Thema: endlagersuche

Weil: Endlagersuchgesetz der Anfang eines Weges in die richtige Richtung

In seiner zweiten Regierungserklärung beschäftigte sich Ministerpräsident Stephan Weil ausschließlich mit dem gerade ausverhandelten Entwurf für ein Endlagersuchgesetz. Darin zeigte er sich überzeugt, mit der Vorlage einen "herausragenden Erfolg der niedersächsischen Landespolitik" erreicht zu haben.

Hier der Wortlaut der Regierungserklärung, die Ministerpräsident Stephan Weil heute im Landtag abgegeben hat:

Anrede,
die Endlagerung von hoch-radioaktivem Abfall hält uns in Niedersachsen seit mehr als 35 Jahren in Atem. So lange tobt die Auseinandersetzung um Gorleben – wie oft der niedersächsische Landtag diese Frage seitdem debattiert hat, lässt sich nur ahnen. Und auch nach den Beratungen des parlamentarischen Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages gibt es bis heute noch nicht einmal eine zweifelsfreie Klärung, warum und mit welcher Begründung 1977 eine Entscheidung für Gorleben gefallen ist.

Seit damals haben der Streit und die Auseinandersetzung niemals aufgehört, jeder neue Castor-Transport war eine schwere Belastung für Niedersachsen. 113 Großbehälter sind es seitdem in Gorleben geworden und jeder einzelne ist von den Wendländern verständlicherweise als vorgezogene Endlagerentscheidung verstanden worden.

Damit nicht genug. Die Einlagerung von Atommüll in den alten  Asse-Salzstock ist ein einziges Desaster. Geologen haben damals einen Wassereinbruch für immer für unmöglich erklärt – die Geologie hat sie schon wenige Jahre später widerlegt. Heute wissen wir noch nicht einmal sicher, ob wir diese Fässer mit Atommüll jemals bergen können. Und so ist die Asse heute das Menetekel, das über der gesamten Endlagerdiskussion schwebt.

Nehmen wir noch Schacht Konrad hinzu, dann können wir feststellen: Niedersachsen ist seit Jahrzehnten das Opfer einer fehlgeschlagenen Endlagerpolitik, Niedersachsen hat deswegen das Recht, endlich einen Neuanfang in der Endlagerpolitik zu fordern.

Anrede,
es gibt nun die begründete Aussicht auf diesen Neuanfang. Am Dienstag der vergangenen Woche, am 09. April, haben der Bund, haben alle 16 Bundesländer, haben die Bundestagsfraktionen einen Konsens erzielt. Grundlage dieser Einigung ist ein gemeinsamer Vorschlag, den zuvor Bundesumweltminister Altmaier, Umweltminister Stefan Wenzel und ich erarbeitet haben. Der Konsens in Berlin ist deswegen – das lässt sich ohne Übertreibung sagen – ein herausragender Erfolg der niedersächsischen Landespolitik.

Was ist der Kern unserer Übereinkunft? Kurz gesagt: Zum ersten Mal soll die Suche nach einem sicheren Endlager gründlich, ergebnisoffen und nachvollziehbar erfolgen.
Dafür werden die Weichen am Anfang gestellt. Der Gesetzgeber wird darauf verzichten, Entscheidungen zu treffen ohne zuvor eine vorangegangene breite gesellschaftliche Diskussion möglich zu machen. Diese Entscheidungen werden auch nicht – wie zunächst vorgesehen – einer Regulierungsbehörde und ihrem Verwaltungsverfahren überantwortet. So war es aber nach dem Entwurf, den wir
vorgefunden haben.

Stattdessen wird nun eine in dieser Form einmalige Bund-Länder-Kommission eingerichtet, die sich pluralistisch von der Wirtschaft bis zu den Umweltverbänden zusammensetzt und die öffentlich tagt. Diese Kommission soll Fragen beantworten, die für die weitere Endlagersuche entscheidend sind: Welche Gesteinsarten sind als Endlager geeignet? Welche Voraussetzungen für welches Gestein müssen vor Ort gegeben sein? Muss die Rückholbarkeit möglich sein oder nicht? Sprechen wir dann eigentlich noch von „Endlagerung“? Und viele andere Grundsatzfragen einer sicheren Lagerung mehr.

