Hühnerparadies im Waldgarten

Am Anfang war der Wald. Und darin lebte das Huhn. An diese ursprüngliche Lebensweise von Hühnern knüpfen nun Manfred und Britta Flegel in Nienwalde an: sie bauen dort einen Waldgarten für ihre Demeter-Legehennen auf.

Bäume spenden Schatten, schützen vor Wildvögeln und haben reichlich Nahrung zu bieten. Das Wildhuhn früherer Zeiten wusste das und lebte vorwiegend im Schutz der Wälder. Tagsüber fand es Nahrung am Boden - nachts schlief Huhn auf den Ästen. So war es geschützt vor Raubtieren und konnte getrost den nächsten Morgen abwarten.

Manfred Flegel hält schon seit 1999 Hühner, 2002 kam seine heutige Frau Britta dazu. Ökologisch wirtschaften war ihnen schon immer wichtig - sowohl Hühner als auch Eier sind vom strengsten Öko-Kontrollverband Demeter zertifiziert. Doch bisher konnten sie ihre Traumvorstellung von einer möglichst natürlichen Hühnerhaltung nur in Teilen umsetzen. Der Platz fehlte einfach.

Als im vergangenen Jahr Fried Graf von Bernstorff ihnen vorschlug, rund 35 ha Ackerfläche bei Nienwalde für einen "Waldgarten" zu nutzen, waren Flegels sofort interessiert. Im Wendland Design Camp in Kukate entstand ein umfassendes Konzept. Doch es dauerte beinahe ein Jahr, bis das Projekt Gestalt annehmen konnte.

Vergangene Woche war es dann endlich soweit: die ersten 1 500 Legehennen konnten in ihren mobilen Stall einziehen. Natürlich sind es Hennen, die in einem Demeter-zertifizierten Zuchtbetrieb aufgezogen wurden - was allein ein halbes Jahr Vorlaufzeit kostete, denn so lang sind die Bestellzeiten.

DAS WALDGARTENPRINZIP - pro Huhn ein Baum

In Indien und Ostafrika gab es bereits eine jahrhundertealte Tradition, naturnahe Waldwirtschaft mit umfangreicher Nahrungsproduktion zu kombinieren. Der Engländer Robert Hart passte diese Form der Landwirtschaft an europäische Bedingungen an.

Grundprinzip des Waldgartens ist es, ein gesundes Ökosystem aufzubauen, in dem sich Sträucher sowie mittel- und hochwachsende Bäume gegenseitig ergänzen und so nicht nur für alle Pflanzenarten eine optimale Lichtausbeute zu garantieren, sondern auch viele Nischen für eine Vielfalt von Tierarten zu schaffen.

In Nienwalde entschieden sich die "Waldgartenhof"-Betreiber für eine Mischung aus Nadelgehölzen, Beeren- und Nusssträuchern wie Hasel, Weißdorn, Eberesche oder Holunder sowie alten Apfelsorten und Nussbäumen. "So haben wir langfristig vielfältige Nutzungsmöglichkeiten angelegt," so Britta Flegel. "Die Hühner finden unter den hohen Bäumen Schutz. Die Sträucher liefern ihnen zusätzliche Nahrung." Und mit Tannen, Nüssen und Äpfeln hat der Waldgartenhof auf lange Sicht weitere Verkaufsmöglichkeiten, die neben dem Eierverkauf weitere Standbeine werden könnten.

Noch sind Bäume und Büsche klein, doch schon jetzt freuen sich die 1 500 Hühner, die als erste in ihre mobilen Ställe einziehen konnten, über rund 6 Hektar Grünauslauf, auf dem der Futtertisch reich gedeckt ist. Klee und verschiedene Gräser sind reichlich vorhanden - Schatten und Früchte der wachsenden Büsche und Bäume werden allerdings noch etwas auf sich warten lassen. Und auch auf den Verkauf von Weihnachtsbäumen, Äpfeln und Walnüssen muss der Waldgartenhof noch warten.

Immerhin: die 6000 Bäume und Büsche, die das 35-ha-Areal in einigen Jahren zu einem echten Waldgarten machen sollen, sind mit Hilfe der Gräflich Bernstorffschen Forstverwaltung bereits gepflanzt. "Pro Huhn ein Baum" ist das Motto von Britta und Manfred Flegel. Und so soll es auch kommen: Im Laufe der Zeit sollen es 6 000 Hühner werden, die jeweils ein Areal von 6 Hektar  "bewohnen".

