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Der mit dem Wolf tanzt

Als ich 1990 die Plakate sah, mochte ich es nicht glauben: ein Western?! So was mit Cowboys und Indianern, mit wenig Frauen, viel Whisky und noch mehr Peng Peng? Wer will das noch sehen? Und wer dreht einen solchen Streifen kurz vor der Jahrtausendwende? Vielleicht die Gebrüder Zucker, die zwei Jahre zuvor „Die Nackte Kanone“ gedreht hatten und nun ihren Star Leslie Nielsen als Sitting Bull und Buffalo Bill in einer Doppelrolle ins Rennen schicken? Hätte ich mir zumindest amüsant vorgestellt. Möglicherweise aber auch ein Streifen von Clint Eastwood, der von Ende der 70er bis Anfang der 90er regelmäßig Western oder Roadmovies mit Westerncharme produzierte? Oder vielleicht eine filmische Verneigung des Hollywood-Provokateurs Oliver Stone vor den Westwärts-westwärts-Pionieren? Alles Fehlanzeige – keiner dieser Namen auf dem Plakat.

Dafür der von Kevin Costner und der von Graham Greene. Nie gehört. Oder? Doch! In der Schule hatten wir mal ein Buch von einem Graham Greene gelesen: „Der dritte Mann“ – Standard-Literatur für Mittel- und Oberstufe. Konnte mich gut erinnern. Zumal der Greene-Roman auch verfilmt wurde, mit Orson Welles und Joseph Cotton. Toller Film übrigens. Doch das ist eine andere Geschichte. Und der Filmplakate-Graham-Greene hatte sowieso nix mit dem „Der dritte Mann“-Graham-Greene zu tun.
An den nächsten Tagen sah ich das Plakat immer häufiger. Nach und nach hob sich der Vorhang und es wurden Erinnerungen spürbar. Es flimmerten Szenen aus Western-Filmen in mir, vornehmlich aus Filmen der 40er, 50er und 60er Jahre. Filme mit den immer wiederkehrenden John Wayne, Gary Cooper, James Stewart, Kirk Douglas, Burt Lancaster, Henry Fonda oder Clint Eastwood. Die Regisseure waren John Ford, Howard Hawks, Henry Hathaway, John Houston oder Sergio Leone. Die Filmtitel klingen wie Haltestellen auf einer Busfahrt durch meine Kindheit und frühe Jugend: „High Noon“, „Rio Bravo“, „Vera Cruz“, „El Dorado“, „Red River“, „Chisum”, „Winchester 73”, „Spiel mir das Lied vom Tod”, „The Good, The Bad and The Ugly” oder „The Wild Bunch”.

Ein Vierteljahrhundert nach der Blütezeit des Westernfilms kam nun ein Film daher, der den wahnwitzigen Versuch unternahm, an den Kinokassen mit den Aliens, den Rambos und den Terminators einerseits und den Woody Allens, James Camerons und Steven Spielbergs andererseits zu konkurrieren. Als Western! Das konnte nur entweder lächerlich oder anmaßend, schlimmstenfalls beides zugleich sein – doch es weckte auch mein Interesse! Also – wild entschlossen, mein inneres Western-Erbe nicht beschädigen zu lassen – ab ins Kino.

„Dances with Wolves“, also eigentlich „Tanzt mit Wölfen“, reanimierte das klinisch tote Western-Genre, verhalf ihm zu einem furiosen Comeback unter den Kinogängern, begeisterte die Kritik und löste eine öffentliche Diskussion in den USA über den Umgang mit deren Ureinwohnern aus. Kurzum: der Film des Trios Cost-ner (Regisseur, Produzent und Hauptdarsteller), Michael Blake (Drehbuch) und Jim Wilson (Produzent) wurde ein Welterfolg. Mir bescherte der Film drei unvergeßliche Kino-Abende hintereinander, an denen meine Sinnesorgane gleichermaßen sensibilisiert und vollständig bedient wurden.
Erzählt wird die Geschichte des Nordstaaten-Offiziers Lieutenant John J. Dunbar, der im amerikanischen Bürgerkrieg schwer verletzt wird. Aus Angst vor den Folgen der Verletzung unternimmt er einen bizarren Selbstmordversuch – der fehlschlägt, aber kurioserweise bewirkt, daß ein Gefecht zugunsten Dunbars Kameraden entschieden wird. Aus Dank wird er mit erstklassiger ärztlicher Versorgung ausgezeichnet und darf – so unversehrt – den Ort seiner nächsten Versetzung selbst bestimmen. John Dunbar will den Westen kennenlernen, „bevor es ihn nicht mehr gibt“ und läßt sich auf einen entlegenen Außenposten versetzen, der sich im Indianergebiet befindet.