Es handelt sich um schwierige wissenschaftliche und technische Fragestellungen, aber auch um zutiefst ethisch-moralische Probleme. Ich will nur ein Beispiel nennen:
Herr Kollege McAllister hat vor einigen Monaten richtigerweise darauf aufmerksam gemacht, nach den niedersächsischen Erfahrungen in der Asse müsse der Atommüll rückholbar sein. Ich füge unter diesem Gesichtspunkt hinzu: Wer sagt uns eigentlich, dass es nicht in fünfzig, einhundert oder zweihundert Jahren möglich sein wird, hochradioaktiven Abfall wesentlich sicherer zu lagern oder gar unschädlich zu machen?

Und haben wir heute das Recht, künftigen Generationen diese Chance zu nehmen? Schon diese Frage gibt ein Gefühl dafür, wie groß unsere Verantwortung ist.

Anrede,
die Bund-Länder-Kommission wird eine entscheidende Rolle für das weitere Verfahren spielen. Nach ihrem Bericht wird das Gesetz zu überarbeiten und zu ergänzen sein, damit geregelt ist, wonach gesucht wird. In der öffentlichen Diskussion ist gelegentlich die Befürchtung geäußert worden, es werde sich doch bloß um unverbindliche Empfehlungen handeln. Richtig, kein Gesetzgeber kann zur Übernahme von Kommissionsempfehlungen gezwungen werden. Aber ich bin überzeugt, diese Empfehlungen werden eine sehr hohe Bindungswirkung entfalten. Ein pluralistisches Gremium von wichtigen gesellschaftlichen Akteuren, das mit Zweidrittelmehrheit nach gründlicher Debatte entscheidet, wird die Politik nicht einfach ignorieren können – das wäre in der Tat das Ende des Konsens, den wir alle wollen.

Anrede,
es hat nach der Einigung von Berlin viele Stimmen gegeben, die genau diese gesellschaftliche Öffnung der Entscheidungsfindung positiv hervorgehoben haben. Lassen Sie mich hinzufügen: Ausgehend von Vorschlägen der Umweltverbände war genau dies die Forderung aus Niedersachsen. Wir haben damit das Gesetz deutlich besser gemacht, meine Damen und Herren!

Anrede,
Was heißt das für Niedersachsen? Und vor allem: Was heißt das für Gorleben? Im Anschluss an das soeben Gesagte lautet die Antwort: Das wird sehr stark von den Empfehlungen der Bund-Länder-Kommission und den sich anschließenden Schlussfolgrungen des Gesetzgebers abhängen. Ist Salz nach Asse noch ein geeignetes Wirtsgestein? Bedarf es jedenfalls eines intakten Deckgebirges? Muss der Abfall rückholbar sein? Diese Fragen werden wir erst im Lichte des Kommissionsberichtes entscheiden und deswegen verhält sich das Standortauswahlgesetz bezogen auf Gorleben bis dahin neutral.

Die Landesregierung ist bekanntlich und unverändert der Auffassung, dass Gorleben aufgrund geologischer Bedenken und Zweifel als Endlagerstandort nicht geeignet ist. Daran halten wir auch fest und sind zuversichtlich, dass diese Argumente in der Kommission Gehör finden werden.

So sehr ich verstehen kann, wenn sich viele – wie ich selbst auch - einen kompletten Ausschluss Gorlebens schon zum jetzigen Zeitpunkt gewünscht hätten, es ist aber auch eines in aller Klarheit festzustellen: Der Erfolg mag nicht perfekt sein, es ist der Anfang eines Weges in die richtige Richtung. Die Einigung von Berlin ist der mit Abstand größte Erfolg, den das Wendland und alle seine Freunde in 35 Jahren Widerstand erzielt haben! Das darf man ruhig auch laut und deutlich sagen.

Anrede,
über den rationalen und ergebnisoffenen Neustart bei der Suche nach einem Endlagerstandort hinaus gibt es auch weitere gute Nachrichten für das Wendland und Niedersachsen:
• Der Gesetzentwurf legt einen Erkundungsstopp gesetzlich fest.
• Die Einrichtung eines Salzlabors in Gorleben wird ausgeschlossen.
• Und vor allem: Es gibt keine weiteren Castor-Transporte nach Gorleben!

Anrede,
wer hätte von Ihnen auch nur einen Cent darauf gewettet, dass es gelingt, diese Forderung durchzusetzen? Wohl niemand. Es ist Minister Wenzel und mir gelungen, bei allen Gesprächspartnern eines klar zu machen: In Sachen Endlager kann man in Niedersachsen keinen Vertrauensvorschuss erwarten, diese Vertrauen muss erarbeitet werden. Jeder weitere Castor-Transport nach Gorleben wäre Gift für diese Vertrauensbildung. Ich bin froh, dass man sich dieser Einsicht angeschlossen hat.

