schönheitstheorie ist gegen schöne grüne Projekte grundsätzlich nichts einzuwenden; nur möchte man gern auch mal Genaueres hören. Doch leider weiß die Wahlzeitung nicht mehr darüber zu berichten – außer dass KalliEco "das Gespräch mit den anderen Menschen suchen" möchte. Auch auf Plakaten und Postkarten bleiben die Ziele der neuen  Wählergemeinschaft im Unklaren. Hierbei unterscheiden sie sich nicht vom Politik-Marketing der Etablierten, verbreiten gleichfalls gestanzte Parolen und inhaltsleere Worthülsen, unterbieten diese sogar noch durch schlichte Wohlfühl-Symbolik:

„Mein Hund liebt KalliEco – ich auch!“, verkündet ein blondes, hellhäutiges Mädchen im gebügelten, rapsgelben Shirt inmitten einer blühenden Wiese und hält ihren Dackel im Arm. Oder: Ein alter weißer Mann im  Ökofreak-Outfit macht mit zwei Fingern das Victory-Zeichen, darüber steht das Wort: „High“. Ferner wären da noch ein glatt rasierter, hellhäutiger 90er-Boygroup-Typ, der uns ein „Küsschen für dich“ zuwirft. Oder auch eine wiederum hellhäutige Oma-Darstellerin in edlem Wollstrick, die uns mitteilt: „Endlich mal was Sinnvolles – ich wähle KalliEco“. Und aus einem weißhaarigen Renter-Model im Business-Hemd bricht es euphorisch heraus: „Endlich junge Leute!“

Man könnte diese Reihe fortsetzen, aber es würde keine Fakten oder Erkenntnisse über all die schönen Projekte bringen, welche die KalliEcos angeblich vorschlagen oder vorhaben. Es ist eigentlich egal, ob die Models auf Plakaten und in den EJZ-Anzeigen (nur selten sind die Kandidat*innen selbst abgebildet) reale Mitarbeiter*innen und Bewohner*innen des Michaelshofs sind. Entscheidend ist, das sie durchweg als gestylte Schausteller von irgendwie jugendlich-coolen Lebensgefühlen daherkommen, als Pappkamerad*innen für die Image-Kampagne eines Unternehmens bzw. einer Institution, die an ihrem guten oder auch fragwürdigen Ruf arbeiten will.

Von Feinden umgeben? "Lügen, Kampagnen, Fake-News..."

Denn darum geht es den Verantwortlichen des Michaelshofs eigentlich im Kern: das (Ausbau-) Konzept des eigenen Projekts verteidigen, öffentlich guten Willen bezeugen und schöne (Selbst-) Bilder verbreiten. Seit Monaten sieht sich die Einrichtung kritischen Einwänden und teilweise heftigen Vorwürfen aus dem örtlichen Umfeld sowie aus Politik und Verwaltung ausgesetzt. Verschiedene Akteure, darunter eine Bürgerinitiative, erhoben etwa seit November letzten Jahres verstärkt Bedenken gegen bisherige und noch geplante Ausbaumaßnahmen auf dem Grundstück des Michaelshofs in Sammatz. Die kritischen Stimmen fanden breiten Nachhall in Berichten der EJZ und in zahlreichen kontroversen Leserbriefen. Die Wählergemeinschaft bewertet dieses Geschehen – ausdrücklich auch in einem langen Artikel in der zweiten Ausgabe ihrer Wahlzeitung unter dem Datum 6.9.21 – als „Verbreitung von Halbwahrheiten und Lügen“ sowie als gezielte „Kampagne“ gegen ihre bisherige Arbeit und ihre Ausbaupläne.

Besonders enttäuscht äußert sich die/der nicht genannte Autor*in über führende Politiker „aus den Reihen der Grünen und der regionalen SOLI (Linke). Diese suchten nach Gorleben dringend nach einem passenden Objekt, um sich daran abzuarbeiten, zu profilieren.“ Und dann seien angeblich auch noch die Redakteur*innen der EJZ „wohl recht blauäugig mit den Fake-News der Grünen und SOLI-Politiker umgegangen, mit denen diese von der örtlichen ‚Bürgerinitiative‘ ‚gefüttert‘ wurden“ – ein echtes Verschwörungsszenario also.

So weit die Sichtweise der Liste KalliEco über ihre tatsächlichen oder vermeintlichen Gegner*innen, gegen die sie nun um Stimmen und Ratssitze konkurriert. Auf die Hintergründe einzelner Vorwürfe, angeblicher Lügen oder Fake-News kann hier nicht näher eingegangen werden (von den Grünen z.B. gibt es eine schriftliche Stellungnahme zu dem Konflikt, veröffentlicht auf der Homepage des Ortsverbandes Elbtalaue). Aber man muss diese Vorgeschichte kennen um zu verstehen, dass die Wählergemeinschaft in der EJZ vom vergangenen Montag (4.9.) eine Wahlkampf-Anzeige auf einer viertel Seite schaltete, in der sie der grünen Konkurrenz vors Schienbein tritt – mit folgendem Text:
„Grün wählen, wo Grün drin ist – Wir tun was andere reden – KalliEco“.

Nach alledem ist die Frage erlaubt, ob ein Kommunalwahlkampf der richtige Anlass und die angemessene Bühne sein kann für die Austragung dieses Konflikts. Der Michaelshof ist zweifellos eine verdienstvolle sozial-kulturelle Einrichtung und ein für die Regionalentwicklung bedeutender Arbeitgeber. Es ist zu begrüßen, wenn er die Diskussion um seine Arbeit und seine Ausbaupläne öffentlich führt, sich gegen unberechtigte Angriffe oder gar Verleumdungen wehrt. Ob man dazu aber eine derartig aufwändige Imagekampagne benötigt, ist fraglich, aber eine autonome Entscheidung der Verantwortlichen.
Wenn diese jedoch ihre Grundüberzeugungen und Konzepte zu einem kommunal-politischen Auftritt erweitern, müssen sie sich an den Kriterien für politische Tätigkeit und Kultur messen lassen.

Und hierbei kann man nur zu dem Schluss kommen: die Leitideen und politischen Ziele (etwa das „grüne und schöne Dorf“) sind dürftig und bleiben undurchsichtig; die Werbebotschaften klischeehaft, häufig peinlich. Die Ausführungen zur Schönheit in der griechischen Antike und ihre heutige Bedeutung (als „Kallistik, die Lehre vom Schönen“ im Michaelshofer Gewand) sind schlichtweg dummes Zeug, bildungsbürgerlich getarnte Wichtigtuerei. Alles in allem: provinzieller politischer Kitsch.

Über die Kandidatur des Sammatzer Neoklassizismus bleibt am Ende nur zu sagen: Schönen Dank auch, braucht niemand!
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p.s.: Die Grundsätze und kommunalpolitischen Ziele des Wahlbündnisses KalliEco wurden auch in einem Wahlprogramm zusammen gefasst. Über die Aussagen in den oben besprochenen, breit gestreuten Publikationen hinaus werden darin weitere Beispiele für anzustrebende Lösungen und Projekte genannt. Doch nach Lektüre dieses ausführlicheren Textes ist man auch nicht viel schlauer... 

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--> Die vorigen Beiträge hier im Blog:
90. Heftige Kontroverse um ein Sperrwerk – und ein Brief aus Laasche
89. X-mas XS
88. Die Wahrheit über die Rückkehr von Corona