Zehn Jahre nach der letzten großen Elbeflut im Juni 2013 wird im Landkreis hauptsächlich immer noch über Deichausbauten als die entscheidende Maßnahme zum Hochwasserschutz gesprochen und gestritten. Man kann auch sagen: 21 Jahre nach der vorvor…letzten großen Elbeflut im Jahr 2002 sind wir beim notwenigen Umsteuern von Maßnahmen zum Hochwasserschutz immer noch viel zu langsam, zu gefangen in regionalen Gefahrenlagen.
Denn langfristig lohnenswert, zielführend und effektiv für alle gefährdeten Elbanlieger von Dresden bis Hamburg wäre es eigentlich, man würde Länder übergreifend und vordringlich Projekte für Deichrückverlegungen, zur Einrichtung neuer Flutpolder und zur Renaturierung von Flussauen vorantreiben. Diese Grundlinie im Hochschwasserschutz wird inzwischen zwar allgemein in Wissenschaft, Politik und Verwaltung akzeptiert; fast alle Verantwortlichen beteuern gern, lokal das Notwendige unverzüglich zu veranlassen, ohne überregional das Richtige zu vernachlässigen („mehr Raum für die Flüsse“).
Doch wenn es um die Behebung drängender Gefahren vor der Haustür geht, ertönt immer wieder gern Radio Eriwan:
Mehr Raum für die Flüsse? IM PRINZIP JA! – doch ein schöner, schneller und sehr hoher Deich fühlt sich für uns einfach besser an...
Tatsächlich aber ist der rettende, schnelle und ausreichend hohe Deich zu einer Illusion geworden.
Die zuständigen Bundes- und Landesbehörden haben es aus verschiedenen Gründen nicht vermocht, gefährdete Deichabschnitte an der Elbe ertüchtigen zu lassen, die bereits 2013 als untauglich und/ oder zu niedrig erkannt wurden. Daher geht in den betroffenen Gemeinden nach wie vor die Angst vor künftigen Extremfluten um. Und in Angst und Bedrängnis greift man bekanntlich zu jedem vermeintlich rettenden Strohhalm, der am nahen Ufer vorbeischwimmt, an den man schon immer geglaubt hat: Deichausbau!
Ist es Überforderung, Ratlosigkeit oder kühle Abwägung, dass die Verantwortlichen in den Landesbehörden seit 10 Jahren keine wesentlichen Fortschritte beim Hochwasserschutz in unserem Landkreis zustande bringen bzw. zulassen?
Ratlosigkeit und mangelnde Fachkenntnisse mögen in Einzelfällen einer Lösung im Wege stehen, sind aber aufs Ganze gesehen wohl nicht das entscheidende Hindernis. Ein grundlegendes Strukturproblem ist jedenfalls, dass die Haushaltmittel des Landes für Hochwasserschutz (trotz Steigerungen in letzter Zeit) für eine landesweit zunehmende Zahl von Gefahrenzonen nicht ausreichen und Fachbehörden unterbesetzt sind. Das hat dann unliebsame und sachlich nicht begründbare Wartelisten zur Folge.
Ebenso bedeutsam ist aber auch die Selbstblockade staatlicher Institutionen, die die Belange von Naturschutz und Hochwasserschutz gleichermaßen abzuwägen haben. Vorgeschriebene Kompensationsmaßnahmen (etwa Ausgleichsflächen) sind nur noch schwierig und aufwändig darstellbar. Als Faustformel kann man inzwischen sagen: unter zehn Jahren geht nichts mehr. Die komplexen Prüfungsverfahren stehen sich zunehmend gegenseitig im Weg und führen immer häufiger zum Stillstand. In Gartow dauert es inzwischen gut sechs (!) Jahre, um die technische und rechtliche Machbarkeit von zwei Hochwasserschutz-Varianten untersuchen zu lassen und die Ergebnisse zu bewerten. In Vietze soll erst in diesem Jahr der zweite Bauabschnitt einer neuen Deichlinie fertig gestellt werden (s. Bild oben) – 10 Jahre brauchte man (incl. 6 Jahre ‚Baupause‘), um weniger als 2 Kilometer Deichlinie aufzubauen!
