Am 17. Dezember begann der Prozess gegen Jörg L., dem ehemaligen Richter, der als Mitarbeiter des Justizprüfungsamtes mehr als einem Dutzend Studenten die Prüfungsaufgaben für ihr Staatsexamen verraten haben soll. Doch schon am ersten Tag schien der Prozess zu platzen: die Verteidigung von Jörg L. lehnte die vorsitzende Richterin als befangen ab.
Wie schon befürchtet, konnten am ersten Prozesstag gerade einmal die Formalien festgestellt und die Anklage verlesen werden - dann war erst einmal Schluss. Der Verteidiger von Jörg L. meinte in der Tatsache, dass die Richterin zur gleichen Zeit wie der Angeklagte ebenfalls am Prüfungsamt tätig gewesen war, Grund zur Befangenheit zu erkennen. Die Richterin könnte sich durch den Angeklagten getäuscht fühlen und eventuell sogar als Zeugin in Frage kommen, so die Verteidigung.
Der Prozess wird also im Januar in der bekannten Besetzung planmäßig fortgesetzt. Über 50 Verhandlungstage sind bis zum Juni 2015 für die Verhandlung dieses außergewöhnlichen Falles angesetzt.
HINTERGRUND:
Der aus dem Wendland stammende, ehemalige Richter Jörg L. soll in seiner Dienstzeit beim Justizprüfungsamt in Celle laut der 52‑seitigen Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Verden über zwei Jahre bis zum März dieses Jahres allein sechs Referendaren die Inhalte von Prüfungsklausuren oder Vorträgen mit Lösungshinweisen gegen teilweise 5-stellige Bargeldbeträge angeboten haben. Einer der Prüfungskandidaten soll nach Zahlung der vereinbarten Gegenleistung Sachverhaltsdarstellungen und Lösungsskizzen erhalten haben.
In fünf weiteren Fällen besteht der Verdacht, dass der Angeschuldigte die Inhalte von Aktenvorträgen, Klausuren und mündlichen Prüfungen oder entsprechende Lösungshinweise dazu Prüfungskandidaten überlassen hat. Da nicht ermittelt werden konnte, ob und in welchem Umfang Gegenleistungen erfolgt sind, besteht in diesen Fällen lediglich der Verdacht der Verletzung von Dienstgeheimnissen.
Der Angeschuldigte soll Prüfungskandidaten, die bereits einmal durch das zweite Staatsexamen durchgefallen waren, von sich aus angesprochen haben. Vier Referendaren, von denen er laut Anklage erhebliche Geldbeträge verlangt hatte, soll er gedroht haben, sie wegen übler Nachrede anzuzeigen, falls diese sein Angebot verraten würden. Da die so Bedrohten aber gegenüber den Ermittlungsbehörden ihr Wissen preisgegeben haben, besteht insofern nur der Verdacht der versuchten Nötigung.
Die Referendare, denen der Angeschuldigte tatsächlich Prüfungsinhalte verraten haben soll, waren entweder bereits einmal durch die Prüfung durchgefallen oder wollten sich in einem Wiederholungsversuch verbessern. In einem Fall dürfte allein der Wunsch nach einer besonders guten Prüfungsleistung Auslöser für die Nutzung der illegal erlangten Lösungshinweise gewesen sein.
Der Angeschuldigte befindet sich seit Juni dieses Jahres in Haft in einer deutschen Untersuchungshaftanstalt. Er war aufgrund eines Europäischen Haftbefehls im März 2014 in Mailand von der italienischen Polizei festgenommen und drei Monate später nach Deutschland ausgeliefert worden.
Im Verlaufe des Ermittlungsverfahrens wurden vom Prüfungsamt über 2000 Diplome von Studenten überprüft, die seit 2011 ihr Staatsexamen abgelegt haben. Dabei wurden insgesamt 15 Betrugsfälle aufgedeckt. Gegen die Studenten werden die Verfahren anderweitig geführt - ihnen droht vor allem die Aberkennung ihrer Examina.