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"Ach wär ich nur ein Rolling Stone" - Zu Gast bei Gunter Gabriel

Er ist nicht jedermanns Sache, aber eine lebende Legende ist er trotz Dschungelcamps und diverser Skandale geblieben. Am Ostersamstag kommt Gunter Gabriel für ein Konzert nach Lüchow in das Stones-Museum. Björn Vogt besuchte ihn auf seinem Hausboot im Harburger Hafen.

Etwas zerzaust bittet Gunter Gabriel auf sein großes Hausboot. Das eiserne Ungetüm liegt am Ende einer kleinen Werft im Harburger Hafen. Die Ausicht auf die Elbe ist spektakulär, eine Segelyacht gleitet vorüber. Ganz in der Nähe liegt ein großes Flüchtlingsschiff. „Die Welt ist aus den Fugen. Was soll man machen?“, meint Gabriel. Er lacht. „Vielleicht sind ja ein paar nette Frauen dabei“.

Über das Sonnendeck führt der Weg direkt in das Büro des bekannten Countrysängers. Auf den ersten Blick ist klar: Hier herrscht kreatives Chaos. „Ich hab keine Putzfrau, und meine Frau ist weg, das stand ja groß in der Bild“, knurrt der Sänger.

Die Bildzeitungs-Seite mit Gabriels Vorstrafen hängt wie eine Trophäe neben dem Plakat „Wer Jesus hat, hat das Leben“ an der Wand. Unzählige Bücher und Notizhefte liegen verstreut auf dem großen, sonnenüberfluteten Schreibtisch, zahllose Fotos, Cartoons und Zeitungssausschnitte sind an die Wände gepinnt. Ein Aufkleber: „Ich wähle Doris‘ ihren Mann seine Partei“. Volle Bücherregale, stapelweise CDs, aufgeschlagene Bücher und Magazine erzählen von einem vielseitig interessierten Menschen.

Aus einem CD-Player perlt angenehme Soulmusik. Gunter drückt erstmal das Sieb einer gläsernen Aufbrüh-Kaffeekanne runter und schenkt ein: schwarzer Kaffee, „aus der kleinen Rösterei von nebenan“. Der Lärm des Werftbetriebes klingt herüber. Sein Hausboot liegt hier kostenlos, der Werftbesitzer ist ein Fan.

An der Bordwand fällt ein Foto ins Auge. Es zeigt Gabriel in einem Sarg, eine Gitarre auf den gefalteten Händen. Darunter ein Zettel, SARG in Großbuchstaben. „Das S steht für Stress, A für Alk, R fürs Rauchen, G für Gewicht. Stress und Alkohol hab ich schon gestrichen“, betont der Countrysänger.

Gunter Gabriel sieht müde aus. Er kommt gerade aus Berlin, von Synchronaufnahmen für die DAMX-Fernsehserie „Asphalt Cowbys“. Er hat Ulli Schröder auf sein Boot eingeladen, um Details seines Auftritts im Stones-Museum zu besprechen.

"Ich bin eine ehrliche Haut"

Gabriels Bild in der Öffentlichkeit ist in letzter Zeit vor allem geprägt durch seine kleineren Vergehen. Im Moment stottert er mehrere Geldstrafen ab, wegen Beleidigungen, Rüpeleien, oft im Suff. Er redet offen über seine Vergangenheit und zeigt lächelnd auf einen Bild-Ausriss, der auf einer Ganzseite  (Bundesausgabe!) fein säuberlich seine 24 Vorstrafen auflistet.

„Ich bin einer, der sich oft selber im Weg steht, aber ich bin eine ehrliche Haut“, meint Gabriel. „Hey, ,Ehrliche Haut‘. Das wäre ein guter Titel für ein Album“, lacht der Hüne.
Das Schroffe, vor allem in der medialen Öffentlichkeit zur Schau gestellt Vulgäre, ist aber nur eine Seite von Gunter Gabriel. „Immer sind es die härtesten Jungens, die dann heimlich weinen und unfassbar romantisch sein können. Bei Gunter Gabriels tiefer Truckerstimme hört man das Liebevolle, das unrettbar Nostalgische und Romantische, den unbeirrbaren Glauben an das Gute und an die Liebe bei jedem Ton“, wird Elke Heidenreich auf einer Gabriel-CD zitiert. Gabriel bestätigt, dass es vor allem Männer seien, die hemmungslos weinten bei seinen Liedern.

Im Gespräch wird schnell klar: Gunter kennt sie alle, die Großen im Showbiz, und sie alle kennen ihn. Er erzählt beiläufig von seinen Erlebnissen, ohne anzugeben. Vor kurzem traf er Wolfgang Joop in der Paris Bar in Berlin. „Ich kannte ihn nicht persönlich, aber er hat mich gleich in den Arm genommen. Er mochte mich schon immer, hat er mir erzählt. Wir haben die halbe Nacht durchgequatscht“. Gabriel ist, wie er ist - authentisch, offen, hat keine Angst. Und er ist ein genialer Songschreiber.

