Thema: hochwasser

Hochwasserschutz an der Seege - wie soll das gehen?

Ein sperriger Titel: Machbarkeitsstudie zum Hochwasserschutz entlang der Seegeniederung. Doch es geht um nichts Geringeres als langfristig geplanten Hochwasserschutz. Am Montag diskutierte der Gartower Samtgemeinde-Ausschuss über die Studie. 


Komplex ist das Thema "Hochwasserschutz" und braucht viel Sachverstand - aber womöglich auch nur eine Portion gesunden Menschenverstand. Am Montag tagte der Gartower Samtgemeinde-Ausschuss für (u.a.) Planung, Verkehr und Umwelt, um über die aktuelle Studie zum Hochwasserschutz in der Seegeniederung zu beraten.  

Worum geht es? Nach den Erfahrungen während der vergangenen Fluten wollte der Gartower Deichverband vom Land gerne die (bislang fehlende) Unterstützung bekommen, die Landesstraße von Meetschow nach Gartow höher zu legen ebenso wie die Seegebrücke am Ortsausgang. Nur mit viel Aufwand sind diese beiden neuralgischen Punkte bei hohen Wasserständen gegen Überflutung zu schützen. Werden sie aber überflutet, dann ist einerseits der Höhbeck von der Außenwelt abgeschnitten und andererseits der einzige Zufahrtsweg (auf niedersächsischem Gebiet) zu Einsatzorten hinter der Seegebrücke (Höhbeck, Holtorf, Kapern ... Schnackenburg) abgeschnitten.

Um Klarheit über die Anforderungen an einen nachhaltigen Hochwasserschutz in der gesamten Seegeniederung zwischen Vietze, Meetschow, Laasche und Gartow zu bekommen, beauftragte der Gartower Deichverband den Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) eine umfassende Studie zu erstellen, wo es Handlungsbedarf gibt und welche Maßnahmen machbar wären. Diese liegt nun seit einigen Monaten vor.

Im Ergebnis empfiehlt der NLWKN dem Gartower Deichverband die sogenannte "Variante 2", nach der neben dem Deichausbau auf gesamter Strecke auch eine Anpassung der Schöpfwerke, der Seegebrücke, der Hochwasserschutzwand am Schloss in Gartow sowie der Ausbau des Laascher Damms und der Deichstrecken, die eine nicht ausreichende Höhe haben, vorgesehen ist. Diese Variante hätte eine Bauzeit von rund 25 Jahren und wird vom NLWKN auf Kosten von (aus heutiger Sicht) 72 Millionen Euro geschätzt.

Variante 1 würde bedeuten, dass an der Seegebrücke zwischen Meetschow und Vietze ein Sperrwerk und am Aland ein Schöpfwerk errichtet wird. Dieses Projekt hätte eine Bauzeit von rund acht Jahren zur Folge und wird vom NLWKN auf Kosten von 25 Millionen Euro geschätzt. Das NLWKN weist in seiner Studie darauf hin, dass bei dieser Variante zusätzlich zum Sperr- und Schöpfwerk streckenweise ein Ausbau der Seegedeiche vorgenommen werden muss.

Ein weiterer Grund für die NLWKN-Empfehlung, die komplexe Lösung (Variante 2) zu wählen, ist, dass beim Bau eines Sperrwerks die einzigen natürlichen Überschwemmungsauen verloren gehen und es stromabwärts (Ortslage Gorleben) in der Elbe zu negativen Auswirkungen bzw. erhöhten Wasserständen führt.

Eine Option - die "Variante 0" - lehnte der NLWKN kategorisch ab: gar nichts zu tun. Dafür gäbe es zu viele Strecken in den vorhandenen Deichen, die nicht den aktuellen Anforderungen an wirksame Deichhöhen entsprechen.

Wo ist die länderübergreifende Koordination?

Der Gartower Samtgemeinderat hatte angesichts des großen öffentlichen Interesses die Ausschusssitzung ins VERDO nach Hitzacker verlegt, um möglichst vielen BürgerInnen die Möglichkeit zu geben, sich zu informieren. Im Vorfeld hatte es - vor allem in grünen Kreisen - eine erhitzte Diskussion über Pro und Contra Sperrwerk gegeben. Zur Sitzung kamen letztendlich rund ein Dutzend "echter" BürgerInnen, die nicht in irgendeiner Art und Weise in politischer oder naturschutzverbandlicher Funktion sind.

Zusätzlich war eine große Runde an VertreterInnen aus Naturschutzverbänden, der Wasserwirtschaft im Kreishaus, dem Gartower Deichverband, der Biosphärenreservatsverwaltung sowie des Kreisverbands der Wasser- und Bodenverbände zur Sitzung eingeladen.

Wo bleiben die länderübergreifenden Verabredungen?  

Schon während der Vorstellung der Machbarkeitsstudie durch Heinrich König (NLWKN) zeigte sich, dass die Entscheidung keine einfache werden würde. Immerhin müssen unzählige Faktoren, die das Hochwassergeschehen in der Seegeniederung beeinflussen, berücksichtigt werden. Und die liegen zum größten Teil nicht einmal in Niedersachsen. Ebenso eklatante Auswirkungen auf den Unterlauf haben Entscheidungen für oder gegen Polderöffnungen im Oberlauf.  

