Es duftet intensiv nach Pfirsich, wenn der Eremit versucht, Weibchen anzulocken. Bis zu einem Kilometer weit reicht die Duftspur des seltenen Käfers. Spätestens seit Stuttgart 21 treibt dieser Duft den Planern Angstschweiß auf die Stirn: Der Eremit, auch Juchtenkäfer genannt, gehört zu den vom Aussterben bedrohten Arten – und bringt ganze Baustellen zum Erliegen. Über ein Jahr dauerte es, bis in Stuttgart die Motorsägen an die Brutbäume der streng geschützten Käfer angesetzt werden durften.
Dieses Schicksal könnte zwei mächtigen alten Eichen im Wendland erspart
bleiben. Sie prägen das Elbholz bei Jasebeck, eine der letzten
natürlichen Auenlandschaften entlang des Stroms.
Die Baumriesen müssten eigentlich dem dringend benötigten Neubau des
Elbdeiches weichen, da sie viel zu dicht an der Deichlinie stehen. Auch
müssen die Deiche um mindestens 70 cm erhöht werden, beim Elbehochwasser
2013 stand das Wasser bis zur Deichkrone.
Aber auch hier residiert der
Juchtenkäfer, ausgerechnet in einer Art Wohngemeinschaft mit dem nicht
minder seltenen Heldbock, auch als Großer Eichenbock bekannt. Beide
Käfer lieben alte solitäre Bäume, die nicht mehr ganz gesund sind, aber
noch aufrecht stehen.
Um dem Lebensglück dieser inzwischen extrem seltenen Käfer nicht im Weg
zu stehen, haben sich die Deichplaner vom Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) zu einem besonderen
Schritt entschlossen. Sie müssen dem Naturschutz Genüge leisten und
wollen den Käfern und ihren beiden Lieblingseichen deshalb eine
persönliche Spundwand spendieren – Kosten: 500.000 Euro.
Eine umstrittene Idee, die bei den Deichverantwortlichen auf wenig Verständnis stößt. „In den 1970er Jahren, als der Deich gebaut wurde, hätten die Eichen eigentlich gefällt werden müssen“, berichtet der Deichhauptmann des Dannenberger Deich- und Wasserverbandes Willi Fabel. Peter Hildebrandt, Geschäftsführer des Deichverbandes, kann nicht verstehen, „warum die Sicherheit von Deichen hinter den Käferschutz gestellt wird“. Aber schon damals hätten die Planer ihr Herz für die prächtigen Eichen entdeckt und sie stehen lassen. Stattdessen bauten sie den Deich viel zu steil. Aber angesichts der stetig steigenden Pegelstände sei das nicht mehr zu verantworten, so Fabel, der für die Kettensäge plädiert.
„Wieso wird Käferschutz über Deichschutz gestellt?“
„Man könnte ja die Bäume, die eh schon im Absterben begriffen sind, anderswo aufrecht stellen, damit die Käfer bleiben“, schlägt Fabel vor. Ein Plan, der schon früher im Wendland praktiziert wurde, allerdings mit ungewissem Ausgang für die Käfer. Denn „der Eremit heißt so, weil er nahezu sein gesamtes Leben im Inneren alter Bäume verbringt“, erläutert Dr. Franz Höchtl, stellvertretender Leiter vom Biosphärenreservat Niedersächsische Elbtalaue. „Das ist eine wertgebende Art, die wirklich sehr selten ist. Und wir müssen uns entscheiden: Was sind uns Arten wert?“
Sowohl der Eremit als auch der Heldbock seien als wertgebende Arten für
das Biosphärenreservat geschützt durch die strenge Fauna-Flora-Habitat-
Die Länder seien verpflichtet, Maßnahmen zu ergreifen, um die Käfer nicht zu beeinträchtigen, erläutert Höchtl: „Man kann diese uralten Eichen nicht einfach fällen und woanders hinlegen. Diese Lebensraumbäume sind mehrere hundert Jahre alt“.
Genau diesen Lebensraum braucht der Eremit: Im sich langsam zersetzenden Stamm sammelt sich Mulm an. In diesen abgestorbenen Baumbereichen verbringt der Eremit sein ganzes Leben – er sei ein ausgesprochener Stubenhocker. Lebende stehende Bäume bieten Feuchtigkeit. Dr. Höchtl: „Wenn man die Bäume absägt und woanders aufstellt – was denkbar wäre, geht die Feuchtigkeit verloren und die Larven sterben ab. Dann ist Schluss“.
Die Spundwand sei nur eine Option. Um den Käfer optimal zu bewahren,
könne man ihn auch umsiedeln, aber „das kann noch viel teurer werden“,
mahnt Höchtl. Noch gibt es kein Planfeststellungsverfahren. Aber wenn es
soweit ist, müssen alle Belange gehört werden: Naturschutz-Behörden, NLWKN,
Wasserwirtschaft und Anwohner müssen sich über den Deichbau einigen –
„keine einfache Kiste“, so Höchtl.