Hits für sich - Hits für Andere

Er hat Unmengen Lieder geschrieben, 800 an der Zahl, für andere, für sich selbst. Jede Menge Hits waren darunter. Für Juliane Werding etwa, „Wenn du denkst, du denkst...“. Für Frank Zander schuf er den Evergreen „Ich trink auf dein Wohl, Marie“, für Wencke Myhre „Ein Sonntag im Bett“. Und und und. „Ich musste damals als Angestellter auf Befehl schreiben“, erinnert er sich. Heraus kamen Hits für Roland Kaiser, für Rex Guildo, für Jack White, für Karl Dall, für Tony Marshall, für Howard Carpendale.

Gabriel feierte mit Udo Jürgens und Peter Alexander, Chris Howland war einer seiner Mentoren. Für Didi Hallervorden schreibt er gerade mal wieder einen Song. Eine ganze Reihe junger Punkbands hat, inspiriert von den Ärzten, die mit Gabriel Songs aufnahmen, eine Tribute-CD aufgenommen. „Liebe Autos Abenteuer“ ist eine ganz spezielle Hommage.

Die deutsche Stimme von Johnny Cash

Seine wichtigste Begegnung aber war die mit dem größten aller Countrysänger, mit Johnny Cash. Gabriel ist derjenige, den Johnny Cash persönlich auserkoren hatte, seine Songs auf deutsch zu singen. Mit Cash war Gunter Gabriel 25 Jahre lang befreundet, bis zu dessen Tod.

Welche Song mag er am liebsten? Meine Hits sind meine Babys“, sagt er. „Hey Boss“ ist sicherlich mein bekanntester, aber nicht mein bester. „30-Tonner-Diesel“ - das ist mein schärfster Song. Da kriege ich selber Tränen in den Augen, wenn ich den höre.“
Ausgerechnet seine Trucker-Affinität verhilft Gabriel gerade zu einem veritablen Comeback. 60 Trucker-Songs hat er im Laufe seines Lebens geschrieben. Als Synchronsprecher für „Asphalt Cowboys“ verdient er gerade sein Geld. Und Sony bringt mehrere seiner alten LPs als großformatige CD-Box heraus - „was für ein Glück!“, freut sich Gabriel.

Frauen? "Das habe ich einfach nicht gelernt"

Das Telefon klingelt. „Ach, die Weiber“, seufzt Gabriel. Seine letzte Freundin hat er unsanft von Bord befördert. Details offenbarte, wie so oft, die Bild. Was die Reporter nicht schrieben: „Sie wollte unbedingt ein Kind von mir, sie war regelrecht besessen von der Idee. Aber für mich kam das nicht mehr in Frage. Ich habe doch nicht mal eine Katze an Bord...“ Auch für das unschöne Beziehungsende stottert er eine Geldstrafe ab. „Aber so ganz ohne Frau ist es auch nichts“, bekennt Gabriel.

Auf die Frage, wieviel Heiratsanträge der Womanizer in seinem Leben schon erhalten hat, bemerkt er bissig: „Keinen. Mich will keine heiraten. Okay, ich habe keinen Mangel an Frauen. Aber ich bin nicht bindungsfähig.“ Vier Kinder hat er, von vier Frauen. „Ich habe es einfach nicht gelernt. Meine Mutter ist gestorben, als ich vier war. Ich schäme mich, aber es hat nie lange geklappt mit meinen Frauen“.

Zu seinen Kindern hält er Kontakt, seine Töchter sieht er regelmäßig. Er ist stolz auf sie. Die Älteste lebt in London. Sie hat sich erfolgreich im Modebusiness etabliert. Wenn sie zu ihm kommt, schläft sie auf dem Boot, Platz ist genug. Der riesige Kahn ist gemütlich, teils stilvoll, teils originell ausgebaut. 

Gabriel hat im Laufe seiner Karriere Millionen verdient, auch wenn er bescheiden abwinkt. „Ja, früher, zeitweise 200.000 Mark pro Monat. Aber ich wusste nicht, warum - und wohin damit. Ich wollte immer nur, dass die Leute meine Songs mögen.“

Mitte der 80er Jahre stürzte der damalige Star erbarmungslos ab. Er wurde schlecht beraten und verlor alles. Gabriel überlebte - auf Autobahnraststätten, in Ersatzteillagern, in einem Wohnwagen. Mit dem stand er auf Campingplätzen und Supermarkt-Parkflächen. „Ich weiß gar nicht, wieso ich mich damals nicht umgebracht habe“, merkt der 72-jährige lakonisch an. Zehn Jahre dauert seine Durststrecke, Aber er hält durch. „Damals habe ich ganz in der Nähe von Maffay gehaust, auf einem Campingplatz. Es war so saukalt. Aber ich habe nicht bei Peter geklingelt.“ Und er hat durchgehalten.

