Das marode Salzbergwerk Asse II war schon früh als Endlager für schwach- bis mittelaktive Stoffe vorgesehen. Schon 1971 erstellte das niedersächsische Ministerium einen Arbeitsplan, in dem die Asse in der letzten Stufe sogar hochaktive Abfälle aufnehmen sollte. Diese und viele andere brisante Details schildert eine Dissertation des Historikers Detlef Möller über die Endlagerung radioaktiver Stoffe in Deutschland.
Bereits im Januar hatte Detlef Möller seine Dissertation „Endlagerung radioaktiver Abfälle in der Bundesrepublik Deutschland“ veröffentlicht, doch erst jetzt fand die Arbeit des Historikers breitere Aufmerksamkeit. In fünfjähriger Arbeit wühlte sich Möller in verschiedenen Archiven durch Dokumente, trug Korrespondenzen, Vermerke und Gesprächsprotokolle zusammen. Vor allem den Akten früherer Bundes-Regierungen und -ministerien galt das Interesse des Historikers. Heraus gekommen ist eine minutiöse Chronologie eines inzwischen über fünfzig Jahre währenden Prozesses von Ignoranz, Selbst-Absicherung sowie von Kosten- bzw. Zeitdruck getriebener Entscheidungen: Waren es Mitte der 50er Jahre noch eifrige Ministerialbeamte, die ernsthaft und ergebnisoffen nach der sichersten Lösung für die Endlagerung radioaktiven Mülls suchten, so verloren sie spätestens 1963 durch zunehmenden Zeitdruck und zunehmendes Engagement Interesse-getriebener „Experten“ an Einfluß. Insbesondere der damalige Vizepräsident der Bundesanstalt für Bodenforschung (heute Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, BGR) Prof. Dr. Richter-Bernburg spielte nach Möller eine nicht gerade rühmliche Gutachter-Rolle, die wesentlich dazu beitrug, dass das schon damals als unsicher geltende Bergwerk Asse II als (vorgebliches) Forschungs- und Versuchsendlager benannt wurde.
Lange Jahre hatte man die Brisanz des Entsorgungsproblems verdrängt. Seit 1955 war der Anfall von radioaktiven Reststoffen aus „Betrieben, Instituten und Kliniken“ als sehr gering eingestuft worden. Man ging von wenigen 100 m³ schwach- bis mittelradioaktivem Abfall aus. Auf allen Ebenen meinte man, sich mit der Endlagerfrage in Ruhe beschäftigen zu können – zumal der Wissensstand damals noch von wenigen Jahrzehnten Abklingzeit ausging. Dezentral einzurichtende "Landessammelstellen" sollten den bis dahin anfallenden radioaktiven Müll aufnehmen. Industriell betriebene Atomkraftwerke gab es noch nicht. Die Energieversorger wie z.B. RWE mochten sich einer industriellen Nutzung der Atomenergie nicht nähern, solange die Endlagerfrage nicht geklärt war. Noch 1964 stand die RWE einem Betrieb von Atomkraftwerken skeptisch gegenüber – zu hoch und zu unüberschaubar erschienen den Managern die Kosten der Entsorgung des mit Sicherheit anfallenden Mülls, zu unwirtschaftlich die Atomkraft-Technologie.
Bis Herbst 1964 wurde vorrangig das Konzept der Einlagerung in speziell für diesen Zweck hergerrichteten Salzkavernen verfolgt. Als die ersten Diskussionen über das "günstige Angebot der Übernahme" begannen, stand Asse II lediglich als Forschungs- und Experimentierbergwerk zur Diskussion. Doch schon im Juni 1965 – als der Vertrag zum Ankauf des Bergwerks Asse bereits seit drei Monaten unterzeichnet war - war erkennbar, dass das Ministerium durchaus bereit war, den ursprünglichen Zweck eines reinen Versuchs-Endlagers zu erweitern. Allerdings sollte lt. Protokoll einer internen Besprechung „die Entscheidung ... erst nach eingehendem Studium aller Sicherheitsaspekte gefällt werden“.