Es gibt einen Konsens darüber, dass Gorleben nicht mehr das Ziel von Castor-Transporten sein wird. Es gibt aber noch keine Klarheit darüber, wo sie denn stattdessen hinkommen. Es ist die Pflicht des Bundesumweltministers eine plausible Antwort bis zum Gesetzesbeschluss zu liefern. Und es ist auch ein Lackmus-Test für die Bereitschaft der anderen Bundesländer eine gemeinsame Last gemeinsam zu tragen. Ich freue mich sehr über konstruktive Signale aus Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein, herzlichen Dank dafür! Ich hoffe andere Bundesländer, in denen CDU und FDP Verantwortung tragen, folgen diesem Beispiel. Niedersachsen muss jedenfalls seine abschließende Zustimmung von einer Klärung abhängig machen.

Anrede,
die Landesregierung ist aber auch in weiteren Punkten erfolgreich gewesen und das will ich Ihnen nicht vorenthalten:
• Es war vorgesehen, die vorhandenen Zuständigkeiten der Länder während des Suchverfahrens abzugeben, insb. im Wasser- und Bergrecht. Das haben wir weg verhandelt. Erst nach einer abschließenden Entscheidung über den Standort des Endlagers werden die Zuständigkeiten konzentriert.
• Es war vorgesehen, dass während des gesamten jahrzehntelangen Verfahrens keine Rechtschutzmöglichkeit für Bürger und Verbände gegeben sein sollte. Das haben wir weg verhandelt. Vor der untertägigen Erkundung muss Rechtsschutz möglich sein.
• Es war – kaum verhohlen mit Blick auf Gorleben – die Möglichkeit vorgesehen, Grundstückseigentümer gewissermaßen auf Vorrat zu enteignen. Auch das haben wir weg verhandelt.

Anrede,
zieht man unter all das einen Strich lässt sich bei aller gebotenen Bescheidenheit eines feststellen: Die Landesregierung war in der Vertretung niedersächsischer Interessen außerordentlich erfolgreich. Es ist uns gelungen, die Symmetrie eines weitgehend bereits vor dem Regierungsantritt abgestimmten Entwurfes zu korrigieren.

Es ist uns in einer Reihe von Einzelfragen gelungen, Fortschritte für Niedersachsen zu erreichen. Das ist gelungen – durchaus auch gegen Widerstände im eigenen politischen Lager, soweit es die Bundesebene betrifft. Für diese Landesregierung ist ein Grundsatz klipp und klar: Erst kommt das Land, dann die Partei! Den Beweis haben wir angetreten.

Anrede,
manche Politikerinnen und Politiker haben gemeint, der Konsens über die unendlich schwere Frage der Endlagersuche sei „historisch“. Ich zögere bei einem solchen Wort. Mir liegt ein anderes Bild näher: Nach 35 Jahren des Stillstands machen wir endlich, endlich einen guten, einen großen Schritt vorwärts.

Das Ziel ist noch weit entfernt, jahrzehnteweit: die Inbetriebnahme eines sicheren Endlagers für Atommüll. Dessen müssen wir uns bewusst sein, ebenso wie unserer Verantwortung. Die intelligente Form des homo sapiens ist gerade einmal 35.000 Jahre alt, Atommüll strahlt mehr als 1 Million Jahre. Nichts verdeutlicht mehr das unsägliche Erbe, das uns die Atomwirtschaft hinterlassen hat.

Deswegen müssen wir uns dieser Aufgabe mit Demut nähern. Deswegen müssen wir den breiten und belastbaren Konsens suchen. Deswegen müssen wir uns stets unserer Verantwortung in dieser Frage bewusst sein.

Die Einigung von Berlin bringt uns dabei einen Schritt weiter – nicht mehr aber auch nicht weniger. Lassen wir weitere Schritte folgen, im Konsens – möglichst auch hier im Landtag - und in aller Bescheidenheit.  

Foto: Standbild aus einem wnet-Video über den Besuch des damaligen SPD-Landesvorsitzenden Stephan Weil im Erkundungsbergwerk Gorleben im Sommer 2012.


2013-04-17 ; von pm (autor), asb (autor),
in Hinrich-Wilhelm-Kopf-Platz, 30159 Hannover, Deutschland

endlagersuche   endlager_gorleben   atompolitik   weil  

Kommentare

    Sie müssen registriert und angemeldet sein um einen Kommentar schreiben zu können