Im Wendland ist Peter Steudtner gut bekannt: Er leitete vor einigen Jahren (kommissarisch) die Bildungs- und Begegnungsstätte für gewaltfreie Aktion e.V. Kurve Wustrow. Steudtner wurde zusammen mit seinem schwedischen Kollegen Ali Gharavi und acht weiteren bekannten türkischen Menschenrechtlern am 5. Juli während eines Workshops in der Türkei festgenommen, darunter die Direktorin von Amnesty International Türkei, Idil Eser. Für sechs von ihnen wurde nach 14 Tagen die Untersuchungshaft angeordnet, darunter Steudtner, Gharavi und Eser.
Präsident Erdogan bezeichnete Steudtner und seine Kollegen am Dienstag als "Agenten Deutschlands, die von Hotelzimmern aus das Land zerteilen".
Peter Steudtner war Referent eines für fünf Tage geplanten Seminars zum Thema Informationsmanagement sowie Umgang mit Stress und Trauma, unterstützt von der internationalen Entwicklungsorganisation HIVOS. Das Seminar endete am vierten Seminartag abrupt mit der Verhaftung aller Anwesenden. Nach einer zweiwöchigen Frist der Haft ohne Anklage hätten die Festgenommenen eigentlich freigelassen werden müssen. Stattdessen wurden Steudtner und Gharavi am 18. Juli in Untersuchungshaft überführt. "Die Unterdrückung von menschenrechtlichem Engagement durch die türkische Regierung erreicht damit einen neuen Höhepunkt", kritisieren nicht nur Mitarbeiter der Kurve in Wustrow.
"Vollkommen absurde" Vorwürfe
Der Türkei-Korrespondent des Spiegel, Maximillian Popp, bezeichnete den Terror-Vorwurf als "vollkommen absurd." Außerdem sei vollkommen unklar, wie lange die Haft andauern wird, die U-Haft in der Türkei kann bis zu fünf Jahre verhängt werden.
Familie, Freunde und Kollegen von Peter Steudtner, auch die Mitarbeiter der Kurve Wustrow fordern die sofortige und bedingungslose Freilassung von Steudtner und den Kollegen sowie die Einstellung der Verfahren gegen die gesamte Gruppe.
Mitarbeitende der Kurve Wustrow wenden sich in einer
Solidaritätsbotschaft an ihren ehemaligen Chef: "Wir kennen und schätzen
Dich als außergewöhnlichen Menschen, engagierten Trainer für zivile,
gewaltfreie Konfliktbearbeitung und als Freund. Wie absurd, dass
ausgerechnet Dir die Unterstützung von terroristischen Organisationen
vorgeworfen wird", betonen die Kurve-Mitarbeiter, die berichten, dass
sie täglich Solidaritätsnachrichten von Menschen aus aller Welt
erhielten, die Peter Steudtner über die Kurve kennen.
“Wir sind schockiert, dass das gewaltfreie Engagement von Peter Steudtner für friedliche Menschenrechtler dazu geführt hat, dass er jetzt im Gefängnis ist. Es ist abwegig, ihm die Unterstützung einer bewaffneten Terrorgruppe zu unterstellen", betont auch Daniel Ó Cluanaigh, Menschenrechtsberater aus Berlin und Sprecher für die Angehörigen in Deutschland: "Seminare wie dieses sind gängige Weiterbildungen für Menschenrechtsorganisationen, damit sie vertrauliche Daten verwalten können, wie Zeugenaussagen zu Menschenrechtsverletzungen oder vertrauliche persönliche Informationen von Betroffenen. Wir fordern die unverzügliche Freilassung aller Menschenrechtler und die Einstellung der Verfahren”, so Ó Cluanaigh.
Auch die Bundesregierung setzt sich für die Freilassung ein
Peter Steudtner lebt mit seiner Partnerin und zwei Kindern in Berlin. Seine Partnerin Magdalena Freudenschuss sagt: “Nicht zu wissen, wann Peter entlassen wird, macht uns Angst, aber auch wütend. Peter fehlt, uns im Alltag und vielen mit seiner Arbeit für eine gerechtere, friedlichere Welt.“
Für die Europaabgeordnete Rebecca Harms (Grüne) ist die Inhaftierung der Menschenrechtsaktivisten eine weitere
Eskalation, die sich gegen die tuerkische Zivilgesellschaft und gegen
ihre Unterstützer von ausserhalb der Tuerkei richtet. "Es ist richtig,
dass die Bundesregierung sich für die sofortige Freilassung einsetzt," so Harms gegenüber wnet. "Bei meinem Gespräch mit dem deutschen Generalkonsul in Istanbul ist
deutlich geworden, dass sich deutsche Diplomaten dort sehr um Peter
Steudtner bemühen." Allerdings, so betont Harms, sei es völlig offen, ob und wie es
gelingen kann, die Freilassung zu erreichen. "Ich werde mich um die
Ermöglichung von Besuchen durch Verwandte im Gefängnis einsetzen. Und
ich werde so gut es geht, die Familien und Freunde der eingesperrten
Menschenrechtler dabei unterstützen, die Leute wieder aus dem Gefängnis
zu holen."
Der 45‐jährige Peter Steudtner widmet sich seit Jahrzehnten beruflich und privat der Friedensarbeit. Dazu gehört die Beratung und Fortbildung von Fachkräften und Organisationen im Bereich ziviler gewaltfreier Konflikttransformation, u.a. im Rahmen des Programmes “Ziviler Friedensdienst”, in Ländern wie Nepal, Kenia, Mosambik und Palästina/Israel.
Foto |Björn Vogt: Der derzeitige Leiter der Kurve Wustrow, Jochen Neumann, zeigt sich schockiert: Sein Amtsvorgänger wurde in der Türkei verhaftet unter dem Vorwurf, eine "bewaffnete Terrororganisation unterstützt zu haben".