Mit einem am Donnerstag der Endlagerkommission vorgelegten Rechtsgutachten stellen die Energiekonzerne die Rechtmäßigkeit des aktuellen Standortauswahlprozess massiv in Frage. Nicht nur die Überführung der Atomrückstellungen in einen externen Fonds wird als rechtswidrig eingestuft.
Auf 144 Seiten beschäftigen sich die Gutachter der international agierenden Anwaltskanzlei Freshfields, Bruckhaus und Deringer (FBD) hauptsächlich mit der Frage, inwieweit die aktuellen Überlegungen, die vorgeschriebenen Rückstellungen der Energiekonzerne in einen externen Fonds zu überführen, geltendem Recht entsprechen. Darüber hinaus wird in dem von den Energiekonzernen freigegebenen Gutachten auch die Verfassungsmäßigkeit des Standortauswahlgesetzes in Frage gestellt.
Für die Gutachter ist der Versuch, die 38 Milliarden hohen Rückstellungen der Energiekonzerne in einen öffentlichen Fonds zu überführen, eine Zwangsmaßnahme, die gegen diverse Rechtsgrundlagen wie dem Aktien- oder Eu-Recht und sogar der Verfassung widersprechen. So soll demnach zum Beispiel die im Standortauswahlgesetz vorgesehene Umlagepflicht dem Finanzverfassungsrecht widersprechen.
Die aktuellen Überlegungen über den Umgang mit den Atomrückstellungen begründeten eine "vollständig neue atomrechtliche Haftung der Muttergesellschaften," die es aber nach geltender Rechtslage nicht gebe. "Die Titulierung als Weiterhaftung ist ein Feigenblatt, mit dem die tatsächliche Reichweite der neuen Haftung milder scheinen soll als sie in Wahrheit ist," heißt es in dem Gutachten.
Hintergrund: Derzeit ist auf Bundesebene ein Gesetz in der Diskussion, mit dem die Haftung der Energiekonzerne für die Kosten der Entsorgung, Stilllegung und dem Rückbau von Atomanlagen gesichert werden soll. In den letzten Monaten waren Stimmen immer lauter geworden, die bezweifeln, dass die Energiekonzerne ihrer Kostenübernahme-Pflicht im Bedarfsfall nicht mehr nachkommen können, weil die Rückstellungen womöglich dann nicht mehr zur Verfügung stehen.
Mit einer detaillierten Darstellung komplizierter "Cashmanagement-Systeme" treten FBD der Vermutung entgegen, dass die Energiekonzerne die geforderten Rückstellungen in Höhe von 38 Milliarden Euro auf Dauer gar nicht gewährleisten können. "Vor dem Hintergrund der Kapitalaufbringung muss dieses (Kapital) in einem Cash-Pooling System nicht nur uneingeschränkt vollwertig, sondern auch liquide in dem Sinne sein, dass es jederzeit fällig ist bzw. durch Kündigung fällig gestellt werden kann," sind die Gutachter überzeugt. (eine ausführliche Darstellung der Finanzierungssysteme findet sich auf den Seiten 33 - 39 des Gutachtens, Download click hier!)
Im Ergebnis kommen die Gutachter zu dem Schluss, dass eine externe Fonds-Lösung nicht nur überflüssig, sondern nach verschiedenen Rechtsvorschriften (Aktien- und Unternehmensrecht, EU-Recht ...) sogar rechtswidrig sei. Die Überführung in einen externen Fonds sei eine Zwangsmaßnahme, mit der die Bundesregierung ihre Verantwortung auf die Kraftwerksbetreiber abwälzen wolle.
Rundumschlag gegen das Standortauswahlverfahren
Die Gutachter beschränken sich allerdings nicht nur auf eine rechtliche Beurteilung von Sicherungsmodellen für die Atomrückstellungen. Auch gegen die Verfassungsmäßigkeit des Standortauswahlgesetzes und seine Finanzierungsregelungen haben die Gutachter "grundlegende" Bedenken". Zitat: "Dessen ungeachtet zeigt es aber, dass der Bund seiner Entsorgungsverantwortung einmal mehr nicht gerecht wird, sondern die notwendigen Entscheidungen letztlich auf den 'Sankt Nimmerleinstag' verschiebt."
