Massentierhaltung auf dem Vormarsch

Stefan Buchenau über  die kreativitätsfreien Versprechungen der Wirtschaft, daß die Verursacher der Krise ihre Lösung sind


Es gibt noch gute Nachrichten für Lüchow- Dannenberg, verkündet die Elbe-Jeetzel-Zeitung am 3. November 2009: „In die regennasse Erde der Jeetzelstadt“ wurde nämlich ein Spaten gestochen, weil die „PHW-Gruppe“ ihren „Standort“ erweitern will, was im Ergebnis 50 neue Arbeitsplätze bedeuten könnte. Die „PHW-Gruppe“ dürfte kaum jemandem bekannt sein, ihre Marke „Wiesenhof“ dagegen schon. Das ist einer der größten Produzenten von „Hähnchenprodukten“ (aus Hühnern, die ihr Lebtag nie eine Wiese gesehen haben!) mit 15 deutschen Standorten. Allein in Dannenberg werden 600 Tonnen pro Monat „produziert“, eine schon jetzt recht beeindruckende Zahl, die durch die Erweiterung auf 1000 Tonnen gesteigert werden soll – was bei einem Durchschnittsgewicht von 1,5 Kilogramm pro Hähnchen rund 8 Millionen geschlachtete Hähnchen pro Jahr bedeutet.

In Zeiten der Krise freut sich natürlich die Gemeinde samt Honoratioren über so eine Erfolgsgeschichte – vor allem über die winkenden Steuereinnahmen.
An anderer Stelle kann man am selben Tag im gleichen Blatt lesen, daß der Rat der Stadt Dannenberg sich mehrheitlich per Resolution gegen industrielle Massentierhaltung ausspricht: „Der (..) Resolution mit dem Inhalt »Die Stadt unterstützt die bäuerliche Landwirtschaft (...) und lehnt die industrielle Tierhaltung ab» stimmten bis auf sieben CDU-Ratsleute alle Mitglieder zu.“ (EJZ vom 3. November 2009).

Ein ehrenwerter Beschluß, der von Natur- und Tierschützern als „ermutigendes Signal“ gewertet wird.

Leider hat dieses Signal keinerlei Auswirkungen auf aktuelle oder künftige Vorhaben, nicht einmal auf dem Gebiet der Gemeinde Dannenberg, denn eventuelle Bauanträge für Großmastanlagen werden nach Rechtslage entschieden und nicht nach Stimmungen oder Resolutionen im jeweiligen Rat. Was so einen Beschluß aber besonders bemerkenswert macht, ist die Frage: Woher, meinen die wackeren Ratsmitglieder, kommen denn wohl die Hähnchen, die im Dannenberger Werk „veredelt“ werden? Von der Wiese?

Die Antwort ist einfach: Die Hannoversche Allgemeine Zeitung meldet am 16. Oktober, daß in Wietze, Kreis Celle, für 40 Millionen Euro ein Schlachthof mit Kapazität für eine Million Hühner pro Woche gebaut wird – wofür im Umkreis von 100 Kilometern um den Standort herum 150 neue Mastanlagen entstehen sollen, wodurch sich die A7 zu einer Art Hähnchen-Highway entwickeln wird.

Der Celler Kreislandwirt Jürgen Mente hält das alles für „eine Chance“ und spricht von „20 Geflügelmasthallen mit jeweils knapp 40 000 Tieren“. Die „Chance“ sieht er natürlich dabei für die beteiligten Landwirte – nicht für die betroffenen Hähnchen. Von denen drängen sich nämlich nicht weniger als 25 auf einem einzigen Quadratmeter.

Wenn Sie über ein durchschnittlich großes Wohnzimmer verfügen, müßten Sie sich darin 625 Hühner vorstellen – von morgens bis abends. Damit die Hühner das aushalten, bekommen sie allerlei Futterzutaten zur Beruhigung und zum beschleunigten Wachstum. Und gelegentlich gibt’s eine Dusche mit Medikamenten zur Schädlingsbekämpfung. (Die EU-Richtlinie zur Masthühnerhaltung 2007/43/EG des Rates vom 28. Juni 2007 erlaubt die Haltung von 33 bis maximal 42 Kilogramm Masthühner pro Quadratmeter). Und eine dieser hübschen Anlagen soll auch in Schnega, betrieben von zwei hiesigen Landwirten, entstehen.

