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Schubertiaden Schnackenburg - internationales Musikertreffen eröffnet

Es ist mitten am Tag, sechs Stunden vor Beginn des Eröffnungskonzerts der diesjährigen Schubertiaden. Die kleinste Stadt Niedersachsens, Schnackenburg, liegt im Mittagsschlaf. Kaum ein Mensch ist auf der Strasse zu sehen, kein Auto fährt. Nur um die Kirche herum herrscht reger Betrieb. Lieferwagen fahren vor, laden große Gestänge aus, Tische werden hin und her getragen – die Vorboten großer Ereignisse. Auf der Suche nach dem künstlerischen Leiter der „Schubertiaden“ landen wir im neben der Kirche liegenden Tagungshaus.

Schon beim Öffnen der Tür empfängt uns Stimmengewirr. Es ist nicht recht auszumachen, welche Sprachen an den langen Tischen gesprochen werden. Englisch können wir hier orten, Tschechisch dort und wieder an einer anderen Ecke deutsch und Brocken aus dem Italienischen. Mittendrin im Geschehen, lachend und sich angeregt unterhaltend, ein dunkelhaariger Mittvierziger, der sich gerade elegant gestikulierend angeregt mit seinen Tischnachbarn unterhält. Lachen brandet auf. Verstehen können wir nichts, denn hier wird Russisch gesprochen. Es ist Arkadi Zenziper, der sich hier inmitten seiner Kollegen unterhält - künstlerischer Leiter und Initiator der Schubertiaden.

Fast ein internationales Arbeitstreffen

Die "Kollegen" das sind die über dreißig MusikerInnen der 16. Schubertiaden in Schnackenburg, die sich hier im ehemaligen Bildungszentrum Deutschland zum Mittagessen versammelt haben. Aus aller Herren Länder kommen sie: aus Israel, England, Tschechien, Russland und Deutschland. Auch eine Koreanerin ist dabei. Sie wird auf einem der Konzertabende ihre Tischnachbarin, eine anerkannte Sopranistin aus St. Petersburg auf dem Flügel begleiten.

Eine Woche lang leben und arbeiten sie alle zusammen in Schnackenburg, proben für die Konzerte der Schubertiaden, tauschen sich aus und genießen die Ruhe des Elbstädtchens.

Alle sind sie in ihrem Fach Meister – oder mindestens Meisterschüler. Denn es sind auch viele junge KünstlerInnen nach Schnackenburg gekommen, die als besondere Talente in ihrem Instrument gelten, wie z.B. die Tschechin Hana Vlasáková, die bereits im Alter von vier Jahren mit dem Klavierspiel begann. Mit ihren 24 Jahren kann sie bereits einige Preise vorweisen: 2006 gewann sie den 1. Preis im Kauko Sorjonen-Wettbewerb in Finnland und 2007 ebenfalls den 1. Preis im Internationalen Wettbewerb für junge Künstler in Wien.

Petersburger Stimmgewalt

Oder Olga Kondina. Seit 1984 ist sie Solistin am Mariinsky Theater – dem berühmten Petersburger Opernhauses, an dem auch Anna Netrebko 1994 ihre Karriere begann. Neben ihrem Engagement am „Mariinsky“ lehrt Olga Kondina Gesang am Petersburger Konservatorium.

Wie ist denn die Situation für Petersburger MusikerInnen? „Jedes Jahr verlassen 30 Sänger das Konservatorium, da ist die Konkurrenz gross“, erzählt „die Kondina“. „In Petersburg gibt es nur ein eng begrenztes Publikum für klassische Musik, da können die Musiker nur überleben, wenn sie richtig gut sind.“ Aber Petersburg sei eine sehr lebendige, kreative Stadt, die sich von Schwierigkeiten nicht unterkriegen lasse. Olga Kondina hat schon an vielen internationalen Konzertreisen teilgenommen, auch nach Deutschland. Kann sie einen Unterschied feststellen zwischen russischen und deutschen Musikern? „Ja, die deutschen Dirigenten sind schneller, akkurater und kompakter in ihrer Art, wenn auch trockener. Russische Dirigenten sind experimentierfreudiger, horchen eher auf das, was aus dem Orchester kommt. Deutsche Dirigenten halten oft an ihrer Vorstellung vom Tempo fest.“

Von Bach bis Mahler reicht ihr Repertoire, doch am liebsten sind ihr die italienischen Opern oder geistliche Musik – Messen, Kantaten. Mit ihrem dunklen Sopran ist Olga Kondina auch prädestiniert für die „Norma“ in Bellinis gleichnamiger Oper - mehrfach ist sie in dieser anspruchsvollen Rolle schon aufgetreten. . Dass sie Welt-Format hat, beweist Olga Kondina am Eröffnungsabend mit ihrer beeindruckenden Präsentation von Schuberts „Der Hirt auf dem Felsen“. Brilliant meistert sie die unterschiedlichen Phasen des vielschichtigen Liedes. Jubilierend in den Höhen und dunkel-voluminös in den Tiefen zeigt die Professorin des St.-Petersburger Konservatoriums ihr großes Können. Mit ihrem dunklen Sopran zieht sie das Publikum schnell in ihren Bann, kongenial begleitet von Arkadi Zenziper am Flügel und Mark Rovner an der Klarinette.

