Geahnt haben es die Gorlebengegner ja schon länger, nun wies die Umweltschutz-Organisation Greenpeace nach, dass das Standortauswahlgesetz Lücken aufweist: es ist nicht eindeutig geklärt, für welche Atommüllarten das Transportverbot nach Gorleben tatsächlich gilt.
Greenpeace geht nun davon aus, dass es 2015 bereits zum nächsten Atommülltransport nach Gorleben kommen wird - dann mit mittelaktiven Abfällen aus der Wiederaufbereitung in La Hague. Weitere 21 Behälter mit Atommüll sind jetzt bereits aus Sellafield avisiert.
Nach ihrer Kurzexpertise ist Greenpeace der Ansicht, dass diese fünf Castorbehälter (und weitere sogenannte MAW-Abfälle) laut Atomgesetz an keinem anderen Standort als Gorleben untergebracht werden können. "Das novellierte Atomgesetz, Artikel 9, Abs. 2a, besagt zwar, dass "verfestigte Spaltproduktlösungen" aus der Wiederaufarbeitung im Ausland in Zwischenlager an Atomkraftwerken transportiert werden müssen (Gorleben liegt nur bei einem Zwischenlager). In den fünf Castoren befinden sich aber "Prozess- und Spülwässer aus der Wiederaufarbeitung" – und das ist Atommüll einer anderen Kategorie," so die Umweltschutz-Organisation auf ihrer Internetseite.
Außerdem sei Gorleben das einzige genehmigte Zwischenlager für die Castortransporte aus Frankreich. Greenpeace ist nun der Ansicht, dass Niedersachsen bewusst getäuscht worden sei, denn der damalige Umweltminister Peter Altmaier habe versprochen, keinen Castor mehr ins Wendland zu schicken. Die Umweltschutz-Organisation fordert nun von der Bundesregierung, sofort jegliche Castortransporte ins niedersächsische Gorleben gesetzlich auszuschließen.
ReaktionenDie Bürgerinitiative Umweltschutz (BI) Lüchow-Dannenberg kann sich nicht vorstellen, dass diese Formulierung im Gesetzestext eine Unachtsamkeit ist. Von der niedersächsischen Landesregierung wie von der Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) erwartet die BI nun Rückgrat und präsentiert auch einen Vorschlag für eine Interimslösung: Bis zur Klärung der Frage, wo der Atommüll in Deutschland gelagert wird, sollte der Müll verbleiben, wo er ist. "Das vermeidet den Atommülltourismus, der zugleich kennzeichnend für das Hin- und Herschieben der Probleme ist," so BI-Sprecher Wolfgang Ehmke.
Für die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Europaparlament, Rebecca Harms, sitzt das Misstrauen tief, ob die Regierung es mit einem echten Neustart der Endlagersuche ernst meint. "Es ist tatsächlich so, dass auch nach der Novellierung des Atomgesetzes die Einlagerung der
nächsten La Hague-Transporte in Gorleben nicht auszuschließen ist. Das steht im Widerspruch zu dem politischen Bekenntnis, dass keine weiteren Transporte nach Gorleben gehen sollen.
Deshalb befürworte ich eine Gesetzesänderung, so dass die politischen Bekenntnisse und das Gesetz in Einklang gebracht werden.“
Auch für Miriam Staudte, grüne Landtagsabgeordnete und atompolitische Sprecherin der Fraktion gibt es dringenden Handlungsbedarf. "Die neue Bundesregierung ist gefordert, rechtliche Klarheit zu schaffen und notfalls das Atomgesetz zu präzisieren. Es darf keine Hintertür für die klagefreudigen Atomkonzerne geben," so Staudte.
Bis heute gibt es keine Klärung
in welche anderen Bundesländer die ausstehenden 26 Castoren kommen
sollen. "Die Verteilung der Castoren muss umgehend geklärt werden,
denn Genehmigungsänderungen für die neuen aufnehmenden Zwischenlager dauern in
der Regel zwei Jahre. Liefert Frankreich 2015 die letzten fünf Castoren aus La
Hague müssen diese Genehmigungen vorliegen," ergänzte Staudte.
Niedersachsen hatte seine Zustimmung zum Standortauswahlgesetz daran geknüpft, dass keine weitere Vorfestlegung, dadurch dass noch mehr Castor-Lieferungen nach Gorleben kommen, stattfindet.
Begründung zum Standortauswahlgesetz soll Aufschluss geben
So findet sich in der Empfehlung folgender Absatz: "Heftige Diskussionen habe es darüber gegeben, wohin die Castoren, die aus Sellafield und Le Hague zurückgenommen werden müssten, verbracht würden. Dazu habe es einen Kompromiss auf Ebene der Ministerpräsidenten und der Bundesregierung gegeben. ..."
Ob diese Formulierung in der Beschlussempfehlung zum Gesetz tatsächlich ausreicht, um für die Atommüll-Transporte nach Gorleben Klarheit zu schaffen, müssen jetzt die Politiker klären - zumal angesichts der unzähligen Beschlüsse und Vereinbarungen im Vorfeld des Beschlusses über das Standortauswahlgesetz im Moment unklar ist, was der benannte "Kompromiss" tatsächlich besagt - und welche Rechtsgültigkeit er hat.
PS: Über einen Fakt gibt es bei den Atomkraftgegnern absolute Einigkeit: die Entlassung des wegen seiner engen Verbindungen zur Atomwirtschaft umstrittenen Staatssekretärs Gerald Hennenhöfer wird allgemein als "überfällig" eingestuft. (siehe u.a. taz: "Aus für den Atommann")
UPDATE I: Nach Informationen der BI sind Vorbereitungen für einen Castor-Transport im Jahr 2015 offensichtlich längst getroffen worden. "Für die Unterbringung von 4000 bis 5000 Bundespolizisten würde die Lüneburger Schlieffenkaserne vorgehalten, sagte der Lüneburger Oberbürgermeister Ulrich Maedge gegenüber dem Radiosender FFN," so die BI. Die Stadt habe eine zivile Nutzung der Kaserne gewollt, vom Bundesinnenministerium aber unter Verweis auf "einen Polizeieinsatz" im Jahr 2015 kein grünes Licht dafür erhalten.
UPDATE II zum "Kompromiss": Hier noch einmal die Vereinbarung der Landeschefs mit der Bundesregierung aus Juni 2012 sowie sie sich nach Sichtung von Medienberichten aus dem vergangenen Jahr darstellt:
1. Mit dem Inkrafttreten des Endlager-Suchgesetzes sollen keine Castor-Transporte mehr nach Gorleben rollen.
2. Auch über die noch ausstehenden 26 Behälter mit Atommüll, die aus La Hague und Sellafield zurückgenommen werden müssen wurde ein Beschluss gefasst: sie sollen auf mehrere - es war die Rede von drei schon bestehenden Standort-Zwischenlagern verteilt werden.
3. Mit den Betreibern der Atomkraftwerke sollte bis Anfang 2014 ein Konzept erarbeitet werden, wo, wie und wann die noch ausstehenden Atommüllbehälter transportiert und gelagert werden sollen.
Foto / C. Palitzsch: Szenen wie beim Castortransport 2011 (hier bei Hitzacker) möchten die Wendländer nicht mehr erleben.