Die „Chance“ für diese Region kommt daher, daß im „Geflügelland Niedersachsen“ andere Regionen, wie etwa das Weser-Ems-Gebiet, inzwischen derart mit Mastställen zugepflastert sind, daß nicht einmal mehr der regelmäßige Gülleexport, auch nach Lüchow-Dannenberg, ausreicht, um die Umweltbelastungen für Mensch, Tier und Umwelt in wenn auch so nicht erträglichem aber immerhin legalem Rahmen zu halten. Deshalb ist Expansion angesagt, am liebsten in Gegenden hinein, die noch nicht die Höchstbelastung mit  „Großvieheinheiten“ und der damit verbundenen Gülle erreicht haben.

Zu diesen glücklichen Regionen gehören eben der Landkreis Celle und besonders Lüchow-Dannenberg. In diese Landkreise drängen Investoren aus dem fernen Holland genauso wie aus besagter Region Weser-Ems. Deren besondere Chance besteht darin, daß sie hier oft auf verzweifelte Landwirte treffen, die weder mit Getreide noch mit Milch oder Schweinen auf einen auskömmlichen Lohn für ihre Arbeit kommen können und damit offen für die Verheißungen neuer Verdienstmöglichkeiten sind.

Dummerweise ist das mit dem Verdienst aber gar nicht so rosig: „Hähnchenfleisch erfreut sich in den letzten Jahren zunehmend der Gunst des Verbrauchers. Dabei wird insbesondere Wert auf die Erzeugung in Deutschland unter hohen Qualitätsstandards gelegt. Dieser stetige Nachfragetrend hat eine erhebliche Ausweitung der Schlachtereikapazitäten und Produktionser-weiterungen in landwirtschaftlichen Betrieben bewirkt. Dennoch ist und bleibt die Hähnchenmast ein ‘Centgeschäft’.“ So bewirbt der Präsident der Landwirtschaftskammer von Nordrhein-Westfalen, Johannes Fritzen, im Mai 2009 einen Vortrag unter dem Titel „Hähnchenmast voll im Trend“.

Das „Centgeschäft“ in Zahlen: Zur Zeit „bringen“ Masthähnchen pro Kilogramm 0,88 Cent. Das führt dazu, daß das Leib- und Magenblatt der Landwirte, die „Land und Forst“ am 27. Juli 2009 meldet: „Viele niedersächsische Hähnchenmäster können nicht von ihrem Betrieb leben. Darauf hat die Landwirtschaftskammer Niedersachsen vergangene Woche hingewiesen. Nach ihren Angaben schrieben im Wirtschaftsjahr 2007/08 laut einer Untersuchung von 54 Betrieben und 396 Mastdurchgängen nur zwei Drittel der niedersächsischen Hähnchenmäster schwarze Zahlen. Diese Betriebe hätten kostendeckend gearbeitet und für die Landwirtsfamilien einen angemessenen Lohn erwirtschaftet. Die weniger erfolgreichen Mäster hätten dagegen seit Jahren nicht einmal ihre Ausgaben begleichen können. Dieses Ergebnis sei darauf zurückzuführen, daß zwischen Juli 2007 und Juni 2008 die Schere von Einnahmen und Ausgaben immer weiter auseinandergegangen sei, betonte die Kammer.“

Im wahren Leben heißt das: Im Berichtszeitraum stiegen die Erzeugerpreise um 11 Prozent, die Futterkosten allerdings um 23 Prozent – von zusätzlichen Belastungen durch Kredite, die gerade heutzutage von den Banken besonders gerne besonders günstig vergeben werden, auch und gerade bei derart glänzenden Geschäftsaussichten, ganz zu schweigen. Und daß sich an dieser Differenz zwischen Einnahmen und Ausgaben nicht so schnell etwas ändern wird, liegt an der ganz speziellen Geschäftskonstruktion zwischen Abnehmer „Wie-senhof“ und den Produzenten: „Wiesenhof“ liefert Küken mitsamt Futter und nimmt nach 33 Tagen, die nun schlachtreifen Tiere zum Festpreis ab – das Risiko steigender Energie- und Futterpreise oder einer kleinen Tierseuche trägt der jeweilige Betreiber der Mastanlage.

Aber mal abgesehen von den wirtschaftlichen Aussichten solcher Anlagen und, ausnahmsweise, auch mal abgesehen von den berechtigten Bedenken in Sachen Tierschutz, haben solche Anlagen gewichtige Auswirkungen auf die Menschen der Nachbarschaft. Nicht nur die Transporte für Futter, Küken, schlachtreife Tiere und Gülle werden die „Ruhe auf dem Land“ empfindlich stören: „Aus Geflügelfabriken entweichen giftige Keime. In der Umgebung der Massentierställe leiden deshalb ungewöhnlich viele Kinder an Allergien und Asthma“, schreibt „Der Spiegel“ schon im Oktober 1999.

