Eine Reise ins Land der Mitte
Roswitha Ziegler, Filmemacherin aus Dickfeitzen, wurde kurzfristig für eine Woche zu einem
Dokumentarfilmworkshop in Nanjing eingeladen. Ein unverhofftes Geschenk, organisiert vom Golden Tree Dok-Filmfestival für
eine chinesisch-deutsche Film und Fernseh-Kulturwoche .
Ich sagte zu, und flog ein paar Tage später. Vorher war wegen andrer Arbeiten keine Zeit, mich über diese Stadt am Jang tse zu informieren, so war ich an einem mir fremden Ort und hatte wenig Ahnung, weder vom Massaker von Nanjing, oder John Rabe, der Stadtmauer, der Geschichte oder der gegenwärtigen Situation der Bewohner dieser Stadt; das sollte sich schnell ändern, weil unsere Gastgeber neben dem Workshop mit 120 chinesischen Filmstudenten ein ausgiebiges Sightseeingprogramm für uns vorgesehen hatten.
Nach einem 10 Stundenflug, völlig erledigt, in somnambulen Zustand traf ich, aus einem Dorf mit 30 Häusern kommend, am Flughafen einer 8 Millionenstadt ein. Entgegen der Ankündigung war Juli Feng von Nanjing TV nicht da und über Smartphone nicht erreichbar, so dass ich anfing, etwas unruhig zu werden,
"lost in translation", what now brown cow? - ich wusste nicht mal den Namen des Hotels.
Julie kam dann nach einer Weile atemlos, sich zigfach entschuldigend angerannt , das war der Anfang einer Freundschaft. Sie suchte nach der anderen deutschen Teilnehmerin, die nicht mit dem angekündigten Flug aus Peking angekommen war. So standen wir beide also dort im Ankunftsgebäude des Nanjing Flughafens. Zwei Stunden, in schwüler Hitze, hoher Luftfeuchtigkeit, mehr Sauna als Flughafen.
Julie besorgte Wasser, und rannte hin und her, um herauszufinden, wo Saskia geblieben war, ließ sie mehrfach ausrufen, und ich fiel fast um vor Müdigkeit., in dieser Kulisse eines Flughafens mit mir rätselhaften Ansagen, in einer Sprache, die ich nicht verstand, die sich aber schön anhörte, fast wie gesungen, geheimnisvoll, dabei waren es schlichte Ansagen auf Mandarin.
Deutsch- chinesischer Workshop im 9. Stock
eines Saales von Nanjing TV.
Frau Han, Leiterin der Abteilung Dokumentarfilm von Shanghai TV, zeigte spannende, qualitativ hochwertige Beispiele von Dokumentariflmen, die unter ihrer Leitung entstanden waren.
In den folgenden Tagen ging es unter anderem um Erzählformen des dokumentarischen Films, die chinesischen Filmstudenten wurden von uns ermutigt, einen möglichst persönlichen Blickwinkel ihrer Filmerzählung zu wählen, vor allem eine ihrer eigenen kulturellen Tradition entsprechende Sichtweise einzunehmen, und nicht glattgebügelte, Filmästhetik á la Hollywood zu kopieren. Immer wieder wurden wir nach der europäischen Flüchtlingspolitik befragt.
In der Fremde, nichts verstehen, etwas rätselhaftes, etwas anziehendes, etwas, das neugierig macht. Das was mich am meisten elektrisierte, und nachhaltig beschäftigt, habe ich in einem der vielen kleinen Parks in Nanjing gesehen.
Früher Morgen, 8 Uhr, 30 Grad, hohe Luftfeuchtigkeit, der Schweiss rinnt bei jedem Schritt. 20,30 Vogelkäfige hängen an Bäumen, die Vögel werden von ihren Besitzern Gassi geführt. Es sind Augenbrauenvögel, (so genannt, weil sie einen Lidstrich über dem Auge haben, White-browed Coucal,) sie animieren sich gegenseitig zum Gesang. Die Männer sitzen auf Parkbänken und unterhalten sich.
