Thema: milch

Forever frisch

Wäre die Milch ein Mensch, so käme die sogenannte längerfrische Milch mit Runzeln und im Faltenrock daher. Denn „maxifrisch“ und „alpenfrisch“ hat mit wirklicher Frischmilch soviel zu tun wie Johannes Heesters mit dem Kindergarten. Helmut Koch ist sauer, weil die Milch es nicht mehr wird.

Ein alter Freund regte sich schon vor Jahren darüber auf, daß auf Eierpackungen immer „frische Eier“ steht – denn das steht auch nächstes Jahr noch drauf, wenn die Eier längst verfault sind.

„Längerfrisch“ oder „Hält extra lange frisch“ – das steht seit einiger Zeit auf fast allen „Frisch“-milchpackungen. Was bedeutet „länger frisch“? Was bedeutet „frisch“? An sich ist es so: Frisch ist ein Produkt, das unmittelbar nach seiner Herstellung in den Handel und zum Verzehr kommt. Bei Milch wäre das einen Tag fürs Melken und Abholen, einen Tag für die Molkerei, ein bis zwei Tage für den Handel und dann noch drei bis vier Tage für den Verbrauch. Von Kuh bis Klo also eine Woche.

Was aber soll das für eine „frische“ Milch sein, die sich mindestens drei Wochen hält, bevor sie sauer wird? Und dann wird sie überhaupt nicht mehr sauer, ssie wird einfach nur schlecht. Dieses Milchgetränk, das mit wirklich frischer Milch fast nur die Farbe gemein hat, ist – genau genommen – nicht „längerfrisch“ sondern  bestenfalls „länger haltbar“.

Ich habe im Supermarkt nachgefragt. Dort hat man mich an die Handelskette weitergereicht. Die Handelskette hat mir die Molkerei genannt, und dort hat man mir klipp und klar erklärt, daß man auch bei starken Verbraucherreaktionen nichts ändern würde. Da klang deutlich durch, daß sich diese Molkerei darauf verläßt, daß alle anderen Molkereien es ebenso handhaben werden und der „mündige“ Ver-braucher sich spätestens nach einem Jahr nicht mehr daran erinnert, wie frische Milch dereinst geschmeckt hat. Das Problem betrifft übrigens auch einen Teil der sogenannten Bio-Milch. Nur wenige Sorten leisten noch Widerstand.

Wir aus der Oma- und Opa-Generation haben als Kinder die Milch noch literweise in der Kanne geholt, und wenn kein Gewitter kam, konnte es zwei Tage dauern, bevor die Milch sauer wurde. Das war frisch. Und wenn die Milch doch sauer wurde, dann füllte man sie in eine Satte (Porzellan- oder Keramikschüssel) und deckte sie mit einem Tuch ab. Einen Tag drauf hatte man Dickmilch (so was ähnliches wie Joghurt). Die konnte man essen, auch mit Früchten oder Marmelade gemischt. Heute bekommt man das als nostalgisch beworbenes Produkt „echte Dickmilch mit Früchten – wie früher“ im Supermarktregal. Selber kann man es nicht mehr herstellen, denn das milchige Getränk, „längerfrische“ oder „alpenfrische“ „Milch“ benannt, wird – im Gegensatz zu mir – nicht mehr sauer.

Wollte man diese Dickmilch nicht essen, konnte man sie auch weiterverarbeiten, in ein Tuch gießen, die unten herauslaufende Molke sammeln, und das Zeug im Tuch wurde Frischkäse, Quark. Auf ein Blech geschichtet und etwas gereift war es „Schichtkäse“. Den gibt es heute noch, wirklich frisch – auf dem Markt am Bio-Stand. Milch gibt es da übrigens auch...

Mich ärgert nicht nur der Etikettenschwindel „länger frisch“. Ich finde auch, daß die Milch nicht mehr wie Milch schmeckt, sondern wie „H-Milch“. Das ist auch nicht verwunderlich, denn die „längerfrische“ Milch wird stark erhitzt. Weit über den Siedepunkt, statt wie beim „Pasteurisieren“ auf 72 bis 75°C. Diese Flüssigkeit ist hocherhitzt, wenn auch nicht „ultrahocherhitzt“ wie die H-Milch. Das Ziel ist klar: Es geht um grenzenlose Haltbarkeit – nicht als Vorteil für den Kunden, nein, es geht darum, den Handel noch flexibler und damit noch mächtiger gegenüber den Bauern zu machen.