Auf dem über 1000 km langen Weg führt der Fluss von Tschechien über Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Niedersachsen bis nach Hamburg. Wie ein Hochwasser sich bei Dresden entwickelt, hat vier bis fünf Tage später Auswirkungen auf den Hochwasserstand bei Vietze und damit auf den Abfluss der Seegemündung. Entsteht hier ein Stau kann auch der aus dem Sachsen-Anhaltischen in die Seege mündende Zehrengraben nicht abfließen - was wiederum zu erhöhtem Wasserstand bei Bömenzien führt. usw. usw. usw.

Sowohl Landrat Jürgen Schulz sowie Ernst-August Schulz als Fachdienstleiter Wasserwirtschaft in der Kreisverwaltung und auch Franz Höchtl, kommissarischer Leiter der Biosphärenreservatsverwaltung sprachen sich unisono vehement dafür aus, zunächst länderübergreifende Verabredungen zu treffen, bevor lokale Entscheidungen getroffen werden. "Hochwasserschutz an der Bundeswasserstraße Elbe ist eine nationale Aufgabe, nicht die des Gartower Deichverbands," plädierte Ernst-August Schulz für ein länderübergreifendes koordiniertes Vorgehen.

Wie schlecht diese Koordination bereits im engsten Raum läuft, zeigte sich schon an der Tatsache, dass trotz Einladung kein Vertreter des Landesamtes in Sachsen-Anhalt gekommen war. Andererseits war in der Sitzung zu hören, dass Sachsen-Anhalt weiterhin Wasser aus dem Aland ins Niedersächsische überleiten will. Dazu gibt es eine rechtliche Grundlage, die auch das Land Niedersachsen nicht außer Kraft setzen kann. Wegen der Folgen dieser Überleitung muss dort ein Schöpfwerk gebaut werden, um das von dort kommende Wasser abzuleiten. Unverständnis löste auch der Bau eines Deiches bei Bömenzien (Sachsen-Anhalt) aus. Auch dieser Bau wurde ohne Abstimmung mit der Nachbarin, der Samtgemeinde Gartow durchgeführt. 

Franz Höchtl wies außerdem vehement auf den besonder Naturschatz hin, den die Region in der Seegeniederung hat. "Dafür haben Sie eine besondere Verantwortung, diesen Schatz zu erhalten," so Höchtl. "Wenn mit technischen Mitteln wie mit einem Sperrwerk dort eingegriffen wird, dann gehen verschiedene Lebensräume verloren." Ähnlich äußerten sich die NABU- und BUND-Vertreter (hier! geht es zur Stellungnahme des BUND und hier! steht das NABU-Positionspapier als Download zur Verfügung).

Zuviel Komplexität für den Gartower Samtgemeinderat?

Die Abgeordneten im Ausschuss wirkten bei der Thematik etwas überfordert.  Hans-Udo Maury (CDU) zählte lediglich all die Schwierigkeiten auf, die die "große" Lösung für den Flecken Gartow bedeuten würde: erhebliche Baumaßnahmen, die Schwierigkeiten, Flächen zu bekommen, Kapazitätsschwierigkeiten etc..

Das Argument "Naturschutz" war bei Maury aber auch angekommen. "Niemand will Wasser aus der Seege nehmen," betonte er - ebenso Clemens Flöter, der aktuelle Vorsitzende des Gartower Deichverbands.

Dieter Maurischat (SPD) bekannte ehrlich, dass er dieses komplexe Projekt zu wenig überblicken könne, um jetzt eine Entscheidung zu treffen. Und Asta von Oppen, als Grüne Mitglied des Samtgemeinderates, sah die aktuelle Situation als "Bankrotterklärung für das, was die letzten Jahrzehnte gemacht bzw. nicht gemacht worden" war. Sie äußerte die Ansicht, dass ein Sperrwerk kein Wasser zurückhält, weshalb die Lebensräume erhalten blieben - wenn das Bauwerk auf eine Wasserstandshöhe von 2 m ausgelegt ist. Diese Position teilte auch Hans-Udo Maury.

Wie  hoch und stabil allerdings ein Sperrwerk gebaut werden muss, wurde in der Sitzung nicht beantwortet. Die Frage wurde allerdings auch nicht gestellt. Auf wnet-Nachfrage erklärte Fachdienstleiter Ernst-August Schulz, dass er bei Hochwasser mit einer andrängenden Wassermasse von rund 5 Millionen m³ am Tag rechnet. Um dem Druck einer derartigen Wassermenge standzuhalten, müsste ein Sperrwerk ungefähr so groß und stabil werden wie jenes in Hitzacker.

Letztendlich konnte sich der Ausschuss für keine der beiden Varianten entscheiden. Es blieb bei einer Pattsituation. Das Thema geht also ohne Ausschussempfehlung in den nächsten Samtgemeinderat.

PS: Am Rande der Sitzung war zu erfahren, dass das Umweltministerium die Sperrwerkslösung vehement ablehnt. Bedenkenswert, denn das Land Niedersachsen ist  nicht dafür bekannt, sich für teure Lösungen auszusprechen.

Foto | Angelika Blank: Die 2013 überflutete Straße zwischen Vietze und Meetschow. Dort wo das weiße Rechteck eingezeichnet (die heutige Seegebrücke) würde das Sperrwerk errichtet.






2021-06-23 ; von Angelika Blank (text),
in 29471 Gartow, Deutschland

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