Ältere Frauen machen Gymnastik, stehen in 3,4 Reihen hintereinander, eine Lehrerin turnt vor, sie machen kollektiv die Bewegungen nach, zu Musik aus dem Kassettenrekorder. Ein paar Schritte weiter: eine Gruppe auch älterer Leute singt, eine Art Chorleiter mit Schriftplakat an der Wand deutet auf die jeweilige Zeile, und alle singen aus voller Brust, mit vollem Herzen, mit Freude. Lieder, in denen sie über ihr Land singen: Volksrepublik China.
Vielleicht ist das naiv, und nur von aussen betrachtet, eine Momentaufnahme, etwas von aussen betrachtetes. Mehr gefühltes als gewusstes, ich lasse die Widersprüchlichkeiten, die Schattenseiten die es hier gibt, jetzt aussen vor, es geht um diese Augenblicke im Park. Sicherlich war ich in einer 8- Millionenstadt, in der es auch Armut gibt, und strenge Reglements, Zensur, Lager, Inhaftierungen und ein Verhaltenskodex, von dem ich keine Ahnung habe.Aber: Wo finden wir hier bei uns in Deutschland ältere Leute im Park, die sich aufeinander beziehen, zusammen singen, Gymnastik machen, Drachen steigen lassen, tanzen, Schriftzeichen malen, Diabolo spielen, oder mit einer Peitsche einen ziemlich grossen Kreisel antreiben.
Das für mich Faszinierendste, ein Buch mit 7 Siegeln: Die Zeichen, die Schrift, diese rätselhaften Zeichen. Und deren Kalligrafen.
Ältere Männer mit grossen Pinseln malen mit Wasser Schriftzeichen auf den Boden. Ich weiss nicht, was diese Schriftzeichen bedeuten.
Flüchtig. Zeit. Ein Leben. Zeichen, aufgeschrieben, besser gemalt. Zeichen, die verschwunden sind nach einer
halben Stunde, immer mehr verblassen, trocknen, vertrocknen, am
Schluss der Asphalt, mit den Schatten, den Rändern, eine
Ahnung der vertrockneten Zeichen.
Es geht nicht darum, dass etwas bleibt. Es geht nicht um Ewigkeit oder doch um Ewigkeit und den Augenblick. The very moment. Am nächsten Morgen oder schon nach einer Viertelstunde wieder neu. Aufs neue. Was schreiben oder malen oder zeichnen sie?
Warum schreiben sie? Schreiben sie immer dasselbe, jeden Tag dasselbe? Wer sind diese Männer? Warum machen sie das? Was haben sie für Berufe gehabt?
(Einer, 85 Jahr alt, war Bomberpilot)
Wie leben sie heute. Wie wohnen sie. Was für eine Rente beziehen sie. Wie ist es mit der Gesundheitsversorgung. Haben sie Kinder? Werden sie von ihren Kindern versorgt? Gibt es Altersheime? Was denken sie über ihr Land. Ihre Regierung. Was ist ihr Traum?
Am nächsten Tag gehen wir mit Julie Feng in den Park. Sie sagte, sie wäre bislang immer daran vorbeigegangen, es wäre für sie selbstverständlich gewesen.
Das, was uns mit unserem deutschem Hintergrund faszinert, war nichts besonderes für sie. Die Männer geben uns ihre Pinsel und ermuntern uns, auch Schriftzeichen zu malen. Juli Feng, (deren Tochter übrigens mit 12 Jahren bereits meisterlich Kalligrafieren kann) versucht sich auch.
Peinlich, meine Versuche, ich geniere mich, Was für ein Gestümper, natürlich kann ich das nicht, keine von uns kriegt das hin.
Weil es eine Kunst ist. Jedes Zeichen wird mit einem durchgehenden Pinselstrich gemalt. Es wird nicht nachgebessert oder abgesetzt oder so etwas.
Autorin: Roswitha Ziegler