Thema: tschernobyl

Friedensfahrt durch Europa ... gegen den Krieg durch das 'friedliche' Atom

"Die friedliche Nutzung der Atomkraft ist ein unsichtbarer Krieg gegen den Menschen" - dieses bittere Statement war von einer Gruppe weißrussischer Menschen zu hören, die auf ihrer Friedensfahrt von Minsk über Genf, Zürich und Hannover am Donnerstag in Gorleben Halt machten.

Video von Dirk Drazewski


 

Die Belarussische Gemeinnützige Stiftung „Den Kindern von Tschernobyl“ hatte die Reise der fast 30-köpfigen Delegation - vorwiegend junge Menschen aus Weißrussland - organisiert.

Denn im Gedenken an den GAU von Tschernobyl wird immer wieder übersehen, dass auch Weißrussland von radioaktivem Fallout stark betroffen war. Bis heute ungezählte Menschen starben an den Folgen der Verstrahlung, schleppen sich teilweise seit Jahrzehnten mit Krankheiten herum oder verloren ihre Heimat.

„Tschernobyl darf deshalb nicht archiviert werden, sondern ist für uns bittere Gegenwart und Zukunft“, so Professor Irina Gruschewaja, Germanistikprofessorin aus Minsk. Prof. Gruschewaja berichtete über die unzähligen „Einzelfälle“ von zerrissenen Familien, die sich mit kranken Kindern und oft auch eigenen Leiden seit 25 Jahren herumplagen müssen.

Dabei wird den meisten der Geschädigten nicht einmal anerkannt, dass ihre Krankheiten eine Folge der Katastrophe von Tschernobyl sind. Es gibt in Weißrussland weder öffentlich zugängliche Statistiken geschweige denn eine öffentliche Auseinandersetzung über die Folgen der radioaktiven Verstrahlung. „Wir wollen, dass endlich die Wahrheit gesagt wird“, forderte Gruschewaja. „Wir verlangen Informationen und freien Zugang über den Zustand der Menschen. Man möchte ein neues Atomkraftwerk bauen, deswegen passen Informationen über strahlengeschädigte Menschen nicht ins Bild“.

Dabei hat allein die Stiftung in den vergangenen zwanzig Jahren rund 370 000 kranke Kinder zur Erholung ins europäische Ausland geschickt. Zum Wendland hat die Stiftung dabei einen besonderen Bezug: die ersten Kinder, die über die Belarussische Stiftung zur Erholung geschickt wurden, fanden 1990 Aufnahme in der damaligen "Villa 13" in Volzendorf. Aufgrund dieser ersten engen Bande benannten die Besitzer sie später in "Villa Mir" (Villa Frieden) um. "Ich freue mich, dass das Netz jetzt so dicht geworden ist, dass wir an die Stelle zurückkommen, wo wir schon einmal gewesen sind", betonte Irina Gruschewaja in einer Zusammenkunft mit wendländischen Atomkraftgegnern im Evangelischen Forum in Gartow.

In dieser Runde, die dem Austausch zwischen den weißrussischen Gästen und Einheimischen diente, wurde einige bittere Geschichten bekannt, die das tragische Ausmaß der GAU-Folgen noch einmal sichtbar werden ließen. So berichtete eine der Mitreisenden von ihren mehrfachen Krebskrankheiten, die sie bekommen hatte, nachdem sie als Labormitarbeiterin kurz nach dem GAU die verseuchten Dörfer besucht hatte, um dort Lebensmittelproben zur Untersuchung zu nehmen. Die linke Niere wurde ihr entfernt, ebenso später die Schilddrüse. "Die Zeit kann den Schmerz vertuschen, aber vergessen ist unmöglich", so das bittere Resümee einer Frau im mittleren Alter, von Krankheit gezeichnet. Auch Irina Gruschewaja, Sprecherin der Gruppe, muss sich mit Leid und Krankheit in ihrer eigenen Familie auseinandersetzen: ihr Ehemann konnte wegen einer Leukämiekrankheit nicht an der Reise teilnehmen. Ähnliche Schicksale konnten die meisten der Reisegruppe berichten.

Gefängnis für öffentliche Meinungsäußerungen

Wegen ihrer deutlichen Worte vor deutschen Fernsehkameras treibt die Gruppe nun die Angst um, dass sie in ihrer Heimat Repressalien entgegen zu sehen haben.

„Diese Angst ist nicht unbegründet“, wußte Pastor Burkhard Homeyer, der Vorsitzende der Stiftung zu berichten. „Öffentlicher Protest wird in Weißrussland scharf geahndet. Unsere Stiftung ist in Weißrussland immer wieder Schikanen ausgesetzt. Mitglieder werden verhaftet und unter fadenscheinigen Begründungen für Jahre ins Gefängnis gesteckt.“

Irina Gruschewaja hat sich bereits vor drei Jahren dafür entschieden, in Berlin zu leben, da sie wegen ihrer mutigen öffentlichen Äußerungen in ihrer Heimat von der Staatssicherheit gesucht wird.

„Durch die friedliche Nutzung der Atomkraft wird ein unsichtbarer Krieg gegen den Menschen als Spezies geführt“, mahnt Irina Gruschewaja. „Auch deshalb machen wir diese Friedensfahrt – um anzumahnen, dass die Debatte um die Nutzung der Atomkraft unter dem ethischen Aspekt der 'Ehrfurcht vor dem Leben' geführt wird und nicht als rein technische Diskussion unter Naturwissenschaftlern.“

Am Nachmittag tauschte sich die Gruppe dann im Evangelischen Forum in Gartow mit einheimischen Atomkraftgegnern vor allem über Projekte der alternativen Energiegewinnung aus. „In Deutschland haben wir eine privilegierte Situation – völlig anders als in Weißrussland. Dort gibt es mit Sicherheit mehr Probleme, auch nur das Anliegen zu formulieren. Deshalb müssen wir dringend Solidarität üben“, erinnerten Anna und Andreas Graf von Bernstorff in der Abschlussrunde im Evangelischen Forum.




2011-04-29 ; von Angelika Blank (autor),

tschernobyl  

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