Ein marodes Bergwerk als "günstige Gelegenheit"
Dabei war bekannt, dass es Probleme im ehemaligen Bergwerk gab. Nach Möller war die seit 1900 betriebene Schachtanlage Asse I infolge einer allzu wirtschaftlichen Gewinnung von Kalisalzen bereits im Jahre 1906 nach einem Wassereinbruch „in verhältnismäßig kurzer Zeit“ ersoffen. Das spätere Vorhaben der Bergwerksbetreiber, die Schachtanlage Asse II mit dem Grubengebäude der Asse II zu verbinden, hatte man wegen „Laugenschwierigkeiten“ aufgeben müssen. Prof. Richter-Bernburg suggerierte später in seinem (positiven) Gutachten für das Ministerium, dass man bei der Anlage von Asse II die Fehler der Vergangenheit vermieden habe. Statt des geringen Abstandes von nur 60 Metern zum Salzspiegel bei Asse I haben man einen Abstand von 190 Metern eingehalten. Dabei „vergaß“ er allerdings den an der Südwestflanke minimalen Abstand zu nicht-salinaren Schichten und den scheinbar bis ins Deckgebirge vorstoßenden Blindschacht 2 zu erwähnen.
Wie Möller ergründete, hatte das Ministerium noch in einer Besprechung am 18. Dezember 1963 massive Zweifel, ob das als „günstige Möglichkeit“ eingestufte Bergwerk wirklich erworben werden solle. Zitat: „Als die Sitzung beendet war und die Vertreter der Wintershall (Noch-Eigentümer des Bergwerks) den Raum verlassen hatten, kam man auf den Hauptsorgenpunkt zu sprechen: Nötig sei vor allem „eine sorgfältige Untersuchung des geologischen Risikos des Wassereinbruchs (…) im Schacht an der Flanke des Salzstocks.“
Doch längst hatten sich Wissenschaftler wie Prof. Dr. Richter-Bernburg positiv für die Sicherheit der Asse ausgesprochen. Schlüssig wurde die Gefahr des Wassereinbruchs heruntergerechnet und das Salz als „bindender“ Stoff selbst bei Laugeneinflüssen bewertet. „Gesättigte Salzlösungen“ sollten nach Ansicht der Wissenschaftler die Gefahr der Kontamination des Grundwassers verhindern. Das den Salzstock umgebende leicht lösliche Carnallitit mißachteten die Wissenschaftler weitgehend. Doch die Bedenken der Bergleute wurden erfolgreich durch Wissenschaftler wie Richter-Bernburg zerstreut. Zu günstig erschien den Verantwortlichen das Angebot der Wintershall AG: lediglich 100 000 DM Instandhaltungskosten berechnete Richter-Bernburg für die Instandhaltung der Asse als Versuchs-Endlager. Der Kaufpreis sollte unter einer Million DM liegen.
Unterabteilungsleiter für Strahlenschutz, Dr. Georg Straimer, blieb dennoch skeptisch. Erst wolle er die Sicherheitsaspekte gründlich geprüft haben, bevor er einer Nutzung des Bergwerks zustimme - zumal in diesen Jahren zwischen den Ministerien noch Uneinigkeit herrschte, ob es nicht günstiger sei, neue Kavernen in Salz einzurichten als ein altes Bergwerk zu übernehmen. Doch da die Neu-Einrichtung mit einer Summe von rund 3 Mio. DM veranschlagt wurden, rückte das aufgelassene Bergwerk Asse schon aus Haushalts-Überlegungen immer mehr in den Mittelpunkit des Interesses - zumal ein ministerieller Arbeitskreis am 01. 10. 1963 zusätzlich Druck in Richtung Asse machte: "Der Arbeitskreis empfiehlt (...) dem Bundesministerium für wissenschaftliche Forschung, darauf zu achten, dass im Falle des Bergwerks Asse nicht eine günstige Möglichkeit versäumt wird. Das BMwF sollte daher Verhandlungen mit der Wintershall AG aufnehmen." Was dann zwar auch prompt geschah, aber sich wegen haushaltsrechtlicher und innerministerieller Uneinigkeiten über Jahre hinzog. Trotz aller Bedenken wurde das Bergwerk Asse dann im März 1963 angekauft.