MOBILE STÄLLE für optimalen Auslauf 

Hühner wollen nachts geschützt schlafen und auch fürs Eierlegen haben sie so ihre eigenen Vorstellungen: kuschelig soll es sein, etwas höher gelegen und vor den anderen Hühnern etwas geschützt. Also muss ein Hühnerhaus her, das nachts Schutz bietet und im Winter vor allzu großer Kälte schützt.

Auf einer sechs Hektar großen Auslauffläche würde ein fester Stall allerdings bedeuten, dass selbst 1 500 Hühner nur einen kleinen Teil der Fläche wirklich "beweiden" würden. Der größte Teil bliebe ungenutzt. "Da sind mobile Ställe die Lösung," so Britta und Manfred Flegel. "Trotz der Größe lassen sich die Ställe mit Wintergarten, Futteranlage und Eier-Laufband weiter ziehen."

So ziehen die Hühner mit ihrem Haus alle paar Wochen ein Stück weiter, dorthin, wo der Klee noch grün und das Gras noch hoch ist. 

DIE IDEE ERSETZT NICHT DIE ARBEIT

Als Britta Flegel sich 2002 entschied, ihren Job in einem Bioladen in Hamburg aufzugeben und mit ihrem Liebsten die Hühnerfarm zu betreiben, hatte sie sich das Bauernleben romantischer vorgestellt. "Aber man wächst ja mit seinen Aufgaben", hat sie in der Zeit gelernt. Zwei Kinder kamen im Laufe der Zeit dazu und Haus und Hof wollten bewirtschaftet werden.

Den Umzug in das einsame Haus in Rucksmoor, knapp einen Kilometer von Nienwalde entfernt und am Rande des ausgedehnten Gartower Forstes gelegen, findet zumindest der elfjährige Sohn "klasse". "Ich habe den Abenteuerspielplatz direkt vor Tür," erzählt der Kleine mit leuchtenden Augen, während er seinen Ball über den Staketenzaun aus Kastanienholz kickt. Der musste gebaut werden, damit Rehe, Hirsche und Wildschweine nicht des nachts zu nah ans Haus heran können - wie es bei einem Waldhaus eben so ist. Beim Holunderdrink unterm Schleppdach erzählt Flegel-Junior dann, wieviel Mühe er hatte, bei einem Freund einzuschlafen, der an einer für wendländische Verhältnisse stark befahrenen Straße wohnte. "Da hat mich schon das eine Auto gestört, dass nachts dort vorbeifuhr." Im Roten Haus in Rucksmoor ist die nächste Straße rund 500 m entfernt. Zu hören sind dort nur das Gezwitscher der Vögel und nachts allenfalls das Huhu der Eule.

Wenn es dann darum geht, mit dem Squad aufs Feld zu fahren und die Eier am Stall abzuholen, ist der 11-jährige der erste, der auf dem Führerstand sitzt. Und wenn die Eier dann aus dem Laufband rollen, ist er ebenfalls begeistert dabei, sie einzusammeln und auf die Pappen zu verteilen. 

Für die Erwachsenen stellt sich das Leben im Waldhaus natürlich nicht so entspannt dar. Trotz der äußerlichen Idylle am Rande des Waldes war auch während unseres Besuchs dauernd etwas los: da kam der "Futtermensch", Papiere mussten ausgefüllt und unterschrieben, die Futteranlage kontrolliert und Eier eingesammelt werden. 

Flegels bauen auch ihr eigenes Futter an. Das ist zwar aufwändig, aber günstiger. Da die Ackerflächen in Nienwalde noch in der Demeter-Umstellungsphase sind, gilt es noch für einige Zeit, das auf den bereits zertifizierten Flächen bei Kröte angebaute Futter zu hegen und zu ernten. Immerhin über 40 Kilometer entfernt sind die 35-ha-Ackerflächen dort. Eine zusätzliche Belastung.

"Weniger aufwändig ist die Waldgartenhaltung nicht," so Britta Flegel. "Vor allem dann nicht, wenn man sie so streng ökozertifiziert wie möglich betreiben will."

Trotz aller Arbeit sind beide von einer Idee fest überzeugt: "Schließlich sollen nicht nur die Tiere glücklich sein, sondern auch der Mensch, der mit ihnen arbeitet und von ihnen lebt. Alles andere macht keinen Sinn."

Mitten im Klee unter gurrenden Hühnern sitzend, die neugierig an Zehen und hingehaltenen Fingern picken, während andere geschäftig ihrer Futtersuche nachgehen, stellt sich tatsächlich nur eine Frage: warum kann Legehennenhaltung nicht überall so aussehen?

Fotos / Angelika Blank




Fotos

2014-07-19 ; von Angelika Blank (autor),
in Nienwalde, 29471 Gartow, Deutschland

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