Begründet wird diese Haltung u.a. mit den Erkundungsmoratorien für
Gorleben. Denn nach Ansicht von FBD sei Gorleben seit langem als
eignungshöffig eingestuft und trotzdem nicht zu Ende erkundet worden.
Insofern sei der Bund seiner Verantwortung nicht gerecht geworden und
habe es bis heute nicht geschafft, ein funktionierendes Endlager zur
Verfügung zu stellen. Andererseits hätten die Energieversorgung über die
Jahre mehr als 3 Milliarden in die Endlagersuche investiert.
Im Ergebnis schlagen die Gutachter vor, auf gesetzliche Regelungen zu verzichten und einen Konsens zu finden, der "rechtlich unproblematische und politisch befriedende konsensuale Lösungen" liefere. Eine solche Lösung sollte "der einseitigen und zwangsweisen Neugestaltung ..., die zu weiterer Rechtsunsicherheit, Prozessen und Belastungen führe, vorgezogen werden". Ein solcher Konsens würde dann zu einer "größeren Rechtssicherheit und einer nachhaltigen Gewährleistung finanzieller Vorsorge" führen.
Gutachten sprengte Sitzung der Endlagerkommission
Kurz vor der Sitzung der Endlagerkommission war das Gutachten von "eon" und "RWE"-Absendern an die Mitglieder der Endlagerkommission verschickt worden. Auch das renommierte Wirtschaftsmagazin Handelsblatt konnte bisher lediglich diese Absenderadressen als Hinweis darauf orten, dass die Energiekonzerne das Gutachten in Auftrag gegeben haben. Offiziell ist nicht bekannt, wer die Auftraggeber sind.
Nach dem Versuch des Interessensvertreters der Energiekonzerne, Prof. Dr. Gerd Jäger, die Diskussion über das Gutachten an eine Arbeitsgruppe der Bundesregierung abzugeben, kam es am Donnerstag in der Endlagerkommission zu heftigen Kontroversen, die letztendlich zur Feststellung der Beschlussunfähigkeit und so zum Ende der Sitzung führten.
Sichtlich verärgert zeigten sich Klaus Brunsmeier, Vertreter des Bund für Naturschutz Deutschland (BUND) in der Kommission und Niedersachsens Umweltminister Stefan Wenzel über die Diskrepanz zwischen dem konsensorientierten Auftreten der Energiekonzern-Lobbyisten in den Kommissionssitzungen und dem parallel dazu erstellten Gutachten, welches die Verfassungsmäßigkeit des gesamten Standortauswahlgesetzes in Frage stellt.
Das vollständige Gutachten kann hier! nachgelesen werden.
lobbypedia.de über Freshfields, Bruckhaus und Deringer:
Freshfields Bruckhaus Deringer LLP (Kurzbezeichnung: Freshfields oder FBD)
ist eine der größten Wirtschaftskanzleien weltweit und einer der
Vorreiter beim Einstieg von Anwaltskanzleien in das Lobbygeschäft in
Deutschland. Die Kanzlei hat zudem in den letzten Jahren an wichtigen
Gesetzen mitgeschrieben, insbesondere in der Finanzkrise. Diese Form des
Outsourcing von Gesetzen an Kanzleien und Wirtschaftsprüfer Gesetzesoutsourcing
wurde immer wieder kritisiert. Zugleich beriet Freshfields zahlreiche
Banken, auch bei Anträgen für Mittel aus den Rettungspaketen.
Freshfields ist auch bei internationalen Schiedsgerichtsverfahren im
Rahmen von Freihandelsabkommen aktiv. hier! gehts zum vollständigen Eintrag über FBD.