Die Devise "Mehr Raum für die Flüsse" – und ihre inkonsequenten Fürsprecher*innen
Schon vor der letzten Landtagswahl im Herbst 2022 hatten sich viele Politiker*innen und im Naturschutz Aktive aus der konkreten Debatte um lokale, mittelfristig umsetzbare Lösungen verabschiedet. Stattdessen zogen sie sich lieber auf den allgemein richtigen Leitsatz zurück, man müsse „der Elbe und anderen Fließgewässern mehr Raum geben“, um gefährliche Hochwasserlagen künftig zu vermeiden. Doch diese Leute machen es sich zu einfach; denn aus der Not der Defacto-Handlungsunfähigkeit lässt sich keine vermeintliche Tugend begründen. Solche ‚Mehr-Raum-für-Flüsse‘-Fürsprecher sind inkonsequent, im schlimmsten Fall unglaubwürdig; sie müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, konkrete Mängel und bekannte Gefahren zu verharmlosen und ein zynisches Spiel auf Zeit zu spielen: Wer sowieso zehn Jahre auf einen tauglichen Hochwasserschutz warten muss, könnte nach dieser verqueren ‚Logik‘ ja ebenso gut auf die geplanten Flutpolder oder Deichrückverlegungen anderswo setzen – und im Zweifel auf Versäumnisse in Nachbarländern wie Brandenburg oder Sachsen-Anhalt verweisen.
Die richtige Devise "Mehr Raum für die Flüsse" verkommt so zur bloßen Rechtfertigung von absichtsvollem Abwarten oder Hinauszögern, und damit zur Inkaufnahme von Flutgefahren. Äußerlich mag das als Hinhaltetaktik oder lahmender Bürokratismus erscheinen, ist jedoch häufig kalkuliert – und damit auch eine kritikwürdige, nicht akzeptable Position. Je länger aber sichtbare Fortschritte bei angekündigten bzw. geplanten Projekten für neue Deichrückverlegungen und Flutpolder (z.B. in der Lenzer Wische oder bei Wittenberge) ausbleiben, desto hartnäckiger halten bedrohte Elbufer-Gemeinden und Deichverbände an der Deichomatik-Ideologie fest – also an dem Irrglauben, man könne den zunehmenden Flutgefahren entkommen durch fortwährende, verstärkte Eindeichung und damit Einengung der Flüsse.
Mit der neuen rot-grünen Landesregierung scheint inzwischen Bewegung in die festgefahrene Situation gekommen zu sein. Die Leitungsebene des zuständigen Umweltministeriums lässt sich zu Fragen des gefährdeten Hochwasserschutzes wieder persönlich blicken, zeigt Gesprächsbereitschaft in konkreten, drängenden Problemfällen wie z. B. bei den Elbedeichen für Neu Darchau und zwischen Wussegel und Damnatz oder den Deichen entlang der Seege.
Minister Christian Meyer (Grüne) lud Ende Mai zu einer „Deichkonferenz untere Mittelelbe“ ein, die im Herbst fortgeführt werden soll. Und zu den unterschiedlichen Planungsvarianten, die für den Hochwasserschutz entlang der Seege diskutiert werden, veranstaltet das Lüneburger Landesamt für regionale Landesentwicklung am 12.6. in Dannenberg die erste Sitzung einer neuen „regionalen Projektgruppe zum Hochwasserschutz in der Seegeniederung“ im Beisein von Staatssekretärin Dobslaw vom hannoverschen Umweltministerium.
Bei der Terminwahl 12.6. fällt auf, dass diese Sitzung fast auf den Tag genau zehn Jahre nach Durchgang des Elbe-Flutscheitels 2013 in unserem Landkreis stattfindet. Ob das Umweltministerium in Hannover damit seinen Sinn für den Flut-historischen Jahrestag zeigen will – und gar Versäumnisse einräumen möchte?
Wie und was auch immer – wir warten gespannt auf die Ergebnisse dieser Gesprächsrunden… und bleiben aus leidvoller Erfahrung besorgt, dass es sich bloß um weitere Arbeitskreise für Verantwortliche in Verbänden, Verwaltung und Politik handeln könnte, die nicht mehr weiter wissen.
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--> Die vorigen Beiträge hier im Blog:
96. Zeitenwende in der Gartenwelt
95. Es kommt noch keine Flut, d'rum habt doch mal mehr Mut!
94. Begrenzte Solidarität
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95. Es kommt noch keine Flut, d'rum habt doch mal mehr Mut!
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