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Die Atompolitik prägte ihr Leben: Marianne Fritzen - ein Nachruf

Ihr Leben widmete sie ihrer Familie - und dem Widerstand gegen die Atomanlagen in Gorleben. In der Nacht zu Montag ist Marianne Fritzen, Mitgründerin der Bürgerinitiative Umweltschutz gestorben. Ein unersetzlicher Verlust für den wendländischen Widerstand.

Dieser "komische Atomkram" wie sie selber einmal sagte, hat ihr Leben gehörig durcheinander gewirbelt. Doch trotz einer großen Familie mit sieben Kindern war es für Marianne Fritzen seit Anfang der 70er Jahre eine Selbstverständlichkeit, sich im wendländischen Widerstand gegen die Einrichtung eines Atommüll-Endlagers in Gorleben intensiv zu engagieren.

Zu tief saß der Schock, als 1972 die ersten Meldungen durchdrangen, dass bei Langendorf ein Atomkraftwerk geplant sei. Als Katholikin war es nicht nur ihre Einstellung, dass die Schöpfung geschützt werden muss, sondern auch die unbedingte Forderung, dass bei allen Kontroversen nie Gewalt gegen Menschen eingesetzt werden dürfe. Diese Forderung richtete sie unermüdlich nicht nur gegen X-tausende Polizisten, die Castortransport für Castortransport durchboxten, sondern auch an ihre MitstreiterInnen im wendländischen Widerstand.

Von der Hausfrau und Mutter zur Symbolfigur des Gorleben-Widerstands

Zur Symbolfigur des wendländischen Widerstands wurde sie durch ein Plakat des Hamburger Fotografen Günter Zint, das Marianne Fritzen vor einer Polizeikette zeigt. Mit Strickmütze und Winterjacke stand sie da, kaum 1,60 m groß, vor all diesen Polizisten, die in voller Montur die Probebohrungen im Jahre 1979 schützten. Unerschrocken, mit erkennbarer Skepsis im Gesicht, aber auch mit einer Freundlichkeit, die bereit war, den Menschen hinter den Schutzpanzern zu sehen. Dieses Foto ging durch die Republik - wohl auch deswegen, weil es den Kampf der vielen "kleinen Menschen" gegen eine übermächtige Staatsmacht symbolisiert. Diese Übermacht konnte die menschenfreundliche und tolerante Kämpferin mächtig in Wut bringen. Wie gesagt: Gewalt durfte für Marianne bei aller Wut kein Mittel des Widerstands sein. Sie setzte auf Phantasie, Beharrlichkeit und nicht zuletzt auf gute Argumente. Im Buch "Übermacht und Phantasie" des coconut-Verlags erzählt sie in einem langen Interview (unter anderem) viel über ihre Beweggründe.

Im jahrzehntelangen Widerstand schaffte sie es durch ihre positive Art immer wieder, daran zu erinnern, wieviel Erfolge schon errungen worden waren - auch wenn auf der politischen Großbühne mal wieder der Vorhang zu einem weiteren Akt auf dem Weg zu einem Endlager im Salzstock Gorleben aufgezogen worden war.

Ohne Gewalt! Dafür mit Respekt, Phantasie und Überzeugungskraft

Ihre Fähigkeit, in der Sache zwar knallhart zu argumentieren, aber dabei durchaus auch mit politischen Kontrahenten befreundet zu sein, trug ihr allerhöchsten Respekt auch von ehemaligen Ministern und Ministerpräsidenten ein. Der damalige Bundesumweltminister Sigmar Gabriel äußerte gar die Ansicht, dass ohne Marianne Fritzen der wendländische Widerstand nicht diese Breitenwirkung erlangt hätte, die er seit über 40 Jahren hat.

Doch ihr Respekt und ihre Toleranz konnten "sehr abrupt enden, wenn Autoritäten hohl oder Hierarchien unbegründet waren", wie ihre langjährige Freundin, Mitstreiterin und heutige EU-Abgeordnete Rebecca Harms in ihrer Laudatio anlässlich des Petra-Kelly-Preises berichtete. Dieser war Marianne Fritzen im Jahre 2010 verliehen worden. (hier! geht es zur ganzen Laudatio)

Die Heinrich-Böll-Stiftung zeichnet mit dem Petra-Kelly-Preis alljährlich Menschen und zivilgesellschaftliche Vereinigungen aus, "die sich auf besondere Weise für die Achtung der Menschenrechte, für das gewaltfreie Lösen von Konflikten und den Schutz unserer Umwelt einsetzen". „Die Entscheidung, Marianne Fritzen den Preis zu verleihen, ist vor allem eine Würdigung ihrer politischen Biographie als jahrzehntelange Vorkämpferin gegen die Atomenergie, als Symbol des gewaltfreien Widerstands und eines breiten gesellschaftlichen Bündnisses in der Region," hieß es damals in der Begründung zur Verleihung des Preises.

Marianne Fritzen selber sah sich selber nie als besondere Person, sondern als Teil einer Bewegung, die ein großes Ziel eint: eine unverantwortliche Atompolitik zu beenden und vor allem ein Atommüll-Endlager in ihrer Heimat zu verhindern. Auch diese Bescheidenheit trug viel dazu bei, dass sie von Freunden wie Gegnern wohl auch in Zukunft als großes Vorbild gesehen wird.

Wie sehr Marianne Fritzen nicht nur im politischen Wirken sondern auch als Mensch viele Menschen beeindruckte, konnte wohl niemand anders besser ausdrücken als es ihr Ehemann in einem Haiku tat, das er für sie geschrieben hatte:

Zwei Einheit

Ohne Eigennutz
Vielen Wesen zugetan
sich selbst verwirklicht.

Marianne Fritzen ist tot. Aber ihre Menschlichkeit und ihre Zivilcourage werden unvergessen bleiben - und ihre Wirkung auch in Zukunft zeigen.

Hier! geht es zu einer wnet-Würdigung zu ihrem 90. Geburtstag und Hier! zu einem berührenden Mini-Porträt von coconut-Media über Marianne Fritzen.

Foto / Karin Behr ... publixviewing: Marianne Fritzen 2013 während einer Rede anlässlich der Einweihung des ausgemusterten Greenpeace-Schiff Beluga als Mahnmal für eine gescheiterte Atompolitik im Gorlebener Forst.

Video: Dirk Drazewski


2016-03-08 ; von Angelika Blank (autor),
in Kolborn, 29439 Lüchow, Deutschland

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