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Startups: Wenn der Informatiker mit dem Künstler beim Essen sitzt ...

Wie grundsätzlich anders das Denken über Gesellschafts- und Wirtschaftsstrukturen gestaltet sein müsste, um zu neuen Arbeits- und Lebensformen zu kommen, zeigte der "Design Talk" der Grünen Werkstatt Wendland am Donnerstag Abend in Kukate. Altgewohnte Denkmuster kamen da gründlich ins Wanken.

Informatiker entwickeln Programme, gestalten Websiten und sind ganz allgemein für alle Themen rund um Computer zuständig. Köche sorgen für das leibliche Wohl. Und Künstler interpretieren die Welt auf ihre ganz eigene Weise, liefern die ästhetische Abbild des Weltgeschehens. In der Generation "Praktikum" steht aber oft der Künstler am Herd, der Informatiker arbeitet in einem Designergeschäft und der Koch gestaltet Pralinen, die als Kunst verkauft werden. Kein Wunder, dass Projekte entstehen, die unterschiedliche Kenntnisse und Fähigkeiten miteinander verknüpfen.

Wie zum Beispiel das Projekt "Agora collective", welches Mitgründer Pedro Jardim in Kukate vorstellte: er schuf mit Gleichgesinnten in Berlin-Neukölln Räume, die zum Beispiel von der Berliner Morgenpost als "kreative Denkfabrik" gewürdigt werden. In lockerer Zusammenarbeit entstehen dort permanent neue Unternehmen, die mit den ansonsten üblichen Entwicklungsprozessen nicht denkbar gewesen wären. Wie zum Beispiel die Idee, eine Reinigungsfirma zu gründen, wo der/die Angestellte nicht nur saubermacht, sondern gleichzeitig Sprachunterricht erhält. Die Idee wurde aus der Erfahrung geboren, dass inzwischen viele Arbeitgeber internationaler Herkunft in Berlin leben. Warum also nicht die eigene Muttersprache weitergeben? Putzen gegen Sprachunterricht sozusagen. Die Firma läuft inzwischen schon seit einiger Zeit - mit gutem Erfolg, wenn man Pedro Jardim glauben darf.

Viele solcher Ideen entstehen beim Essen, so Jardims Erfahrung. Weswegen die drei Schwerpunkte "Arbeit - Kunst - Essen" ganz oben auf der Website des Projektes stehen. Jardim ist davon überzeugt, dass "über das Essen" viele kreative Prozesse in Gang kommen, die zu völlig neuartigen Projekten führen (können). 

In Neukölln bewirtschaftet "Agora Collective" inzwischen ein siebenstöckiges Gebäude einer ehemaligen Maschinenfabrik. Restaurant, Arbeitsplätze und Ausstellungsräume inklusive. Einmieten kann sich jede/r, der tage- oder wochenweise oder auch längerfristig günstigen Raum zum Arbeiten braucht. Dutzende Freischaffende unterschiedlichster Professionen nutzen inzwischen diese Möglichkeit - wobei sich ganz nebenbei eine Denkfabrik entwickelt, deren Rohstoff Hirnpotenzial unterschiedlichster Denkrichtungen ist.

Noch hapert es für die Umsetzung verschiedener Projekte immer wieder an Finanzierungsmöglichkeiten. Aber auch für diesen Bereich gibt es im Neuköllner Projekt Initiativen, die sich gezielt mit der Akquise von Investoren oder der Entwicklung von Finanzierungsmodellen beschäftigen. Neben der schon einigermaßen bekannten Methode, Geld für ein Projekt in der Öffentlichkeit zu sammeln (Crowd Funding), entwickelt sich der Bereich der Privat-Investition immer mehr. "In Zeiten niedriger Zinsen sind immer mehr Wohlhabende geneigt, ihr Geld in sinnvolle Projekte zu stecken," ist Nardims Erfahrung. Und auch über die Nutzung virtueller Währungen wie bitcoins wird nachgedacht.

Einen ausführlichen Artikel über "Agora Collective" gibt es übrigens bei der Berliner Morgenpost - click hier! .