1965: Der Druck wächst
Als Forschungs- und Modellanlage sollte in der Asse II untersucht werden, wie Atommüll am sichersten zu lagern sei. Gleichzeitig war "als Ausweichlager für besondere Fälle" auch die temporäre Einlagerung ausgebrannter Kernberennstoffe vorgesehen. Doch in einer Besprechung am 30. Juni 1965 teilte der zuständige Referent den Anwesenden mit, dass die Nutzung der Asse als Endlagar durchaus geplant sei - wenn auch erst nach einem abgestuften Versuchs- und Forschungsverfahren, an dessen letzter Stufe die Einlagerung auch hochradioaktiven Abfalls vorgesehen war. Bei den "Betrieben, Instituten und Kliniken" stapelte sich unterdessen der Müll. Am 4. August 1965 schlugen Verantwortliche für den Forschungsreaktor in Karlsruhe (GfK) mit einem Schreiben beim Ministerium Alarm: „Bis zum Spätherbst dieses Jahres werden unsere Lagerhallen gefüllt sein. (...) Wir bitten Sie, noch in diesem Jahr alle Vorkehrungen zu treffen, so dass noch in diesem Jahr mit der Versuchseinlagerung von radioaktiven Abfällen begonnen werden kann. Andernfalls müssten wir umgehend Maßnahmen zum Bau einer neuen Lagerhalle ergreifen, was wir angesichts der Finanzlage dringend vermeiden wollen.“
Die zuständigen Geschäftsführer der GSF (Gesellschaft für Strahlen- und Umweltforschung) bemerkten den unbeabsichtigten Lapsus in dem Alarmschreiben. Mit Schreiben vom 20. August 1965 an das Ministerium entlarvten sie die Absichten der GfK: „Der von der GfK gewählte Ausdruck der 'Versuchseinlagerung' müsste hinsichtlich des Umfangs der Versuche noch genauer präzisiert werden. Nach dem Schreiben handelt es sich nicht um eine Versuchslagerung einer begrenzten Auswahl von Fässern, sondern um die Aufnahme eines erheblichen Teils der radioaktiven Rückstände der GfK ... Wenn mehr als eine reine Versuchslagerung in begrenztem Umfang geschieht, sind neue politische Demonstrationen zu besorgen, die gleichzeitig mit dem Vorwurf der Unaufrichtigkeit und der Unglaubwürdigkeit unserer Erklärungen verbunden werden.“
Die beiden Geschäftsführer baten also folgerichtig das Ministerium um seine ausdrückliche Zustimmung. Die Jahre 1965 – 1968 waren dann lt. Möller geprägt von haushaltstechnischen Diskussionen. Für die Jahre 63 – 67 waren im Haushalt gerade einmal 18 Mio. DM für den Strahlenschutz eingestellt – angesichts mittlerweile geschätzter rund 25 Mio. DM Gesamtkosten für die Herrichtung der Asse als Endlager viel zu wenig.
Ominös bleibt, was der damalige Leiter des Instituts für Tieflagerung, Hermann Borchert, in einem Schreiben vom 11.02.1966 mit "höchstgewichtigen Gründen" meinte, wegen derer man derzeit an der ASSE festhalte. Auch Möller ist es nicht gelungen, zu ergründen, was hinter dieser merkwürdigen Äußerung steckte.
Während die Zuständigen noch über haushaltstechnische Fragen und den nächsten Schritt stritten, rutschte ihnen das marode Bergwerk buchstäblich unter den Füßen weg: am 27. April 1966 lösten sich 25 Meter Schachtwassersammelleitung vom Niveau 275 – 300 m und stürzten ab. Schäden an Mauerwerk und Korb sowie erhöhte Wasserzuflüsse waren die Folge. Grund genug für den fast auf den Tag genau ein Jahr zuvor eingerichteten „Arbeitsausschuss zur Koordinierung der Forschungs- und Entwicklungsarbeiten der GSF und GfK auf dem Gebiet der Tieflagerung radioaktiver Rückstände (AkoTL)“, den Einbau einer Vorbausäule zu fordern, um die langfristige Nutzung der Schächte zu ermöglichen.
Möller: „Schritt für Schritt trat nun ein, was (Unterabteilungsleiter) Straimer zu den nicht überschaubaren bzw. sehr hohen Betriebskosten vorausgesehen hatte. Für die zur Herrichtung des Bergwerks nötigen Beträge wären Bau und Erweiterung mehrerer Zwischenlager auf Jahre hinaus möglich gewesen.“
1971: "Mit der Asse haben wir ein Endlager"
Doch das lag offensichtlich nicht im Interesse des Ministeriums. Zwar liefen parallel noch Untersuchungen zur Kavernennutzung, die Wirtschaftlichkeit der ASSE als Endlager sollte aber nicht gefährdet werden. In einem ministeriellen Vermerk vom 19. 07. 1968 heißt es: "Inzwischen haben verschiedene Studien und geologische und bergtechnische Gutachten sowie experimentelle Arbeiten und zwei Einlagerungsversuche gezeigt, daß das Salzbergwerk Asse nach Abschluß der zur Zeit laufenden Instandsetzungsarbeiten ausreichende Sicherheit bietet, um die in der Bundesrepublik anfallenden radioaktiven Abfälle aller Aktivitätsklassen für die nächsten Jahrzehnte aufzunehmen. Alle Planungen und Maßnahmen für eine zentrale, endgültige Lagerung dieser Abfälle sind daher inzwischen darauf abgestellt, die Lagerungskapazität der ASSE so optimal und unter Berücksichtigung der bisherigen Investitionen so wirtschaftlich als möglich zu nutzen."
