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Kunst: Tschernobyl 25 - expeditionen

Der Westwendische Kunstverein in Gartow widmet sich in diesem Jahr einem einzigen Thema: dem 25. Jahrestag der von Menschen gemachten Katastrophe von Tschernobyl. Mit drei Ausstellungen sowie einem umfassenden Begleitprogramm setzt sich der Kunstverein auf künstlerische Weise vor allem mit den kulturellen Folgen des GAUs von Tschernobyl auseinander.

Anläßlich des Jahrestags der Katastrophe von Tschernobyl, die vor einem Vierteljahrhundert die Welt erschütterte, eine große Ausstellung zu präsentieren – diese Idee ist vor ein paar Jahren anläßlich einer Ausstellung von Cornelia Hesse-Honegger im Westwendischen Kunstverein geboren worden. Und wenn schon so eine Ausstellung, dann hätte sie sicher im Wendland eine ganz besondere Berechtigung.

Daß man Tschernobyl keinesfalls vergessen und die Katastrophe nicht als unglücklichen Zufall in der Vergangenheit abhaken sollte, danach schreien auch die jüngsten Ereignisse in Japan – und auch die empörenden Kommentare dazu von Kanzlerin Merkel, Vizekanzler Westerwelle und Umweltminister Röttgen. Anstatt sich zu schämen und sich anzuschauen, was ihre verniedlichende Wortschöpfung „Restrisiko“ konkret bedeutet, tun diese Laufzeitverlängerer nichts anderes als zu beschwichtigen und kleinzureden – genau wie vor 25 Jahren.

Walter Mossmann und die Böll-Stiftung in Berlin sowie viele andere Mitarbeiter in Kiew, Warschau, Berlin, Freiburg oder Brüssel waren schnell begeistert von der Idee einer Ausstellung. Und die Erkundungsfahrten in die Ukraine und insbesondere in die Zone um Tschernobyl herum, haben Dinge wieder in die Erinnerung gerufen, die es wert sind, aufgearbeitet zu werden.

Vom Kulturverlust einer ganzen Region

Wer weiß schon, daß Tschernobyl eine uralte Stadt in den Pripjat-Sümpfen ist? Wer weiß, daß durch die Ereignisse um den Block IV des Atomkraftwerks ganze Siedlungen vom Erdboden verschwunden und mutwillig zerstört worden sind? Siedlungen, die sich durch die einzigartige, abgeschiedene Lage in den Pripjat-Sümpfen eine ganz eigenständige Kultur bewahrt hatten. Aus dem Geschichtsunterricht wußten wir, daß die Armee Napoleons und später die deutschen Truppen ihre Schwierigkeiten mit diesem Sumpfgebiet gehabt haben. Aber kaum jemand weiß, daß diese Gegend ein jahrhundertaltes Rückzugsgebiet für Altgläubige der russisch-orthodoxen Kirche war und bis in die 20er Jahre des letzten Jahrhunderts Ort einer bedeutenden jüdischen Kultur gewesen ist.

 

Die Stadt Pripjat ist von der sowjetischen Regierung als „strahlende“ Vorzeigestadt für die Arbeiter in den Atomkraftanlagen von Tschernobyl konzipiert und errichtet worden. Das ist nunmehr Geschichte. Die Natur hat sich in gespenstischer Weise daran gemacht, sich diese Stadt wieder einzuverleiben.

Der Hafen von Tschernobyl ist immer noch gefüllt mit vor sich hinrostenden Schiffswracks. Auf den vielen Betonstraßen, die die Zone durchziehen, kommt man immer wieder vorbei an gigantischen Friedhöfen kontaminerter Stahlmassen.

Der Sarkophag für den bis heute weiter strahlenden Block IV wartet immer noch auf seine Vollendung – die vielen Millionen dafür sind irgendwo in den „Sümpfen“ verschwunden. Wer, wie etwa unser Bundesumweltminister, immer noch der Meinung ist, daß wir bei der Nutzung der Atomtechnologie Nachholbedarf haben, dem sei eine Reise nach Tschernobyl empfohlen: Pribjat.com veranstaltet Führungen ins Grauen.

