Geschäfte mit Nebenwirkungen

So kann’s gehen: Da freut sich die „Elbe-Jeetzel-Zeitung“ noch im November letzten Jahres über „positive Wirtschaftsnachrichten“: „eine gute Nachricht kommt aus Dannenberg: Dort erweitert die PHW-Gruppe – bekannt durch die Marke Wiesenhof – ihren Standort im Gewerbegebiet Breeser Weg.“

„Wiesenhof“, das sind die, die gerade im Landkreis Celle einen Schlachthof für gut eine Million Hähnchen... aber das können sie in zero 158 nachlesen. Und dann veranstaltet das hiesige „Landvolk“ einen „Informationsabend“ – aber „nur für Mitglieder“. Dort lassen sich Herr und Frau Landwirt in vertrauter Runde, ohne störende Kritik erklären, warum Mastställe für Hähnchen eine prima Sache sind. Referent war übrigens ein Herr der Firma „Wiesenhof“.

Ein paar Tage später sendet „Report Mainz“ einen Film über grauenvolle Zustände in einer „Elterntierfarm des „Wiesenhof“-Konzerns ... in der Nähe der Hauptzentrale im niedersächsischen Rechterfeld“ – man kann das, starke Nerven vorausgesetzt, in der ARD-Mediathek im Internet noch mal ansehen. Wahrscheinlich wird, wenn dieser Text erscheint, die mediale Windmaschine längst angelaufen sein. „Wiesenhof“ wird ein paar Leute feuern, der Betrieb wird vielleicht sogar geschlossen, vielleicht bekommen die Betreiber auch keine zweite Chance. Schön wär’s. Vor einiger Zeit, als ein „Hühnerbaron“ dabei ertappt wurde, wie er seine Tiere mit Nikotinlösung gegen Milben besprühen ließ, gab es schon mal große Aufregung. Die Höfe wurden geschlossen und, von der Öffentlichkeit unbehelligt, in Polen wieder aufgebaut.

Die Landwirtschaft muß sich modernisieren, sagen alle – nur wie? Vor gut 50 Jahren bekam ein Schweizer Großvater, ein Bergbauer wie direkt aus einem Heidi-Film entsprungen, den ersten gekauften Joghurt. Mißtrauisch löffelte er darin herum, nahm eine kleine Portion und spuckte aus. „So einen Dreck“ esse er nicht, sagte er. Hört sich altmodisch an? Wie ist es damit: Vor gut 20 Jahren klagte ein Schweinemäster aus der Region, die heute „Schweinegürtel“ genannt wird, über die seiner Meinung nach unmögliche Art, wie in Spanien Spanferkel geschlachtet würden. „Viel zu früh!“, meinte er mit Nachdruck, das sei nicht artgerecht, „in dem Alter nehmen wir sie, wenn sie krank sind, schon mal einzeln mit ins Haus und päppeln sie auf.“ Der Mann betrieb übrigens, direkt neben dem Wohnhaus, einen Stall mit 3 000 Schweinen. Nach heutigen Maßstäben ist das eher klein, damals war das recht groß. Heute werden überall neue Mastställe für 39 900 Hähnchen beantragt – ab 40 000 wird die Genehmigung komplizierter. Und in allen wird es den Tieren bestimmt besser (von „gut“ ist nicht die Rede!) gehen als in diesem Folterschuppen in Rechterfeld. Aber wie meine Oma zu sagen pflegte: „Wer dem Teufel in die Suppe langen will, braucht einen langen Löffel.“

Natürlich ist „Wiesenhof“ nicht der Teufel, aber wie lang ist der Löffel eines beliebigen Landwirts, der sich mit fast einer halben Million Euro Vorleistung für einen modernen Stall auf Gedeih und Verderb einer Firma ausliefert, die bei ihrem globalen Spiel wirklich anderes zu tun hat, als sich um das Schicksal eines Bauern zu kümmern, oder gar um das von ein paar Millionen Hühnern? Und dann werden es wieder ein paar Landwirte nicht schaffen, und dann werden sie sparen müssen. Und dann ist Rechterfeld vielleicht überall – auch in Schnega.

