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Graben nach den Resten der Freien Republik Wendland

Mein erster Gedanke war: Ein genialer Fake. Aber nein: Der junge Archäologe Attila Dezsi will im Rahmen eines Promotionsstipendiums die Überreste der Freien Republik Wendland ausgraben. Nicht nach Salz sucht der junge Mann im Gorlebener Wald, sondern nach den Spuren des deutschen Anti-Atom-Widerstands.


Im Mai 1980 lebten mehr als 800 Menschen vier Wochen lang nahe Gorleben im Protestcamp „Freie Republik Wendland“ und verhinderten so für kurze Zeit Bohrungen für das geplante Atommüll-Endlager im nahegelegenen Salzstock . Die Räumung des Lagers gegen den passiven Widerstand der Bewohnerinnen und Bewohner war der größte Polizeieinsatz der Nachkriegsgeschichte.

Attila Dezsi will rekonstruieren, wie das Camp aufgebaut war und vor allem, wie der Alltag dort aussah. Damit wird erstmals im deutschsprachigen Raum eine archäologische Erforschung der Alltagskultur des späten 20. Jahrhunderts durchgeführt.


Und das ist der Plan

  • Phase 1 (Oktober bis Frühjahr 2017): Fotografien, Videomaterial und Schriften der "Freien Republik Wendland" werden analysiert. Zudem sollen Zeitzeugen in Befragungen dazu gebracht werden, aus ihren Erinnerungen eine Skizze des Camps zu zeichnen und vom Alltagsleben auf dem Camp zu erzählen. Dies soll eine Rekonstruktion des Aufbaus und der Ausmaße des Camps ermöglichen.

  • Phase 2 (Frühjahr 2017): Auf dem Gelände der „Freien Republik Wendland“ wird aus den Ergebnissen der Phase 1 sowie mit modernen geophysikalischen Prospektionstechniken (Bodenradar und ähnliches) eine Fläche ermittelt, die für Ausgrabungen zur Rekonstruktion des Camp-Alltags besonders relevant sein könnte.

  • Phase 3 (Sommer 2017): Graben im Gorlebener Forst - Freiweillige erwünscht. Da kann sich melden, wer Lust hat bei den Grabungen nach der eigenen und allgemeinen Geschichte mit zu helfen.

  • Phase 4 (Herbst 2017, 2018): Auswertung und Interpretation

Trotz der groben oberflächlichen Räumung des Camps vermutet Dezsi, sind tiefere Baueingriffe von größeren Hütten und Türmen sowie Kleinfunde erhalten.

Für die Auswertung und Einordnung der Funde wird auf „Community Archäologie“ gesetzt, d. h. die Bevölkerung und vor allem Zeitzeugen der Bewegung werden in den Prozess einbezogen, um Ergebnisse und Vorgehen zu diskutieren und eigene Prioritäten einzubringen. Besonders die Präsentation und Nutzung der historischen Erkenntnisse wird in enger Absprache erfolgen.

Eine wichtiger Aspekt des Projektes ist, dass es sich beim Forschungsgegenstand nicht um  abgeschlossene Vergangenheit handelt: Ein endgültiger Ausschluss der Salzstocks Gorleben als Endlager für Atommüll ist seitens der Politik nicht vollzogen.


Daher wird auch beleuchtet, wie sich der Wunsch der Aktivisten, nicht Geschichte zu werden, mit dem gleichzeitigen Bestreben, Wege für eine Erinnerungskultur zu finden, vereinbaren lässt und welche Rolle die Archäologie dabei spielen kann.

Attila Dezsi   will dabei eng mit dem „Gorleben Archiv “ kooperieren.  


Erinnerungen an die freie Republik Wendland

Mitgeplant und mitorganisiert von der Grundsteinlegung bis zur Räumung hat auch Rebecca Harms, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Europäischen Parlament. Wie sie sich heute (2010) an die Zeit der Freien Republik erinnert, worum es ging und was damals erreicht wurde, das zeigt dieses Video der wendländischen Filmkooperative.  

Fotos(Gerhard Ziegler): Attila Dezsi; Gorlebener Wald am Standort der Bohrstelle 1004 im Oktober 2016


2016-12-05 ; von gz (autor),
in 29475 Gorleben, Deutschland

1004   endlager_gorleben  

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