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Wie verteidigt man ein Wunder?

Wie verteidigen wir das europäische Wunder, das heute so wackelig, unvollkommen und immer ein bisschen zögerlich erscheint? Ein Beitrag zur Debatte um die Zukunft der EU von Rebecca Harms, Mitglied des Europäschen Parlaments  

Erinnert ihr euch an das Jahr 2004? Es war das Jahr in dem ich das erste Mal ins Europaparlament gewählt wurde. Es war das Jahr, in dem die Europäer froh und stolz waren über den Aufbruch im Osten und über ein geeintes Europa. Das Jahr in dem auf den Oderbrücken getanzt wurde. Wir Grünen sagten voraus, dass das Wunder von Elbe und Oder sich am Bosporus fortsetzen werde.

In einem enthusiastischen Wahlkampf mit freundlichen grünen Wahlplakaten versprachen wir die EU klimafreundlich, atom- und gentechnikfrei zu machen. Sie sollte gerechter, offener für Flüchtlinge und noch friedlicher werden.

Das alles stimmte. Und stimmt immer noch. Damals hätte ich mir nicht vorstellen können, dass ich rund 10 Jahre später sagen würde: es wäre schon sehr viel wert, wenn wir diese EU zusammenhalten könnten.

Was ist heute los in Europa? Warum werde ich so bescheiden? Ist das überhaupt bescheiden?

Aus der Welt von gestern ist der Geist des Nationalismus nach Europa zurückgekehrt. Die Entwicklungen in Ungarn und Polen, der Zulauf für nationalistische und antieuropäische Parteien überall in der EU, der knappe Vorsprung des grünen Präsidentschaftskandidaten Van der Bellen  in Österreich, die Brexit Entscheidung in Großbritannien – all diese Erfahrungen erklären, warum wir nach der Wahl Donald Trumps nicht nur über die USA erschrecken. Wir erschrecken darüber, dass Grundlagen des liberalen demokratischen Staates und noch viel mehr die Europäische Union, die gemeinsame Union der demokratischen Staaten in Europa, ernsthaft in Frage gestellt sind.

Wer heute nach Russland und in die Türkei schaut, der sieht wie aus Großmanns- und Großmachtssucht Nationalismus, Hass und Zerstörung, Bürgerkrieg und Krieg werden.

Gegen die Rückkehr des Geistes von gestern haben Europäer die Europäische Union gebaut. Und diese EU, trotz all ihrer Mängel war, ist und bleibt die Antwort auf Nationalismus und die ihm innewohnenden Gefahren.

Das Erlebnis der Wunder von Elbe und Oder – ich gebe zu, dass das eher die Wahrnehmung einer Frau aus dem Westen war, die sich im Osten zum Zeitpunkt des Mauerfalls noch wenig auskannte – hat meinen Weg in die Europäische Politik bestimmt. In den Jahren seither habe ich begriffen, dass das eigentliche Wunder die Europäische Union an und für sich ist.

Wie verteidigen wir ein Wunder?

Wie verteidigen wir das europäische Wunder, das heute so wackelig, unvollkommen und immer ein bisschen zögerlich erscheint?

Nicht erst seit dem Erfolg von Donald Trump, sondern bei jedem Erfolg der Nationallisten und Populisten auch in Europa, frage ich mich, was ich, was wir falsch machen.

Ich frage mich das als Kind kleiner Leute, die ich mich in kleinen Verhältnissen und abgehängten Regionen gut auskenne. Ich frage mich, ob meine Leute in Zukunft auch bereit sein werden, für den Ausstieg aus allem, was mir demokratisch lieb und teuer geworden ist, zu stimmen. Und ob das mit dem Niederstimmen der EU anfängt? Weil es eben so leicht ist etwas abzuwählen, das du nicht kennst und das dir nie wirklich nahe gewesen ist. Und weil ja alle laut und andauernd mehr Zweifel und Kritik als Respekt vor dem Erreichten zeigen.

Was machen wir falsch?

Es stimmt, dass das Auseinanderdriften zwischen oben und unten zu weit geht. Das Wohlstandsversprechen der EU ist ins Abseits gerückt worden. Und es ist höchste Zeit, das zu ändern. Die Eliten, die jetzt darüber erschrecken, dass so viele kleine Leute einen Trump wählen,  der so ganz und gar nicht deren Interessen vertritt, müssen ihre Bereitschaft zum Teilen, zur Umverteilung, zu Teilhabe und Gerechtigkeit bestimmt verändern. Und bitte schnell. Aber keiner sollte so tun, als könne allein von Brüssel aus das beendet werden, was heute als ungerecht erkannt oder empfunden wird.