Nachdem er seinen Posten, der von seiner Einheit längst aufgegeben wurde, bezogen und – auf sich allein gestellt – auf Vordermann gebracht hat, lassen die ersten Begegnungen nicht lange auf sich warten. Zunächst nähert sich ihm ein Wolf (Two Socks), der erst mal sein Beobachter, später sein, „Socke“ genannter, Begleiter wird und bald den Anlaß dafür liefert, daß ihm die Lakota den Namen Der Mit Dem Wolf Tanzt verleihen. Es vergeht fast eine Stunde, bis der erste Indianer auf der Leinwand erscheint. Die zuerst einmal von gesundem gegenseitigen Mißtrauen geprägte Annäherung zwischen dem Soldaten und den Lakota-Indianern erzählt Costner sehr behutsam. Er gibt uns Zuschauenden viel Zeit und schafft es, mit berührend ruhigen Bildern, eine atemlose Neugier und Spannung zu erzeugen, die uns bis zum Ende des Films begleitet. Er beleuchtet die jeweilige Seelenlage, die wechselseitigen Vorurteile und Ängste und läßt uns teilhaben an den Auseinandersetzungen der Indianer darüber, wie man mit dem neuen Nachbarn verfahren soll. Die Dialoge in der Lakota-Sprache wurden nicht synchronisiert, sondern mit Untertiteln versehen. Doris Leader Charge übersetzte die Dialoge ins Lakota und brachte den Darstellern – mit Unterstützung durch eigens engagierte Sprachforscher – das nötige Sprachverständnis bei. Sie hat im Film die Nebenrolle als Frau des Häuptlings Zehn Bären. Authentizität entsteht auch dadurch, daß Costner die Mehrzahl der Indianerrollen mit tatsächlichen Nachfahren der nordamerikanischen Ureinwohner besetzte.

Dunbars Gemütsverfassung bekommen wir Zuschauenden von ihm selbst aus seinem Tagebuch vorgelesen. Wir werden Zeuge, wie sich trotz kultureller Hürden tragfähige Beziehungen entwickeln. Stellvertretend für sein Verhältnis zu den Indianern werden die Beziehungen zu drei Personen des Lakota-Stammes näher beleuchtet. Da ist zum einen der Medizinmann Strampelnder Vogel (Graham Greene), der ihn als möglichen Verhandlungspartner betrachtet und ihm in guter Absicht gegenüber tritt. Die zweite Begegnung ist die mit dem jungen Heißsporn Wind In Seinem Haar (Rodney A. Grant), der am liebsten ein paar Pfeile in ihn schießen möchte, um herauszufinden, ob „Der Weiße Mann“ tatsächlich unverwundbar ist.
Schließlich begegnet Dunbar Steht Mit Einer Faust (Mary McDonnell), die sich aus Trauer über den Tod ihres Mannes in der weiten Prärie einsam das Leben nehmen will. John Dunbar bewahrt sie vor dem Tod und bringt sie zu ihrem Stamm zurück. Wir erfahren mit der Zeit, daß Steht Mit Einer Faust Kind weißer Siedler ist und entkommen konnte, als ihre Familie von Pawnee-Indianern überfallen und ermordet und von Strampelnder Vogel und dessen Frau aufgenommen und großgezogen wurde. Welche Entwicklung die Beziehung dieser beiden „Weißen“ nehmen wird, liegt fast auf der Hand.
Gleichzeitig werden wir Zeuge, wie der Soldat der Nordstaaten-Armee einen Identitätswandel durchlebt. Zwar trennt den einstmals stolzen Fahnenträger zu Anfang noch so einiges davon, ein Indianer zu sein, doch ganz allmählich und durch manche Zweifel hindurch wird aus John Dunbar Der Mit Dem Wolf Tanzt. Dann aber kommt es, wie es sich niemand der Zuschauenden wünscht: amerikanische Soldaten treffen in Dunbars verlassenem Außenposten ein und nehmen ihn wegen Hochverrats fest. Was jetzt passiert, mag ich nicht beschreiben, muß man sehen – und fühlen.

Zugegeben: es fällt mir schwer, diese Besprechung besonders kritisch einzufärben. Zu wuchtig und beeindruckend wirkt die Symbiose aus atemberaubenden Bildern, schlüssiger und ergreifender Geschichte, leidenschaftlicher Schauspielkunst und berührender wie prachtvoller Musik. Der Film ist gelungen und sicherlich nicht nur etwas für Freunde wilder Western. Costner vertraut – zu Recht – seinen Bildern und verzichtet auf jede Effekthascherei. Und eine vergleichbare Demontage der mythologischen Western und ihrer Helden gelang bestenfalls in Sam Peckinpahs „The Wild Bunch“ („Sie kannten kein Gesetz“) und in „Duell am Missouri“ von Arthur Penn.

Die saubere Einteilung in Gute und Böse ist von Anfang an infragegestellt, und es gibt keine Gewinner. Auch werden wir Zuschauenden mit unseren – besonders in Western und Actionfilmen festgetackerten – Rollenklischees von Costner nicht in Ruhe gelassen. Aus dem eintrainierten Schwarz und Weiß läßt Costner gekonnt verschiedene Schattierungen entstehen. Das erhöht die Aufmerksamkeit, die Neugier und den Spannungsbogen. Darüber hinaus halte ich dies für einen wesentlichen Grund dafür, daß es dieser Film geschafft hat, eine möglichst realistisch anmutende Schilderung der Indianer und ihrer Lebensweise wiederzugeben. Er begeht auch nicht den Fehler, die Indianer ausschließlich in ihrer Opferrolle zu zeigen. Wir erleben ebenso, wie Pawnee-Indianer weiße Siedler überfallen und ermorden.

„Dances with Wolves“, ausgezeichnet mit sieben Oscars und drei Golden Globes, bietet exzellente Unterhaltung und regt im selben Moment – ohne erhobenen Zeigefinger – zum Nachdenken an über Vorurteile, Anderssein und Fremdenfeindlichkeit.




2008-03-01 ; von René Schüttler (autor),

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