Thema: rebecca harms

"Gewalt war für uns keine Option"

Der Tag der Standortbenennung im Februar 1977 veränderte auch das Leben von Rebecca Harms. Damals war sie Mitgründerin der Bürgerinitiative Umweltschutz - wählte später aber den politischen Weg über die Parlamente.   Ein Interview von Björn Vogt. 

40 Jahre Protest und Widerstand – das ist schon längst ein Mehrgenerationenprojekt. "Meine Generation wird es nicht mehr erleben, dass wir ein Endlager für hochradioaktiven Atommüll bekommen", prophezeit die Rebecca Harms. Bis vor kurzem war die 60-jährige Fraktionsvorsitzende der Grünen im Europäischen Parlament. Fast acht Jahre lang hat sie diesen Posten bekleidet. Nun arbeitet sie weiter als EU-Abgeordnete und ist seit kurzem Vorsitzende der parlamentarischen Versammlung Euronest, in der sich Vertreter östlicher Staaten wie u.a. Armenien, Ukraine und Weißrussland beraten.

Ohne Gorleben wäre sie nicht dort gelandet, meint die Wendländerin."Vieles von dem, was ich später gemacht habe, ist vor 40 Jahren in Gorleben entschieden worden", sagt Rebecca Harms. Ihr Leben wäre "mit Sicherheit" anders verlaufen, wäre 1977 nicht ihr erster Chef, Landschaftsgärtner Axel Beeker aus Uelzen, gewesen. "In Gorleben wirst du jetzt dringender gebraucht", sagte Beeker am Tag nach der Standortbenennung.

Harms, in der Nähe von Uelzen geboren, fuhr mit dem Kübelwagen ins Wendland und organisierte die erste große Demo gegen Gorleben mit. Kurz darauf gründete sie, damals mit 21 Jahren das "Nesthäkchen" der Bewegung, die Bürgerinitiative Umweltschutz (BI) mit, eine der ersten Deutschlands, die sich gegen Atomkraft positionierte. 1980 wurde sie Sprecherin der "Republik Freies Wendland".

"Und seitdem bin ich nie mehr aus dem Wendland weggekommen", lacht die 60-jährige. 

Ein zentrales Thema war die Frage nach dem zivilen Ungehorsam, die Frage, welche Rechte der Bürger gegenüber dem Staat hat, erinnert sich Harms: "Im Wendland gab es die Idee, dass ziviler Ungehorsam bedeuten kann, das Recht auch mal zu brechen. Aber es war immer klar, dass Gewalt keine Option ist!"

Dass könne man aus der Zeit heraus verstehen: Das Gründungsjahr der BI fiel in den "heißen Herbst", der Hauptphase des westdeutschen sogenannten RAF-Terrors. "Wir als Lüchow-Dannenberger wollten immer unseren eigenen Weg des zivilen Ungehorsams finden", sagt Rebecca Harms.

Vor allem in den Auseinandersetzungen mit Marianne Fritzen habe sie verstanden, was "an der deutschen Demokratie gut ist und wo es hakt, was verändert werden muss".

Harms: "Ein wichtiger Punkt war damals die Idee: Wenn die Parteien, die so wichtig sind im politischen Gefüge, uns nicht vertreten, dann müssen wir selber Parteien gründen. Wo ich nicht mitgemacht habe. Meine Auffassung war damals, dass wir mit der Stärke unseres Protestes und den besseren Argumenten sowieso schneller Erfolg haben als eine neue Partei. Eine Fehleinschätzung!"

Schließlich gründeten Gorleben-Gegner die Grüne Partei. "Für viele aus dem bürgerlichen Lager war es überhaupt nicht leicht, sich den "Chaoten" anzuschließen, sich gegen die Landesregierung, gegen die Bundesregierung, gegen Mainstream und Konsens zu stellen. Und dann - nach 1986, nach Tschernobyl - war eine Mehrheit der Deutschen gegen Atomkraft grundlegend für den Ausstiegsbeschluss."

Die Bilanz der Atomkraftgegner kann sich sehen lassen. Vieles ist verhindert worden: ein Nukleares Entsorgungszentrum gigantischen Ausmaßes, mit der größten Wiederaufarbeitungsanlage Europas, mit Brennelementefabrik und ober- und unterirdischen Atommülllagern. Und so bleibt derzeit eine Pilotkonditionierungsanlage, die den “heißen” Betrieb nicht aufgenommen hat, ein Fasslager mit Rostfässern und in der Castorhalle stehen längst nicht so viele Behälter mit hochradioaktiven Müll wie die Betreiber ursprünglich geplant hatten.

"Und wir haben bisher verhindert, dass der Atommüll im Salzstock vergraben wurde. Aber ich bin inzwischen völlig sicher, dass die Aufgabe der Atommüll-Endlagerung in dieser Generation nicht mehr gelöst wird. Wir geben diese Herausforderung auch an die nächste Generation weiter –  und das 40 Jahre nach der Standortentscheidung!" ist Rebecca Harms überzeugt.

Was sich verändert hat: "Die Art, wie Projekte von Hochrisikotechnologien damals staatlich durchgesetzt wurden: das geht heute nicht mehr. Unsere Argumente wurden durch Tschernobyl ja auf einmal wahr", unterstreicht Harms.  

Fotos / Gerhard Ziegler : Von Anfang an beteiligte sich Rebecca Harms an Protestaktionen



Fotos

2017-02-22 ; von Björn Vogt (autor),
in Waddeweitz, Deutschland

rebecca harms  

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