Innerhalb von von etwa vier Jahren hatte sich der Verwendungszweck des Salzbergwerks Asse II deutlich erweitert, ermittelte Möller. Es sollte nicht mehr für nur fünf bis zehn Jahre zu Forschungs- und Einlagerungszwecken, sondern nun für Jahrzehnte als einziges Endlager für alle Aktivitätsklassen dienen. Die Errichtung eines Routineendlagers um das Jahr 1971/1972 stand damit 1968 nicht mehr zur Debatte.
Spätestens 1971 wurde mit dem Umweltprogramm - erneuert in der dritten Auflage 1973 - öffentlich, daß auch die Bundesregierung dies zu ihrer eigenen Politik gemacht hatte: "Die BRD hat mit dem Salzbergwerk Asse bei Wolfenbütel ein Endlager geschaffen, das nach vollem Ausbau die bis zum Jahr 2000 anfallenden etwa 250 000 Kubikmeter radioaktiver Rückstände aufnehmen kann", war dort unter "radioaktive Abfälle" zu lesen.
Niedersachsen spielte mit
Dass die niedersächsische Landesregierung diese Politik nicht nur gewußt, sondern aktiv mitgetragen hat, belegt ein Schreiben des (niedersächsischen) Ministeriums für Wirtschaft vom April 1971. Darin wird dem Bundesministerium der Arbeitsplan für die "Einlagerung radioaktiver Abfallstoffe im Salzbergwerk ASSE II" in sieben Stufen mitgeteilt. In der siebten Stufe - nach einer "vorhergehenden Versuchseinlagerung geringer Mengen" sollte danach in der ASSE die "dauernde Einlagerung radioaktiver Stoffe und Abfälle hoher Aktivität" vorgenommen werden.
Erst 1976 erschien ein neues Gutachten, dass dem Carnallitit größere Bedeutung beimaß. Nun galt nicht mehr das Absaufen der Grube – wie jahrelang als größter anzunehmender Unfall definiert – sondern der Einsturz als größte Gefahr. Doch auch dieses Gutachten verhinderte nicht die Einlagerung. Über 60 000 Fässer verschwanden allein zwischen 1976 und 1978 im Schacht.
Die niedersächsische Landesregierung spielte das Spiel lange mit, erst im Länderausschuss 1978 forderte die niedersächsische Landesregierung ein Planfeststellungsverfahren für die Asse. Begründung: „Praktisch handele es sich hier um Endlagerung; dem müsse letztlich durch ein Planfeststellungsverfahren Rechnung getragen werden“, heisst es im Protokoll der Sitzung. Für das Verfahren wurden sieben Jahre veranschlagt – inklusive zwei Jahren für „Rechsstreit zum Sofortvollzug“.
Allen Appellen von Bundesregierung und verschiedenen Ministerien zum Trotz blieb die niedersächsische Landesregierung bei ihrer Haltung. Der vorgesehene Betrieb der Asse als Endlager scheiterte am Planfeststellungsverfahren.
Bis dahin waren allerdings schon zigtausend Tonnen Atommüll verschiedener Herkunft eingelagert worden. Und spätestens 1988 passierte das, was Wissenschaftler noch zwanzig Jahre zuvor als „in Jahrhunderten eintretend“ prognostiziert hatten: es trat von der Südflanke her, also von der Seite, die nur wenige Meter Abstand zur Carnallit-Lage hat, Wasser ein. Seitdem droht die Grube einzustürzen – auch hier taucht immer wieder Carnallit als Grund auf: es wäscht sich im Laufe der Zeit aus, Hohlräume entstehen.
Seit Mitte 2009 ist nun das Bundesamt für Strahlenschutz für die Absicherung und Beseitigung der Probleme zuständig – die Politiker, Ministerialbeamte und Wissenschaftler über Jahrzehnte hinweg verursacht haben.
Foto: aufpassen.org
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