„500.000 Euro sind nicht viel. Das kann man schaffen“

Irgendwann hatte er die Idee mit den Wohnzimmerkonzerten. „Ich hatte 500.000 Euro Steuerschulden, und Privatinsolvenz kommt für mich nicht in Frage. So ein Typ bin ich nicht. Und 500.000 sind nicht viel. Das kann man schaffen.“ In einer NDR-Talkshow im Jahr 2007 hielt er ein selbstgemaltes Plakat hoch und sagt in die Kamera: „Ich spiele bei euch für 1.000 Euro im Wohnzimmer. Ruft an!“.  Die Leute riefen an.

Er spielte vor 600 Zuhörern bei Betriebsfeiern, und auch vor vier, von denen eine im Sterben lag. Die Wohnzimmertour markierte einen Wendepunkt in seiner Karriere.  Nicht mehr die Bild, sondern die Feuilletons großer Zeitungen berichteten über Gabriel - voller Wohlwollen. Ernstzunehmende Kritiker lobten seine neue CD  - „Sohn aus dem Volk“ - überschwenglich.

Inzwischen  hat er über 500 Konzerte gespielt,  „bei Bankern und bei Maurern, bei Dachdeckern, bei einsamen Ladies am Kamin, auf Geburtstagsfeiern, bei Ärzten im Partykeller“. Im Bauwagen, in Kleingärten, Clubhäusern und Bauernhöfen, auf einem 140 Meter hohen Kran („Ich musste auf der Hälfte umdrehen, das hab ich nicht geschafft, erst im zweiten Anlauf“), in Werkstätten zwischen Bohrmaschinen und Drehbänken, in Doppelgaragen und als Höhepunkt: „In einem Dixi-WC, für ein Liebespaar“.

Gabriel erinnert sich: „Unzählige Freundschaften wurden geschlossen, literweise Tränen vergossen, Unmengen Gulaschsuppen gelöffelt. Näher geht‘s nicht! Eigentlich wollte ich nur ein Signal setzen für all diejenigen, die irgendwie in der Klemme sitzen und ohne Hoffnung sind. Die eigentliche Botschaft dieses Experimentes heißt also: Keine Lage ist aussichtslos.“

Mit 72 immer noch "on the road"

Heute läuft es wieder gut für Gabriel. Neben dem Synchronsprecher-Job nimmt er eine neue CD auf, spielt gerade einen Fan-Song für Herta BSC ein („den schenke ich denen...“)“ und schreibt an einem neuen Buch.

In seiner ersten großen Theaterrolle brilliert Gabriel als Titelfigur im Bühnenstück „Hello, I‘m Johnny Cash“ an der Seite der Sängerin Helen Schneider: „Das Stück im Berliner Renaissance Theater ist immer ausverkauft“, freut sich Gabriel. Die Berliner Morgenpost staunt: „Gunter Gabriel spielt die Rolle seines Lebens: Johnny Cash - und das Publikum klatscht und tobt.“

Mit 72 führt er immer noch ein Leben on the road: Heute Hamburg, morgen Berlin, übermorgen Köln. „Das nervt schon. Für 1.000 Euro muss ich losfahren, meinen Fahrer bezahlen, zwei Übernachtungen, da bleibt nicht viel übrig. Und ich bin nicht mehr 20. Aber was soll‘s.“

Sein Fazit: „Ich bin privilegiert, dass ich so leben kann, wie ich lebe“, sagt der 72-jährige und blickt auf die Elbe. „Aber meine Astrologin rät mir, ne neue Frau zu suchen“.
Er hat so viel erreicht im Leben. Was wäre noch schön? „Nochmal den einen richtig guten Song schreiben. Zitat Johnny Cash: ,Drei Akkorde und eine Geschichte - mehr braucht ein Song nicht‘. Und dann: Ein Duett mit Mick Jagger. Oder Keith Richards“.  Er lacht: „Oder mit Angela Merkel“.

Am Samstag vor Ostern kommt Gunter Gabriel für ein Konzert nach Lüchow ins Rolling-Stones-Fanmuseum. „Anders als gewohnt, als „Storyteller“, berichtet Museumsdirektor Ulli Schröder. Gegeben wird das Programm „Storytellers“ - Geschichten, eigene Lieder, Songs von Johnny Cash. Gunter Gabriel und Heinrich Doc Wolf, der eigentlich Wulfes heißt, wollen in Lüchow von ihren Erlebnisse erzählen. Musikalisch und auch anders.

Samstag, 4. April ist es soweit: Ab 19:30 Uhr sind die Pforten geöffnet, um 21 Uhr beginnt das Konzert mit den beiden Singer/Songwritern.

Kartenvorverkauf: Telefon: 05841-5902 oder 0171-2014023 oder per email:  stonesmuseumluechow(ät)gmx.de  

Foto / Björn Vogt: Kann über sich selber lachen: Gabriel mit einem ganzseitigen BILD-Artikel über seine 24 Vorstrafen.





Fotos

2015-03-27 ; von Björn Vogt (autor),
in Hamburg, Deutschland

musik  

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