Wenn die grazile Ida Riegels mit ihrem leuchtendroten Cellokoffer auf dem Rücken über norddeutsche Sandpisten und Feldwege radelt, drehen sich die Spaziergänger um. Sie ist ein Hingucker.
Die bildhübsche Dänin vollzieht eine Reise nach, die Johann Sebastian Bach vor über 300 Jahren angetreten hat. Im November 1705 verließ der 20-jährige für einige Wochen seine Kirche im thüringischen Arnstadt, wo er als Organist angestellt war. Das Ziel: Lübeck. Hier wollte Bach sein Idol, den großen Komponisten und Orgelmeister Dietrich Buxtehude treffen.
Bach ging zu Fuß. "Das waren über 400 Kilometer": Ida Riegels ist fasziniert von dieser Geschichte. Sie ist überzeugt, dass Bach, ihr Lieblingskomponist, "dieser Familienmensch mit weißer Perücke und 20 Kindern" in seiner Jugend ein Rebell war. Und da ein Cello zum Wandern zu unhandlich ist, beschloss die Kopenhagenerin, das Fahrrad zu nehmen. Die Reise soll ihre Beziehung zu Bach und seiner Kunst vertiefen. Ein halbes Jahr hat sie den Trip vorbereitet.
Auf dem Cellokoffer hat sie eine kleine Kamera montiert. Die Bilder des Tages lädt sie abends auf ihren Blog hoch (www.ida-riegels.dk). Zehn Kilo, mehr zusätzliches Gepäck hat sie sich nicht erlaubt.
An einem sonnigen Mittwoch im Juni tritt sie in der mittelalterlichen St.-Marien-Kirche im wendländischen Plate auf, einem verschlafenen Dorf in der Nähe der Kreisstadt Lüchow. Die Kirche ist voll besetzt. Die Dänin spielt Bach'sche Solo-Stücke für Cello und Blockflöte sowie eine eigene Komposition. Es sei ein Vergnügen zu spüren, wie die wunderbare Akustik der Kirche die Töne gleichsam fliegen ließe, die Zuhörer sind begeistert.
Kreiskantor Axel Fischer, der selber das Orgelwerk Praeludium und Fuge in D von Bach beisteuert, spricht von dem gemeinsamen Konzert mit Ida Riegels in der Plater Kirche als einem "besonderen Höhepunkt kirchenmusikalischer Konzerte, hervorragend gespielt und interpretiert und dazu mit knapp 100 ZuhörerInnen auch sehr gut besucht. Viele waren regelrecht begeistert - so soll es sein!"
Wer das Konzert verpasst hat, kann Ida Riegels am Freitag, den 16. Juni um 21 Uhr in der Dannenberger St.-Johannis-Kirche erleben.
Tags zuvor passierte sie die Landesgrenze zwischen Sachsen-Anhalt und Niedersachsen. Am Abend trat sie in der mächtigen Backsteinkirche im altmärkischen Salzwedel auf. Hier verbrachte sie mehrere Tage in einer mongolischen Jurte.
Ida Riegels, die mit drei Schwestern aufwuchs, studierte am Königlichen Dänischen Musikkonservatorium in Kopenhagen Cello, Blockflöte und Klavier. Nach dem Examen entschloss sich die heute 34-jährige gegen eine Festanstellung im Orchester. "Kopenhagen ist teuer. Freier Musiker, das bedeutet wenig Geld und viel Improvisation. Aber ich kann selbst entscheiden, was ich tun möchte". Und das ist Reisen: sie liebe Abenteuer.
Seit vier Jahren reist die Profi-Musikerin durch die Welt – mit dem Cello und Bachs Musik im Handgepäck. Ob in Indien oder Bhutan, in Washington oder Halberstadt: "Bach scheint etwas zu kommunizieren, zu dem jeder einen Zugang findet", freut sich Riegels. Um über die Runden zu kommen, spiele sie 60 bis 80 Konzerte pro Jahr.
Bachs Cellosuiten faszinieren sie seit ihrer Kindheit. "Ich habe heimlich auf dem Cello meiner Schwester geübt, als ich sechs war. Da bekam ich auch Unterricht", erinnert sich Riegels.
"In der Kirche klingt Bach umwerfend, im Café geht es aber auch" – für sie eine neue Erfahrung. Auf Schloss Gerbstedt bei Sangerhausen lernte sie Besitzer Phil Stewmann, den „Schlagerbaron“, kennen. "Seine Frau hatte gerade ein Café im Schloss eröffnet. Es war so windig und regnerisch, dass mir die Baroness anbot, mich die 57 Kilometer nach Halberstadt zu fahren. Ich tauschte Konzert gegen Lift. Bach hätte das vielleicht auch getan, vor 300 Jahren", lacht die Dänin.
Die Tour habe ihr bislang viele wunderbare Begegnungen beschert, der Rückenwind trägt sie weiter, elbabwärts. Zum Abschluss der Tour, am 23. Juni, gastiert sie in St. Marien in Lübeck - wie einst Bach.
Ende August will Riegels in einer Sommerakademie in Cambridge ihr eigenes Cello bauen. Und im Anschluss mit eigenen Kompositionen auf Tour gehen – "vielleicht wieder mit dem Fahrrad".
Buxtehude übrigens war von Bach sehr angetan. Bedingung für die Nachfolge als Organist in Lübeck war allerdings, Buxtehudes älteste Tochter Anna Margreta zu heiraten. Zu dieser zehn Jahre älteren Frau fühlte sich der 20-jährige Bach nicht sonderlich hingezogen – er ging zurück nach Arnstadt.
Fotos: Gerhard ZieglerKontakte: Ida Riegels,https://www.ida-riegels.dk/