Ohne ihn ginge gar nichts

Überhaupt Arkadi Zenziper – ohne ihn und sein unablässiges Engagement für die Veranstaltung gäbe es die Schubertiaden in Schnackenburg nicht. Vor fast zwanzig Jahren hatte er erstmalig Kontakt mit Graf und Gräfin Bernstorff aus Gartow, die sofort von seiner Idee eines offenen Musikfestivals begeistert waren.  Eine tiefe Freundschaft nahm ihren Anfang.

Inzwischen lebt Zenziper einen Teil des Jahres in Schnackenburg. Vor allem die Elblandschaft war es, die zum Auslöser einer Idee werden sollte. In seinem Kopf setzte sich ein Bild fest, dass er so bald wie möglich in Realität umsetzen wollte. „Ich sah auf dem Rasen am Elbufer eine Schar sommerlich gekleideter Menschen, die andächtig und freudig der Musik lauschten. Die großen Flügeltüren standen offen, während meine Freunde und ich gemeinsam musizierten. Die Elbe floss ruhig im Hintergrund dahin, die Blätter der alten Eiche flatterten im leichten Wind“, schreibt er auf der Website der Schubertiaden.

So sollte die Veranstaltungsreihe sein, die ihm vorschwebte, so wie bei Franz Schuberts „Schubertiaden“, zu denen der Komponist immer wieder Gäste einlud. Und doch anders. In Schnackenburg sollten auch junge Künstler zu Gehör kommen, Talente und junge Meister, die Zenziper auf seinen Konzertreisen und Meisterkursen auf der ganzen Welt kennen gelernt hatte.

Genau so wurde es gemacht. Nunmehr seit 16 Jahren. Und das Konzept geht auf: die Musiker kommen. Sie kommen gern. Dieses Jahr sind es wieder über dreißig, die der Einladung Arkadi Zenzipers gefolgt sind. Noch bis zum 17. August singen und spielen sie in der Schnackenburger St.-Nikolai-Kirche, tauschen sich über ihre – nicht nur – musikalischen - Erlebnisse aus. Brahms, Beethoven, Schostakowitsch und natürlich Schubert stehen fast immer auf dem Programm.

Lebendig und hochklassig

Doch das Publikum muss sich auf Überraschungen einstellen. Denn viele der MusikerInnen treffen sich in Schnackenburg zum ersten Mal. Erst wenn alle KünstlerInnen angereist sind, wissen die einzelnen, mit wem sie tatsächlich auftreten werden, welche Musiker, welche Instrumente zur Verfügung stehen. Da passiert es durchaus öfters, dass die ursprünglich vorgesehene Programmfolge abgeändert wird, weil man plötzlich merkt, dass dieses oder jene Stück viel besser in den Ablauf passen würde.

Die Zuhörer freut es. Denn so können sie jedes Jahr „frische“ Schubertiaden erleben, die sich schon aufgrund der ständig wechselnden Ensembles nie einfahren können. Es kommt fast einem kleinen Wunder gleich, zu erleben, wie MusikerInnen, die gestern noch – getrennt voneinander - in New York Und oder Tel Aviv gespielt haben, heute in Schnackenburg sitzen und ebenso lebendig wie virtuos selbst vielschichtige Partituren meistern.

Genau das ist es, was Arkadi Zenziper möchte: eine sich zwar jährlich wiederholende Konzertreihe, die aber jung und lebendig bleibt. Ohne Arkadi Zenziper allerdings, ohne seine weltoffene Sicht der Musik, seine Anziehungskraft und sein ausgesprochenes „Ohr“ für begnadete junge Talente, dürfte es schwierig werden, die „Schubertiaden“ so lebendig zu halten, wie sie sind. Denn: keine/r der angereisten MusikerInnen erhält eine Gage, das erlaubt das Budget nicht. Lediglich Reise-, Unterkunfts- und Verpflegungskosten werden von Sponsoren gedeckt. Nicht einmal Eintritt kosten die abendlichen Konzerte – möchte man doch, dass möglichst jede/r Interessierte die Möglichkeit hat, die Auftritte zu erleben.

Noch denkt Arkadi Zenziper glücklicherweise lange nicht ans Aufhören. Die Schubertiaden-Fans werden es ihm danken.

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2008-08-13 ; von Angelika Blank (autor),

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