Thema: politik

Schiffbruch mit Zuschauern

Die Cancel-Culture und die Wokies der Generation Schneeflocke in Tüschau-Saggrian - eine Provinzposse. Roswitha Ziegler war mitten drin.

..Apokalypse Afrika (Buchcover)

Anlässlich einer angekündigten Vortragsreihe mit Hans Christoph Buch, Götz Aly, Gerhard Harder begann in Tüschau - Saggrian eine Veranstaltungsreihe, die sich mit der Frage auseinandersetzt, wieviel vom Erbe kolonialer Zeiten heute noch in der Gesellschaft verankert ist.

Der 1. Vortrag der Reihe war eine Lesung von Hans Christop Buch im Tagungshaus 'Tu was' .

Es waren ungefähr 28 Zuhörerinnen und Zuhörer gekommen, auf dem Podium begrüssten Herr Lehmann und Herr Harder den Schriftsteller Hans Christoph Buch.

Der Autor las unter anderem aus seinem Buch: "Apokalypse Afrika oder Schiffbruch mit Zuschauern".( Romanessay, Die Andere Bibliothek/Eichborn, Frankfurt am Main 2011) Der Untertitel Schiffbruch mit Zuschauern scheint im Nachhinein eine Vorwegnahme der immer gereizter werdende Stimmung der Zuhörer/innen im Verlauf des Abends zu sein.

Aus dem Klappentext des Buches :

"Bedrohlichkeiten, Gewalt und Tod - unter den deutschen Romanciers, Erzählern und Essayisten seiner Generation ist keiner den Bürgerkriegs- und Katastrophenorten dieser Welt so nahe gekommen wie Hans Christoph Buch. Neben der Karibik sind es immer wieder der Kontinent Afrika, das Fortwirken kolonialer Vergangenheiten und die ethnischen Säuberungen und Massaker, die die erzählerisch-politischen Berichte von Hans Christoph Buch motivieren. Von den Albträumen legen seine Reportagen Zeugnis ab, ohne auf die bundesrepublikanischen Befindlichkeiten schön-rednerische Rücksicht zu nehmen".
Seine "postkolonialen" Perspektive auf Afrika ermöglicht einen Blick auf "Kollateralschäden der Zivilisation".

Buch las also nach einer kurzen Einführung seine Erzählung über die "Hottentotten-Venus", wie die "südafrikanische Khoi-Frau Sarah Baartmann, genannt wurde.

1810 brachte der englische Militärarzt Dunlop die 20-jährige Sara «Saartjie» Baartman von Südafrika nach London. Das Mädchen war eine Khoikhoi, gehörte zu den südafrikanischen Völkern, deren Menschen ausgeprägte Hintern haben. Weil die Khoikhoi auch Hottentotten genannt wurden, nannte man sie bald Hottentotten-Venus. Freiheit kannte sie nicht, sie gehörte ihrem «Entdecker» Dunlop. Im Club St. James in London faszinierte Sara mit ihrem Hintern das Publikum. Der Eintritt zu ihrer Vorführung betrug zwei Schillinge, damals eine ordentliche Summe. Das Publikum kniff und stiess sie mit Stöcken – ja, dieser Riesen-Po war echt!"

Für Hans Christoph Buch sind poetische Mittel Collage, Überhöhung, Karikatur, um sich dem Gegenstand seiner Romane, Erzählungen und Reiseberichte rund um den Globus zu nähern.

Im Fall der "Hottentotten-Venus" erfuhren wir Zuhörenden außerdem, dass es bereits vor 200 Jahren kritische Stimmen, öffentliche Missbilligung an dieser menschenfeindlichen Zurschaustellung einer südafrikanischen schwarzen Frau in englischen Zeitungen gab, die sogar zu einem Prozess gegen deren "Besitzer" Dunlop führte, dem daraufhin die weitere Zurschaustellung verboten wurde.

Manchmal ist man in einer Veranstaltung zutiefst verwundert über die Reaktionen des Publikums. So haben etliche Zuhörerinnen sich empört bei Buchs Erzählung, und sich so stark mit Sarah Baartmann identifiziert, sich stellvertretend für die "Hottentottenvenus" gequält und unwürdig behandelt gefühlt, und sich an dem Abend genauso wie vor 200 Jahren kolonialer Überlegenheit weißer alter Männer ausgesetzt gefühlt.

Das Beunruhigende dabei war für mich die im Raum vorherrschende selektive Wahrnehmung dieser Erzählung von Hans Christoph Buch. Das nicht wahrnehmen, nicht beachten wollen seiner gesamten Erzählung, seiner Schilderung der kritischen englischen Öffentlichkeit, der Presseberichte und des Gerichtsprozesses, der schliesslich zu einem Verbot der rassischen Zurschaustellung Sara Baartman führte.