Die Versuche zur Erklärung, die ich über die US Wahl lese, lassen mich aber auch die Frage stellen, was mache ich als Grüne falsch. Es wird viel berichtet, von der Verunsicherung in einer Welt, die immer offener, flacher und gleichzeitig fremder und unübersichtlicher wird. Es wird viel berichtet, über die Erfahrung der Abgehängten in unseren Gesellschaften. Und dass gerade auch die, die heute noch über die Runden kommen, kein Vertrauen in die Zukunft haben. Immer mehr Leute, sagte Winfried Kretschmann (>Link zur Rede) auf der Grünen Bundesdelegiertenkonferenz, schauen nur noch nach unten.

Veränderung ist für viele kein Versprechen, sondern etwas zusätzlich Verunsicherndes und Bedrohliches. Als Partei, die auf ihre großen Veränderungsbotschaften stolz ist, müssen wir Grünen uns fragen, wie das passt. Bastian Hermisson, der Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Washington, appellierte auf dem Grünen Parteitag eindringlich an die liberalen Eliten und an uns, wir sollten aus unseren gesellschaftlichen Ecken, aus unseren Bubbles, herauskommen. Der große Beifall für ihn, schloss, aus meiner Sicht, gerade diese unbequeme Aufforderung an uns ein (>Link zur Rede).

Einen Gegenpol setzen

Unser Programm muss einen Gegenpol zu den neuen Nationalisten und Rechten setzen. Wir stehen gegen Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus. Aber wenn ehrgeizige Ziele beim Klimaschutz und der ökologischen Transformation erreichen wollen, wenn wir mehr und Besseres für Flüchtlinge und Integration erreichen wollen, wenn wir die Zustimmung für die Europäische Politik zurückgewinnen wollen, dann muss die Polarisierung in unseren europäischen Gesellschaften überwunden werden. Deshalb müssen wir uns fragen, wo wir mit unserer Politik Verunsicherung statt Vertrauen schaffen. Das ist unbequem. Aber wir wollen ja nicht nur für andere unbequem sein. So funktioniert der Plan einer ökologischen Transformation unserer Wirtschaft für uns als positiver Ausblick. Von Beschäftigten der traditionellen Industrien wird er als Ursprung verschärfter Verunsicherung gesehen.

Zurück zur EU. Die ist kein Superstaat und keine Republik. Aber die EU ist auch längst nicht so ein technokratischer Überbau wie behauptet wird. Lest Robert Menasses "Der europäische Landbote" und ihr werdet es leichter haben, mir das zu glauben. Nach Jahren überspannter Debatte über neue Narrative für die EU sage ich, dass man sich dringend auf den Kern der Idee besinnen muss. Mit Donald Trump setzt sich wohl noch konsequenter fort, was mit Barack Obama angefangen hat. Die Kriegsmüdigkeit der Amerikaner, die Deutsche und Europäer verstehen sollten, hat in der Zeit von Barack Obama zum Rückzug aus der Rolle des Weltpolizisten geführt. Die USA sind nicht mehr der gern und oft auch zu Recht kritisierte zuverlässige große Bruder für alle schlimmen Fälle. Groß wollen sie jetzt erst mal für sich selber sein. Angesichts der Rückkehr des Krieges in unserer Nachbarschaft im Süden und im Osten des Kontinentes, angesichts einer neuen und aggressiv gegen die EU gerichteten Strategie Russlands, müssen wir Europäer uns verständigen, wie die Sicherheit der Bürger auch unabhängig von den USA gewährleistet werden kann.

Das Fragile nicht zertrampeln

Frieden, Sicherheit und Demokratie sind nicht einfach zu gewährleisten in einer Welt der Unruhe.  Es gibt aber keine bessere Möglichkeit, dies zu erreichen, als durch gemeinsames Handeln in der EU von heute. Jeder für sich und Gott gegen alle ist kein guter alternativer Weg. Wer in den großen Krisen erfolgreich sein will – Klimawandel, globale Flucht, der Niedergang Afrikas, Kriege im Nahen und Mittleren Osten, Russlands aggressive Rückkehr in die Weltpolitik, neuer globaler ökonomischen Wettbewerb – der braucht die EU. Um das zu erreichen, muss man sich des Wunders in Europa bewusst sein. Nicht kritiklos müssen wir sein in der Politik und im Werben für Europa. Aber eben auch nicht wie die Elefanten im Porzellanladen. Denn dieses bis heute fragile Wunder, ist auf mehr als genug Trümmern aufgebaut.  

Foto (Gerhard ZIegler): Kiew im Februar 2015 "Tag der Würde"


2016-11-21 ; von Rebecca Harms (autor),
in Brüssel, Belgien

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