Das ist, um Himmels Willen, keine Unterstellung. Bitte lassen Sie Ihren Anwalt in Ruhe, natürlich würden Sie niemals! Niemand würde das. Nur, daß es immer wieder vorkommt. Und deshalb wäre es an der Zeit, sich zu fragen: Wieso?

Könnte es vielleicht sein, daß der Weg von dem oben erwähnten Bergbauern bis zu den Betreibern heutiger Mastställe nicht nur sehr lang, sondern auch abschüssig und rutschig ist? Daß man also mit dem ersten Schritt: „Joghurt aus dem Supermarkt“ vielleicht eine Art Rutschbahn betreten hat, auf der wir alle, Bauern und „mündige Konsumenten“, mitsamt unseren ethisch-moralischen Maßstäben langsam und unaufhaltsam immer weiter abrutschen? Dabei ist Huhn doch gesund, haben wir irgendwo gelesen. Für den, der es ißt natürlich, nicht das Huhn selber. „Ach ja, da geht’s ja schon los, das Huhn selber, als ob das Huhn ein selber, also quasi eine Persönlichkeit, hätte.“

Verehrte Realisten und Bauernfreunde, besonders von der hiesigen „C“DU: darum geht es nicht. Es geht um Eure eigene Persönlichkeit und um die der Leser, auch um meine. Wir müssen schon lange nicht mehr selber böse Dinge tun, um angenehm im Wohlstand zu leben, wie einst noch die Vorfahren des Herrn zu Gut-tenberg, die sich in aller Ehrbarkeit als Raubritter durchschlugen. Wir brechen selbst keine Knochen mehr, wir lassen brechen – egal, ob in irgendeinem fernen Krieg oder einem nicht ganz so fernen Maststall. Man nennt das Arbeitsteilung, und es hat sich in allen Teilen der Gesellschaft bewährt. Nicht nur wegen unterschiedlicher Begabungen, sondern auch, weil Drecksarbeit so immer weiter nach unten in der Gesellschaft durchgereicht werden kann, so lange, bis wir den Dreck nicht mehr sehen müssen und glauben dürfen, alles wäre sauber.

Die, die diese „Knochenjobs“ machen, werden dafür meist erbärmlich bezahlt, so wie sie meist schon als Kinder erbärmlich behandelt wurden. Und jetzt behandeln sie eben irgendeinen Kerl mit Turban, oder die Angestellten, oder Frau und Kinder daheim, oder eben die Tiere im Stall wie den letzten Dreck. Und alles das, damit, wie etwa Parteichristen oder Bauernfunktionäre sagen, „sich Landwirte und Höfe entwickeln können“. Falls sie sich aber so ent-wickeln, wie in Rechterfeld, und irgendein Journalist zeigt das zur besten Sendezeit, dann wechseln wir den Sender, wollen das nicht sehen und wir kennen auch niemanden, der so was tut oder täte – bis es wieder irgendwo, und diesmal vielleicht doch nebenan, passiert.

Alle, die sich jetzt für Mastställe starkmachen oder sie konkret planen, müssen sich fragen lassen, ob sie damit nicht schon die nächsten Skandale wie in Rechterfeld vorbereiten und wie lange man den BWL-Referenten von Firmen und Verbänden zuhören und glauben muß, bis man in Tieren nur noch Objekte zur Geldvermeh-rung sieht.

Und wir gesundheitsbewußten Konsumenten könnten mal darüber nachdenken, was unsere blödsinnige Jagd nach fettarmem, möglichst billigem Fleisch oder Fisch für Konsequenzen bei der „Erzeugung“ hat. Das zur Zeit im Bionade-Biedermeiermilieu so beliebte Pangasiusfilet etwa stammt von einem Fisch aus dem Me-kong in Vietnam. Der ist aber praktisch leergefischt, also entstehen riesige Fischfarmen im Fluß. Und die vergiften noch die restlichen natürlichen Bestände. Aber Hauptsache: fettarm! Hauptsache, der Bio-Spießer lebt gesund.

Vom Maler Max Liebermann ist der Satz überliefert: „Ich kann gar nicht so viel fressen, wie ich kotzen möchte.“

Foto: obs/Dt. Tierschutzbund




2010-01-25 ; von Stefan Buchenau/ZERO (autor),

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