Das lässt mich über meine eigenen Kriterien nachdenken. Gehört emotionale Betroffenheit inzwischen zu Kriterienkompetenz ?

Es ist ein bisschen absurd, dass am Ende aus ideologischen Gründen ein literarischer Text für gut oder schlecht gehalten wird, der breitgefächert seinen historischen Gegenstand beschreibt. Einen Text, den die Zuhörerinnen sich offensichtlich weigern, jenseits ihrer emotionalen Betroffenheit zu beurteilen.

Es wurde auf Reizworte angesprungen, um sich gegen herausgehörte frauenfeindliche Verachtung zu wehren. Buchs mehrmaliger Verweis auf die Freiheit der Kunst: "Eure Rede sei : Ja, Ja. Nein, Nein." wurde einfach überhört.

Auf die Wortmeldung einer Zuhörerin, "Der Kapitalismus als Grundlage von Kolonialismus, der Kapitalismus wäre doch die Ursache allen Übels", meinte Buch trocken, so hätte er in jüngeren Jahren auch geredet, aber inzwischen könne er das nicht mehr hören.

Der Höhepunkt der Veranstaltung war, als Buch von seiner Verbundenheit mit Haiti erzählte, von seinen Haitianischen Wurzeln berichtete, seinem Großvater, der dort Apotheker war und eine Kreolin geheiratet hatte. Bei Buchs Worten: "Die Schwarzen auf Haiti nennen sich selbst untereinander 'Neg' " brach ein Sturm der Empörung los. Rufe von: "It hurts, it hurts so much " bis: " das ist verboten! Das N-Wort ist verboten!"

Der kleine Tumult endete im empörten Abgang zweier Zuhörerinnen, die bemängelten, dass nur alte weisse Männer auf dem Podium sassen, und nach diesem Ausbruch war auch eine vernünftiges miteinander reden nicht mehr möglich, da die beiden Veranstalter Harder und Lehmann nicht in der Lage waren, eine dazu notwendige Diskussion in Gang zu bringen.

Natürlich ist es richtig und angebracht, Sensibilität und Rücksichtnahme im Umgang und sprechen mit Minderheiten und Andersdenkenden walten zu lassen -Wenn das aber zu einem Sprech- oder Denkverbot führt, wenn eine Gruppierung meint, sendungsbewusst als Sprachpolizei auftreten zu können, geht das in Richtung Totalitarismus - genau das, wogegen sich so vehement zur Wehr gesetzt wird.

Als 'dürfte' einer mit Haitianischen Wurzeln wie HC Buch nicht selbst die Worte der Haitianerinnnen benutzen, oder zitieren, als bedürfe es dieser selbsternannten, selbstermächtigten Sprachwächterinnen, für Recht und Ordnung beim Sprechen und Denken zu sorgen.

Letztendlich war diese Provinzposse aber zum fürchten, weil sich nun sogar die beiden Veranstalter der Vortragsreihe dem Diktat der selbsternannten Sittenwächterinnen gebeugt haben, und einen weiteren Vortrag mit Hans Christoph Buch abgesagt haben.

Deren uns mitgeteilte offizielle Begründung der Ablehnung einer 2. Veranstaltung mit HC Buch ist:

"Thema verfehlt, Relativierung und Publikumsbeschimpfung begründeten unsere Entscheidung, die zweite Veranstaltung ohne Herrn Buch durchzuführen. Dies hat Frau Oehler Herrn Buch sowohl telefonisch als auch persönlich erklärt. Wir sollten die Sache herunterkochen, bevor der Deckel vom Topf fliegt. "

Zu dem Vorwurf:

"Thema verfehlt": Zu dieser oberlehrerhaften Einschätzung fällt mir nichts mehr ein, für mich waren die Erzählung Buchs und seine Schilderungen durchaus eine Auseinandersetzung mit Postkolonialem Denken.

Relativierung? Ist mir unverständlich. Hätten die VeranstalterInnen vielleicht während des Abends deutlich machen können. Haben sie aber nicht.

Publikumsbeschimpfung : Wenn es bereits eine Publikumsbeschimpfung sein soll, zu einer Zuhörerin zu sagen, dass man müde und überdrüssig sei, Kapitalismus als Ursache allen Übels zu sehen, so ist das für mich eher eine Provokation.

Auch nicht mehr erwünscht?


 


2021-10-13 ; von Roswitha Ziegler (text),

politik  

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