„Vor allem Kinder leiden unter den Emissionen der Massentierhaltung: Im „goldenen Gülledreieck“ zwischen Cloppenburg und Vechta, der Region mit der größten Viehdichte Deutschlands, erkranken Kinder etwa doppelt so häufig an den Atemwegen wie in anderen Teilen des Bezirks Weser-Ems. Auch die Stadtkinder aus Hannover und Braunschweig leiden wesentlich seltener an Asthma und Allergien als ihre Altersgenossen vom Lande.“

Und weiter: „ ...sicher ist, daß 40 000 Hähnchen die Luft jede Stunde mit 75 Milliarden Keimen belasten. Zwar sterben Bakterien außerhalb der feuchtwarmen Stalluft schnell ab, ihre Toxine aber werden erst beim Zerfall der Mikroben frei und werden, ebenso wie Viren, Pilze und deren Giftstoffe, bis zu 50 Kilometer weit vom Wind getragen. Der Durchmesser dieser Partikel ist so winzig, daß sie – ähnlich wie Asbestfasern – bis in die kleinsten Lungenzipfel vordringen können.“ („Der Spiegel“, Nr. 39/1999 vom 27. September 1999, Seite 100).

Das ist eine wichtige Nachricht für alle Alt- und Neuwendländer, die sich vielleicht ein Haus kaufen, oder ihr Geld mit naturnahem Tourismus verdienen wollen: Bei den meist vorherrschenden Westwinden sollten sie den Raum östlich von Schnega besser meiden. Doch die Menschen im Wendland haben seit über 30 Jahren Erfahrungen damit, zur Müllkippe der Nation gemacht zu werden und so verwundert es nicht, daß sich Widerstand regt. Die Bürgerinitiative gegen Hähnchenmast in Schnega hat inzwischen respektable 64 Mitglieder und lud im Mai 2009 die investitionsfreudigen Landwirte zu einem Gespräch. Ohne Erfolg, denn die betroffenen Landwirte hielten eine öffentliche Diskussion nicht für nötig.

Dabei sollte eine Klärung der Fragen der BI durchaus auch im Interesse nicht nur dieser Landwirte sein: Welche Interessen und Befürchtungen bewegen die Investoren einerseits und die BI andererseits? Gibt es einen Interessenausgleich, mit dem alle Beteiligten leben können? Welche Alternativen gibt es hinsichtlich der Abwärmenutzung aus der Biogas-Anlage? Was können politische Organe und speziell auch die BI tun, um eine zukunftsträchtige und widerspruchsfreie regionale Wirtschaftsentwicklung zu fördern?

Die Kontrahenten scheinen sich auch hier unversöhnlich gegenüberzustehen, zumal nicht einmal der nun wahrlich nicht als „alternativ“ oder gar „links“ verschriene Bürgermeister von Gottberg ein Gespräch zustande bekam. Wie schon beim Konflikt um die geplante und inzwischen aufgegebene Schweinemastanlage in Klein Heide zieht sich ein Teil der hiesigen Landwirte in eine Art ideologische Wagenburg zurück und fühlt sich von „Zugereisten“ quasi belagert und um ihre Zukunft gebracht. So bestehen einige von ihnen nun auf ihrem „Recht“, ihren Betrieb so zu entwickeln, wie es ihnen paßt.

Dabei übersehen sie, daß – wie so oft – der vermeintliche Ausweg aus der Krise genau derselbe Weg ist, der die Misere verursacht, der ihnen die aktuellen Dumpingpreise bei Milch, Getreide, Kartoffeln und Schweinefleisch eingebrockt hat. Wer sich, Arm in Arm mit Bauernverband und Lebensmittelindustrie, auf immer industriellere und noch effektivere Produktionsweisen mit entsprechenden Folgen für Umwelt und Tierschutz einläßt, muß sich am Ende nicht wundern, wenn die Preise auf breiter Front verfallen und das Vertrauen der Verbraucher schwindet.

Und wer, wie im Fall Hähnchenmast in Schnega, meint, so ein Vorhaben ohne, ja gegen die jeweilige Nachbarschaft und gegen das übergeordnete Interesse des Landkreises an naturnahem Tourismus und Entwicklung von entsprechender Infrastruktur durchsetzen zu müssen, der sollte sich über Widerstand nicht wundern.

Dabei geht es eben auch hier nicht um einen Streit zwischen „Luftschnappern“ und Landwirten. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als um die Zukunft eines Landkreises mit deutschlandweit ziemlich einmaligen Ressourcen bei Natur und Landschaftsbild.

 

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Ein Beitrag aus der zero 158.




2009-11-26 ; von Stefan Buchenau (autor),

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