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"Heimatlos": Liebesrausch und Amoklauf

Wenn die Maria mit dem Bertl turtelt und der Hartl darf nicht schmusen ... Dann ist im Wirtshaus von Sepp Mord und Totschlag vorprogrammiert. In der Inszenierung von "Heimatlos - eine Wirtshausoper" geht die Liebe in Blutströmen unter.

Heimatdramen sind ein Genre für sich. Vor gewaltiger Bergkulisse spielen sich die fürchterlichsten Damen ab. Eifersucht, Machtbesessenheit und allen Widrigkeiten trotzende unschuldige Liebe sind die Zutaten für gefühlsduselige Stücke, bei denen - natürlich - am Ende die Guten siegen. Die Bösen stürzen entweder in den Wildbach oder werden vom Guten erschossen. Und am Ende kriegen sich das reine Mädchen und der ordentliche Jäger (Bauer, Verwalter ...).

Mit diesen Klischees spielt "Heimatlos - eine Wirtshausoper in einem Rausch" des österreichischen Schriftstellers Reinhard P. Gruber. Nur dass es bei ihm Gut und Böse nicht gibt. Alle Figuren sind von irgendwelchen Gelüsten besessen. Und es geht schlimm aus. Im trostlosen Wirtshaus von Sepp toben sich so ziemlich alle Gefühle aus, die Mensch in den Abgrund treiben können.

"Steirerblut ist kein Himbeersaft" hat der Autor dieses Spektakels, Reinhard P. Gruber, einmal gesagt. Und wahrhaftig: diese Heimatposse spart nicht mit Liebe, wilden Schlägereien und viel, viel Blut.  

Die Geschichte - wenn das Stück denn eine hat - ist schnell erzählt: Im vor Langeweile dahin siechenden Wirtshaus von Sepp treffen sich die Kellnerin Maria, der depressive Arbeitslose Hartl, der schöne Jäger Bertl und die Sennerin Friedi, Verlobte von Bertl. Hartl liebt Maria, Maria liebt Bertl und Bertl Maria. Friedi, die Verlobte von Bertl, ist rasend eifersüchtig und Sepp möchte auch am liebsten Maria ganz für sich haben. Wenn Friedi die Bühne betritt, macht sie mit ihrem "Todesjodler" klar, dass mit ihr nicht zu spaßen ist. Aus diesem Beziehungsgeflecht entspinnt sich ein blutrünstiges Drama, das "schlimm ausgeht", wie der Erzähler das Publikum gleich zu Anfang vorwarnt.

Mit Ironie, Satire und Spott werden die Grundfesten gefühlsduseliger Heimatdramen auf den Kopf gestellt und lustvoll ad absurdum geführt. Liebe wird bei Gruber zu einer triebgesteuerten Orgie, die in Mord und Totschlag endet, Gott zu einer Institution, die auch durch andauerndes Bekreuzigen nicht mehr zur Intervention zu bringen ist. Mitgefühl gibt es nicht - spöttisch wird dem armen Arbeitslosen der abgegessene Knochen zugeworfen. Und Bier wird zum Allheilmittel gegen alle Arten menschlicher Leiden.

Dabei hat Gruber seine Laufbahn als Theologe begonnen. Beinahe wäre er sogar ins Kloster gegangen. Doch dann wandte er dem Religiösen den Rücken und begann eine Schriftstellerkarriere. In Österreich avancierte er zum meistgelesenen Autor des Landes. Dabei gehören Zuspitzung, Übertreibung und parodistisches Spiel zu seinen Stilmitteln. Satire, Ironie und Zynismus sind in all seinen Werken zu finden. Weswegen "Heimatlos" kein pures Schenkelklatsch-Theater ist, sondern durchaus mit feinsinnigen - wenn auch derb-schrägen - Theorien über den Lebenssinn aufwartet.

Liebesrausch im Wirtshaus

Mit der Auswahl von "Heimatlos ..." schuf sich die Freie Bühne Wendland eine Möglichkeit, ihre Spiellust bis ins Extreme auszuleben. Da wird geliebt, gesungen, gejodelt, geschossen und erstochen, dass es für das Publikum die reine Freude ist.

Als Oper ist das Stück konzipiert. Was bedeutet: Es wird gejodelt, gesungen und getanzt. Inklusive Schuhplattler und "Todesjodler". Ein Liveorchester unter der Leitung von Johannes Ammon gibt dem Ganzen mit Alpenländischer Blas- und österreichischer Schrammelmusik gepaart mit ländlicher Geräuschkulisse, lässt im Saal des Kaperner Dorfgemeinschaftshauses Wirtshaus-Atmosphäre entstehen. Fehlten nur die vollen Bierkrüge auf den Tischen, um das Spektakel endgültig zu einer trunkenen Orgie werden zu lassen.

Das ganze Ensemble (Kerstin Wittstamm, Uwe Serafin, Fabienne Schürch, Kaspar Harlan und Leif Scheele) glänzt mit ausgelassener Spielfreude und handwerklichem Geschick. Ob Gesänge, Jodler oder Tänze - bei allem Chaos sind die Abläufe wohl gesetzt und präzise arrangiert. Und dennoch werden Liebeslust, Eifersucht und rasende Wut glaubwürdig und ausgelassen ausgespielt.

Wäre da nicht der Erzähler (Gero Wachholz, auch Regie), der mit ruhiger Stimme das wilde Geschehen nüchtern kommentiert, so würde das Spektakel wohl heillos ausufern. Doch geschickt setzte Gruber den Erzähler ein, um etwas Ruhe in das Chaos zu bringen.

Anton Prestele (österreichisch geprägter Komponist) schuf für "Heimatlos" eine Musik, die mit alpenländischer Blasmusik, Wiener Schrammelmusik und atonalen Passagen das Stück zusätzlich ironisiert. Tobt auf der Bühne das wildeste Schlachtgetümmel - die Musik unterlegt es mit lieblicher Walzermusik.

"Heimatlos" wurde schon auf großen Bühnen gespielt, doch die Freie Bühne Wendland wollte das Stück von Anfang in die Landschaft bringen, in die kleinen Gasthäuser und Säle des Wendlands. In den nächsten Monaten gibt es noch mehrere Aufführungen in der Region.

Wie gesagt: die Geschichte geht nicht gut aus. Doch wie heißt es am Ende: "Das Leben ist hart, hart ist das Leben. Doch wenn man sich liebt, kann's nix Schöneres geben."

Foto / Angelika Blank: Für zarte Gemüter ist "Heimatlos" ungeeignet. In Sepps Wirtshaus wird in wildem Rausch geliebt, getanzt und gestorben.






Fotos

2017-02-11 ; von Angelika Blank (autor),
in 29493 Kapern

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