Wissensvermittlung auf andere Art 

Neue Arten der Wissensvermittlung bzw. der Entwicklung kreativer Potenziale entwickelt dagegen das Projekt von Harm Brandt, der in Kukate das Projekt "open campus" der Universität Kiel vorstellte. Was willst Du? ist bei diesem Projekt die erste und zentrale Frage. "Ausgehend von dem, was die Kinder und Jugendlichen wollen, was sie beschäftigt und umtreibt, entwickeln sie eigenständig Projekte," so Brandt. Aus einem dieser Projekte entstand zum Beispiel eine Schülerfirma, die alte CDs sammelt, um daraus Lampen herzustellen. "Ein Projekt, welches richtig eingeschlagen hat," so Brandt. Die 13-/14-jährigen SchülerInnen entwickelten diese Idee fast eigenständig. Entstanden war das Projekt aus der Überlegung, was sie wohl gegen das Fischsterben in den Weltmeeren tun könnten.

"Mit der Idee des Open Campus werden Interessen der SchülerInnen zum Maßstab der Projekte, die umgesetzt werden," erläuterte Brandt die Idee von "open campus". Lerninhalte und -programme richten sich ganz nach den Teilnehmern - nicht umgekehrt wie es sonst üblich ist.

Allerdings: auch "open campus" muss sich bis auf weiteres aus öffentlichen Mitteln finanzieren. Bisher haben sich keine Projekte entwickelt, die das Gesamtprojekt am Leben erhalten würden. 

Anreize für weitere Denkfabriken

In Kukate blieb offen, ob und wie sich derartige Projekte auf dem Lande umsetzen ließen. (Mindestens) drei wichtige Faktoren wurden in dem Gespräch aber deutlich.

  • Es müssen genügend Interessierte da sein, um den kreativen Entwicklungsprozess am Leben zu halten. "Selbst in Kiel ist es oft schwierig, die 'kritische Masse' zu erreichen," konnte Brandt aus Erfahrung berichten. 
  • Es bedarf Beteiligter, die in der Lage sind, ihre Erfahrungen und Vorurteile selbstkritisch zu durchleuchten und sich flexibel auf anders begründete Lebenswelten einzulassen - um dann gemeinsame Projekte zu realisieren.
  • Neue Finanzierungsmethoden wie Öffentlichkeitsfinanzierung, Bürgerstiftungen oder neue Währungen stecken noch in den Kinderschuhen. Nur mit viel Phantasie lässt sich vorstellen, wie die Internetwährung "Bit coins" bei der Umsetzung lokaler Projekte helfen könnte.

Deutlich wurde zudem erneut, dass sich in der Generation der "Wir-um-30"-Akademiker, die zumeist international ausgebildet sind, ein völlig neues Denken über Gesellschafts- und Wirtschaftsstrukturen bis hin zur Neudefinition der "Vergesellschaftung des Kapitals" entwickelt. Zu erwähnen wäre in diesem Zusammen auch die Gartower Initiative "Wendepunktzukunft", die sich ebenfalls auf die Fahne geschrieben hat, über Gesellschaftsveränderungen nachzudenken.

Die internationale Prägung dieser neuen Gesellschaftsveränderer hat allerdings auch zur Folge, dass sich die gemeinsame Sprache weit von der der breiten Öffentlichkeit entfernt. Worte wie "social innovation", "coworking space", "crowd funding" oder "social impact fund" gehören dort zum Alltag. Gelingt hier nicht die Kommunikation mit den Nicht-Eingeweihten, so drohen die schönen neuen Ideen in intellektuellen Denkmanegen hängen zu bleiben.

Insgesamt bot der "Design Talk" viele Anreize weiter über die Möglichkeiten einer gesellschaftlichen Veränderung nachzudenken - zumal sich erneut über 60 Menschen für dieses Thema interessierten. Die Grüne Werkstatt kündigte denn auch an, dieses Format auch jenseits der alljährlichen Design Camps anzubieten. Man darf auf die nächsten Gesprächsrunden gespannt sein. 

Foto / Angelika Blank: Diskutierten in Kukate engagiert über Innovationen im kreativen Schaffungsprozess (von links): Pedro Jardim (agora collective), Moderator Andreas Krüger, Harm Brandt (open campus/Kiel)





2014-09-19 ; von Angelika Blank (autor),
in Kukate 2, 29496 Waddeweitz, Deutschland

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