Menetekel - Ethnographische Spurensuche - Straße der Enthusiasten

Der Westwendische Kunstverein wird in diesem Jahr seine ganze Ausstellungstätigkeit diesem einen Thema widmen. Geplant ist eine Ausstellungstrilogie: Teil 1, „Menetekel“, wird am 25. April, um 11 Uhr eröffnet. Am 4. Juni folgt „Ethnographische Spurensuche“ und am 23. Juli „Straße der Enthusiasten“ – alles im Zehntspeicher Gartow.

Die Ausstellung „Menetekel“ widmet sich in Teilen den Problemen, die wir seit Jahren hier im Wendland haben, mit den Bestrebungen, in Gorleben ein nationales Entsorgungszentrum für hochradioaktive Nuklearabfälle zu etablieren. Dem gegenübergestellt wird die unberührte, weitestgehend intakte wunderschöne Landschaft des Wendlands. Diese Diskrepanzen sollen auf künstlerische Weise sichtbar gemacht werden: Widerstand – Fortschritt – Biosphärenreservate !

Im Mittelpunkt wird die Frage stehen: Wie gehen wir mit Technologien um, die wir nicht wirklich beherrschen können und deren verheerende Folgen (Schadensbegrenzung und -bewältigung) wir einer ganzen Reihe von nachfolgenden Generationen als Horror-Erbe hinterlassen. Objekte aus dem Gorleber Widerstand, Installationen und Fotoarbeiten werden diese erste Ausstellung prägen.

Beteiligte Künstler sind: Martin Klindtworth (Leipzig), Burkhard Welzel (Berlin), Timo Vogt, Andrea Rehmsmeier (Wendland/Hannover), Rüdiger Lubricht (Worpswede) und Hieronymus Proske (Wendland).

Eine Audioslideshow von Andrea Rehmsmeier und Timo Vogt gibt am 27. April in Platenlaase einen eindringlichen Einblick in die Verhältnisse der verstrahlten Region Majak im Ural. Rüdiger Lubricht hat mehrfach die „Zone“ bereist und zeigt Dokumente der Zerstörung.

Ausstellungseröffnung ist Montag, der 25. April, um 11 Uhr im Zehntspeicher Gartow. Eröffnungsredner sind Rebecca Harms und Wolfgang Ehmke. Musikalisch begleitet wird die Vernissage von Oliver Maiß. Die Öffnungszeiten sind freitags von 16 bis 19 Uhr, feiertags, sonnabends und sonntags von 14 bis 18 Uhr.

Ausblick

Die im Sommer folgende „Ethnographische Spurensuche“ zeigt mithilfe von Fundstücken aus dem Ethnographischen Museum Lviv (Lemberg), wie tiefgreifend der Kulturverlust in der zerstörten Region um Pripjat ist. Diese Ausstellung ist auch ein „Türöffner“ für eine sehr breite Ausstellung des Augustiner Museums in Freiburg, die im September 2011 eröffnet wird.

„Die Straße der Enthusiasten – Aufstieg und Fall der Stadt Pripjat“ schließlich ist eine Wanderausstellung, zusammengestellt von Walter Mossmann und dem Morat-Institut, Freiburg. Diese Ausstellung wird vorher in Kiew, Warschau, Berlin (Böll-Stiftung), Brüssel (EU-Parlament) gezeigt und danach in Freiburg präsentiert. Zusätzlich zu den Ausstellungen wird der WWK ein breites Rahmenprogramm aus Diskussionen, Lesungen, Filmvorführungen und Konzerten bieten. Schulen sind herzlich eingeladen zu besonderen Führungen.

 

Mehr Informationen unter: http://chernobyl25.org/

 

Fotos: pripyat.com / Der Kulturpalast in Pripjat, als die Stadt noch in voller Blüte stand (Titel) - und als zerstörte Hülle, die nach und nach von der Natur verschlungen wird.




2011-03-25 ; von ZERO (autor),

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