Am 9. November 1989 fielen die Grenzen zwischen West und Ost. Der 30. Juni 1974 allerdings bedeutete das Ende für das kleine Dörfchen Stresow bei Aulosen. Eine fast vergessene Geschichte aus der DDR-Zeit.
"Gedenkstätte Stresow" steht auf dem Schild, das kurz vor Aulosen in der Altmark auf einen idyllischen Weg führt. Zwei Kilometer lang geht es auf einer Baumallee durch Wiesen und Felder, bevor am Ende ein grünes Ortsschild auf "Stresow" verweist. Doch von einem Ort ist hier weit und breit nichts mehr zu sehen. Die Natur hat sich in den vergangenen 30 Jahren längst das Gelände zurück erobert.
Im Mai 1952 waren im Rahmen der "Aktion Ungeziefer" über die Hälfte der Einwohner des Dorfes bei Nacht und Nebel zusammengetrieben und ins weit entlegene Thüringen gebracht worden. "Organisiertes Westfernsehen" war einer der Gründe für die Umsiedlung oder "staatsfeindliche Einstellung", was zum Beispiel meinte, dass die Bürger Kirchentage besuchten oder schlichtweg nicht zur Wahl gingen.
Dabei hatte das Dörfchen Stresow vor allem einen großen Fehler: es lag zu dicht an der deutschen-deutschen Grenze. Da passierten zum Beispiel so schreckliche Dinge, dass die Dörfler ihre Stühle in den Hof holten, wenn im nahe gelegenen Schnackenburg Schützenfest war und die Musik bis nach Stresow zu hören war. Für den Ministerrat der DDR nur einer der Gründe, im Mai 1952 eine „Verordnung über Maßnahmen an der
Demarkationslinie zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und den
westlichen Besatzungszonen Deutschlands“ zu erlassen.
Damit wurde eine 5 km breite Sperrzone und ein 500 m breiter "Schutz"streifen längs der innerdeutschen Grenze festgelegt. Zäune, Gräben, Minenanlagen, Hundelauf- und Selbstschussanlagen sowie Wachtürme "begleiteten" seitdem die gesamten Grenzverlauf von der Ostsee bis nach Thüringen.
Grenz"festigung" durch Entvölkerung
Offizielles Ziel war es, die innerdeutsche Grenze zu "festigen". In der Praxis hieß das, das in der fünf-Kilometer-Zone nur als absolut zuverlässig geltende staatstreue BürgerInnen wohnen durften. Betreten werden durfte die "Zone" nur mit einem Passierschein. Jede/r, der nicht vertrauenswürdig genug erschien, wurde bei Nacht und Nebel ausgesiedelt. Nachts erschienen Volkspolizisten, warfen die Menschen aus den Betten und erlaubten ihnen nur das mitzunehmen, was sie schnell zusammenraffen konnten. Dann wurden sie in andere Orte gebracht. Wenn die Menschen "Glück" hatten, durften sie in nahe gelegenen Orten außerhalb der 5-Kilometer-Zone weiterleben. Andere wurden bis nach Thüringen gebracht, wo sie sich eine neue Existenz aufbauen mussten.
Insgesamt 10 000 Menschen wurden zwischen 1952 und 1974 in mehreren großen Aktionen - Aktion Ungeziefer" oder zynischerweise "Aktion Frische Luft" genannt - aus rund 30 Orten längs der deutsch-deutschen Grenze "umgesiedelt".
So auch in Stresow. Am 30. Juni 1974 wurde gar das ganze Dorf entvölkert und dem Erdboden gleich gemacht, bevor noch die Bewohner ihr letztes Hab und Gut aus den Häusern holen konnten. Dass der kleine Ort an der Elbe bereits 1310 gegründet worden war und somit ein wertvolles Kulturgut darstellte, interessierte die Oberen der DDR nicht. Ebenso wenig interessierte sie, dass Landwirte ihre ganze Existenz inklusive Vieh zurücklassen mussten oder von ihrer Familie getrennt wurden. Ihnen war die "Grenzsicherung" wichtiger. Heute ist von dem ehemaligen Dorf nichts mehr zu sehen.
Das "grüne Band" als natürliche Erinnerungszone
Die Dorfstraße ist heute Bestandteil des "Grünen Bandes", welches seit 1989 kontinuierlich zu einem naturnahen Bereich zwischen Ostsee und Franken weiter entwickelt wurde. So hatte auch der Sicherungswahn der DDR letztendlich einen positiven Aspekt: der gesamte Streifen längs der "Demarkationslinie" blieb auf einer Breite von 50 bis 200 m völlig unberührt und konnte sich daher zu einem Naturparadies entwickeln. Der ehemalige Kolonnenweg (Lochplattenweg) dient der Initiative "Grünes Band" heute als durchgehender Rad-/Wanderweg.
An das Schicksal des Ortes Stresow erinnerte man sich erst nach der Wende wieder. Ein Gedenkstein sowie ein teilweiser Nachbau der Grenzanlagen gibt inmitten der weiten Landschaft einen Eindruck von der düsteren Atmosphäre an der Grenze: Flutlichtlampen, mit elektrisiertem Stacheldraht gesicherte Zäune und in die Erde eingelassene Betonhäuschen mit Sichtscharten dienten von Nord bis Süd der "Grenzsicherung".
Grenznah wohnende Westler erinnern sich an Jeeps, die nächtens mit hoher Geschwindigkeit den Kolonnenweg entlang rasten, lautes Hundegebell - und manchmal eben auch Schüsse. Im Westen blieb es meist im Dunkeln, wem die Schüsse gegolten hatten. Im Osten ahnte man: dort hat wohl wieder jemand versucht, bei Nacht über die Grenze zu kommen.
Aus den Orten längs der Grenze kamen die Flüchtenden wohl eher nicht. Wie gesagt: nach den Säuberungsaktionen waren hier nur Einwohner verblieben, die als absolut staatstreue Bürger galten - oder zumindest ihre Zweifel am Regime gut zu verstecken wussten.
Die Geschichte einer Einwohnerin des Ortes Stresow erzählte übrigens der Tagesspiegel im Jahre 2004 - click hier! , um den ganzen Artikel zu lesen.
Fotos / Angelika Blank: Das Ortsschild "Stresow" hat nur noch symbolischen Charakter: die Fläche des ehemaligen Dorfes hat längst die Natur übernommen.