Thema: gesellschaft

Ein ganz normaler Strafprozess? Neonazi-Streit in Wibbese landet vor Gericht

Statt eines bekannten völkischen Siedlers stand am Donnerstag seine Nachbarin und Nazi-Widersacherin vor Gericht. Der Vorwurf: üble Nachrede und Verleumdung. Politische Fragen wurden dabei allerdings nicht behandelt.

Googelt man im Internet den Ort "Wibbese" so sind dort zunächst reihenweise Artikel mit Überschriften wie "Mein Nachbar, der Nazi", "Öko-Nazis im Wendland" oder "Die 'netten Öko-Nazis von nebenan" zu finden. Immer wieder ist es Barbara K., die dort als Interviewpartnerin bzw. Hauptkämpferin gegen ihre Nachbarn, Timothy L. und seine Freunde zitiert wird.

Eines dieser Interviews brachte sie nun vor Gericht. In der Online-Ausgabe der Hamburger Morgenpost vom 04.07.2016 wird sie in dem Artikel "Die 'netten' Öko-Nazis von nebenan" mit dem Satz zitiert, dass Timothy L. sie angebrüllt haben soll: „Hau ab, du Untermensch, du hast hier nichts verloren! Es kommen dunkle Zeiten auf dich zu.“

Auch in einem Radiobeitrag des NDR findet sich der Originalton von Barbara K.: "... kommt es dann ab und zu mal zu unschönen Äußerungen mir gegenüber: „Untermensch“, „antifaschistischer Jude“! „Kümmere Dich um Deinen Dreck!“  

Timothy L. ließ diese Behauptung nicht auf sich sitzen und erstattete wegen des MOPO-Artikels Anzeige wegen übler Nachrede und Verleumdung. Die Lüneburger Staatsanwaltschaft erließ darufhin einen Strafbefehl, da sie den Tatbestand als erfüllt ansah. Dies ließ K. nun wiederum nicht auf sich sitzen und legte Einspruch ein. Am Donnerstag wurde die Angelegenheit nun vor dem Amtsgericht in Dannenberg verhandelt.

Wie sich herausstellte, hatte Timothy L. Barbara Barbara K. schon mehrfach angezeigt. Wegen verschiedener Delikte. Hausfriedensbruch warf er ihr vor, Verletzung der Intimsphäre aber auch schon einmal üble Nachrede, weil K. in einem anderen Interview behauptet hatte, L. hätte sie als "Antifa-Hure" beschimpft. Alle diese Verfahren waren von der Staatsanwaltschaft ohne weitere Auflagen eingestellt worden, meist wegen fehlenden öffentlichen Interesses.

Nur ein Nachbarschaftsstreit?

Für Amtsrichter Tore Larsen war nun aber ein Punkt erreicht, wo dieser "langjährige Nachbarschaftsstreit" ein Ende haben sollte. Er schloss sich der Haltung der Staatsanwaltschaft an, dass der Tatbestand als gesichert gelten kann, bot aber dennoch eine Einstellung an. Diesmal allerdings gegen die Zahlung einer Geldbuße, eben weil K. in "ähnlichen Fällen", wie Larsen sich ausdrückte, schon auffällig geworden sei.

Doch K. und ihr Anwalt Sven Adam aus Göttingen akzeptierten dieses Angebot nicht und forderten die Befragung des Zeugen und Anzeigeerstatters Timothy L.. Gelassen nahm dieser auf dem Zeugenstuhl Platz und leugnete mit ruhiger Stimme onsequent, jemals Derartiges gesagt zu haben. Er konzentrierte sich auf seine Rolle als Opfer, welches von Frau K. seit Jahren bespitzelt und verfolgt werde.

Seit Jahren habe er mit K. kein Wort gewechselt. Er könne sich deshalb auch nicht erklären, wie die umstrittene Aussage entstanden sein soll, so L. in seiner Zeugenaussage. Nach seiner Ansicht wolle die Angeklagte sich rächen, weil er in einer Grundstücksangelegenheit eine schriftliche Fixierung abgelehnt habe. "Seitdem haben wir kein gutes Verhältnis mehr." Zu den meisten Bewohnern Wibbeses sei das Verhältnis weiterhin hervorragend, nur Frau K. und ihr ehemaliger Mann würden ihn und seine Frau mit "haltlosen Vorwürfen" überziehen. "Entwürdigend" sei das, so L. "Vorgeführt" fühle er sich und als "Opfer" der Attacken von K. und ihrem ehemaligen Mann. Einmal habe er K. dabei erwischt, wie sie frühmorgens durch seine Fenster linste, des Weiteren habe sie immer wieder Fotos von seinem Grundstück gemacht.

Alle Versuche des Verteidigers von K., die Glaubwürdigkeit L.s zu erschüttern, schlugen fehl. Immer wieder betonte L., seit Jahren kein Wort mit K. gewechselt zu haben und die behaupteten Äußerungen nie getan zu haben. Im Gegenteil: "Den Begriff 'Untermensch' finde ich irrsinnig und würde ihn nie benutzten", beteuerte er. Er habe sogar versucht, über den zuständigen Diakon und auch den Landrat die Situation zu glätten. Erfolglos. "Ich und meine Frau möchten von Frau K. nur in Ruhe gelassen werden."

Ein völkischer Sozialist mit Bio-Ambitionen

Von den Neo-Nazi-Aktivitäten - die L. nicht bestreitet - war im Prozess keine Rede. Nichts von Hitlergruß-Zeigen im Garten oder ausgiebige Feiern, bei denen rechte Kampflieder gesungen worden sein sollen. Nichts von der Neo-Nazi-Vergangenheit Timothy L.s, die ebenfalls von verschiedenen Medien berichtet wurde. Doch hiergegen hat L. keine Strafanzeige gestellt.

Gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung stellte L. sich als "völkischer Sozialist" dar, der die BRD für eine GmbH hält, die von "Koksern und Kinderfickern" (womit er Politiker und Wirtschaftsbosse meint) geführt werde, die wiederum vom "internationalen Finanzjudentum" gelenkt seien usw. usw. In Wibbese wolle er sich durch Bio-Landwirtschaft selbst versorgen, um sich in "Zeiten der Entartung" gesund zu ernähren.

Der Verfassungsschutz beobachtet den Hof in Wibbese und die Aktivitäten, die darauf stattfinden, schon längere Zeit. Bisher sind die zuständigen Behörden allerdings der Ansicht, dass dort nichts passiert, was strafrechtliche Konsequenzen haben müsse. Barbara K. allerdings muss sich nun den staatsanwaltlichen Vorwürfen stellen, rechtswidrig gehandelt zu haben.

Wie der Prozess ausgeht, ist noch unklar. Rechtsanwalt Sven Adam stellte im Prozess weitere Beweisanträge. So soll der Journalist vernommen werden, der den Artikel in der Morgenpost verfasst hatte, ob Barbara K. die umstrittenen Behauptungen der Zeitung gegenüber überhaupt geäußert hatte. Außerdem sollen zwei Zeugen geladen werden, die bestätigen können, dass ein bestimmtes Gespräch nicht so stattgefunden habe, wie L. es behauptet. Am 23. Januar geht es vor dem Amtsgericht weiter.





2017-01-06 ; von Angelika Blank (autor),
in Wibbese, 29479 Jameln, Deutschland

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