Wenn Bauern wegen der niedrigen Milchpreise „streiken“, um einen gerechten „Lohn“ für Arbeit und Investitionen zu bekommen, dann gefällt das den Kapitalisten von „Aldi“, „Lidl“, „Unilever“ & Co. nicht. Also muß frische Milch in ein langfristig lagerbares, transportables und erzeugerunabhängiges milchartiges Getränk um-gewandelt werden. Damit lassen sich die deutschen Bauern noch besser gegen Polen, Spanier, Iren oder sonstwen ausspielen. Transport und Lagerhaltung sind billiger, als einen angemessenen Preis an die Erzeuger zu zahlen – wozu die meisten Verbraucher (in Umfragen) gern bereit sind, aber konkret im Supermarkt selten tun. Das Ganze wird auch noch vom Steuerzahler subventioniert, denn er zahlt für die Straßen und Häfen, die für das ständige Hin- und Hergekarre der unermeßlichen Warenmengen benötigt werden – ein Blick in Lüchows Innenstadt genügt.

Und die teuren Agrarsubventionen der EU? Da kassieren wenige 70 Prozent des Geldes. So bleibt für den kleinen Bauern nicht mehr viel übrig. Weiß jemand zufällig, ob der Agrar-Fast-Monopolist Monsanto sich mehr über Agrarsubventionen oder doch eher aus den Forschungsetats bedient? Warum titelt „Bild“ eigentlich nicht: „Kapitalisten schaffen Frischmilch ab!“? Ließe sich damit keine Auflage machen? Vermutlich nicht, weil Kühe keine so fotogenen Silikoneuter haben, wie ihre sonst an dieser Stelle zu findenden menschlichen Geschlechtsgenossinnen.

Die Abschaffung frischer Milch ist auch nur folgerichtig, wenn man weiß, daß 30 Prozent des im Handel befindlichen Käses bereits chemische Kunstprodukte sind, die mit Milch überhaupt nichts mehr zu tun haben. Was können die Liebhaber der frischen Milch tun? Ganz einfach: Wehrt euch! Leistet Widerstand! Kauft wirklich frische Milch – das kann man hier im Wendland ganz prima – beim Bauern um die Ecke – oder bei der Milchkooperative. Wenn auch das nicht hilft, sind wir der Abschaffung des Bauern als Lebensmittelerzeuger wieder einen Schritt näher gekommen.


Was ist ESL-Milch?

Immer mehr hocherhitzte „ESL“-Milch (Extended Shelf Life) wird als Frischmilch verkauft –  für den Verbraucher schwer zu erkennen, denn die Handelsnamen täuschen wirklich frische Milch vor: etwa „Bärenmarke“ Die Alpenfrische Vollmilch, „Weihenstephan“ Frische Alpenmilch, „milfina“ Frische Vollmilch oder Frische Bio-Vollmilch aus der „Gläsernen Molkerei“ mit Bio- und Naturland-Siegel. Im Unterschied zu wirklich frischer Milch, bei 72 bis 75°C pasteurisiert, wird ESL-Milch auf 127°C erhitzt. Der Vitaminverlust liegt bei etwa 10 Prozent, dazu kommen weitere 5 bis 15 Prozent durch die lange Lagerung. ESL-Milch, seit 2003 im Handel, mußte früher als „hocherhitzt“ gekennzeichnet sein, diese Verpflichtung ist seit August 2007 entfallen. Die längere Haltbarkeit von bis zu drei Wochen gilt nur für die geschlossene Packung. Verdirbt ESL-Milch, ist das kaum zu schmecken, da sie nicht mehr sauer wird.

 

Foto: obs/CMA - Bestes vom Bauern.




2009-05-28 ; von zero/Helmut Koch (autor),

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