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"Als Paul über das Meer kam" - Tagebuch einer Begegnung

Am Samstag ist bundesweit der "TAG DER OFFENEN GESELLSCHAFT" ausgerufen. Die "wendland shorts" zeigen an diesem Tag einen Film, der einerseits eine ganz persönliche Migrationsgeschichte erzählt - und gleichzeitig die Dimensionen einer verfehlten Einwanderungspolitik in der EU aufzeigt.

[...Als Regisseur Jakob Preuss im Jahre 2011 mit der Recherche zu seinem Dokumentarfilm begann, kursierte der Begriff "Flüchtlingskrise" hauptsächlich im Zusammenhang mit dem Sterben von Hunderten bis Tausenden, die bei ihrem Versuch, das Mittelmeer zu überqueren, ums Leben kamen.

Preuss reiste in die Grenzregionen Europas, nach Ceuta und Melilla, an die Grenze Polens zur Ukraine, nach Malta und Marokko - immer auf der Suche nach den Zusammenhängen und Gründen für die breite Fluchtbewegung. Er traf Grenzbeamte und Geflüchtete in Griechenland und Malta, besuchte ein Flüchtlingslager in Tunesien, fuhr an die polnisch-ukrainische Grenze, befragte Mitarbeiter von FRONTEX in den Headquarters in Warschau und begleitete Abgeordnete bei ihrer Arbeit im Europaparlament in Brüssel. Der Fokus lag auf der europäischen Innenansicht.

Doch dann traf er in einem improvisierten Flüchtlingscamp in Marokko Paul Nkamani, der aus Kamerun geflüchtet war und nach Europa wollte. Von da an wurde es ein Film über eine ganz persönliche Migrationsgeschichte und eine ungewöhnliche Freundschaft zwischen Regisseur und Protagonist im politisch brisanten Umfeld der europäischen Migrationsdebatte.

Produzent Jakob D. Weydemann über den Film:

wnet: Ist "Als Paul über das Meer kam" eine weitere Betroffensgeschichte über Mittelmeer-Flüchtlinge?

Jakob D. Weydemann: "Nein. Als wir den Film begannen, stand die europäische Dimension des Themas im Vordergrund. Das Thema war, an den Grenzen der EU über die Folgen der nicht vorhandenen europäischen Einwanderungspolitik zu recherchieren. Nachdem Jakob Preuss in Marokko Paul getroffen hatte, wandelte sich der Film immer mehr zu einer Geschichte über Paul. Preuss hat dann anhand der persönlichen Geschichte viele Aspekten des Themas mit einfließen lassen."

wnet: Welche Aspekte sind das zum Beispiel?

Jakob D. Weydemann: "Zum Beispiel die Unmöglichkeit, nach Europa legal einzuwandern. Es bleibt Menschen, die nach Europa wollen, nichts Anderes übrig, als Asylanträge zu stellen, da es keine Einwanderungsregeln gibt. Dabei wollen Viele gar kein Asyl. Sie wollen arbeiten und sich eine Zukunft aufbauen. Aber das geht in Europa mit den geltenden Gesetzen nicht.

Sie landen in einem Bürokratiedschungel, den sie alleine gar nicht durchwandern können. Sie sind auf die Hilfe der Einheimischen angewiesen."

wnet: Kann man denn angesichts des Elends einfach nur einen Film drehen und sich wieder entfernen? 

Jakob D. Weydemann: "Das ist genau die Frage, die auch Jakob Preuss umgetrieben hat. Spätestens als Paul in Paris angekommen war und weiter nach Deutschland wollte, musste Preuss sich entscheiden, ob er in der Rolle des Beobachters bleibt oder ob er eingreift bzw. hilft.

Letztendlich ist das aber auch eine juristische Frage. Paul einfach im Auto mit nach Deutschland zu nehmen, hätte bedeutet, als Schlepper angeklagt werden zu können. So weit ist Preuss nicht gegangen. Aber er hat ihm eine Unterkunft in Frankreich vermittelt und ihm dann in Deutschland geholfen, sich im Behördendickicht zurecht zu finden. Schließlich ist Paul bei Preuss' untergekommen und im Laufe der Zeit auch ein Freund geworden. Preuss hat die moralische Verantwortung übernommen und den schwierigen Spagat zwischen Nähe und Distanz gewagt. Die Dokumentation wurde trotzdem fortgesetzt. Herausgekommen ist ein sehr persönlicher Film, aber Preuss hat sich von den persönlichen Beziehungen nicht korrumpieren lassen."

wnet: In einer Szene des Films fragt eine Afrikanerin, ob ihnen der Film denn hilft, sie nach Europa zu bringen? Gab es diese Diskussion öfters?

Jakob D. Weydemann: "Ja, durchaus. Im marokkanischen Wald kam es sogar vor, dass das Kamerateam bedroht wurde. Sie wollten die Ausrüstung wegnehmen, wenn das Team ihnen nicht hilft. Aber Andere - allen voran Paul - haben verstanden, dass es auch um Öffentlichkeit geht, um Sensibilisierung für ihre Anliegen.

Für Paul war es schnell klar, dass er über seine Situation muss, um Verständnis zu finden. Dabei hat er wiederum Verständnis dafür, dass Europa nicht alle, die nach Europa wollen, aufnehmen kann. Aber er findet auch, dass Jede/r das Recht haben soll, den Versuch zu unternehmen, Europäer zu werden, sieht da auch eine historische Verantwortung. Kamerun war zum Beispiel bis 1919 deutsche Kolonie und dann bis 1960 britisch und französisch verwaltet.

Auf die Frage, welchen Rat Paul Nkamani seinen Familienmitgliedern und Freunden in Kamerun geben würde, wenn es um die Idee einer Flucht nach Europa geht, antwortete er: "Ich habe zwei oder drei Freunde die auch diesen Weg nehmen wollen aber ich habe ihnen gesagt, dass es nicht geht und sie diesen Weg nicht einschlagen dürfen. Ich habe selbst diese Erfahrung gemacht und kann es keinem empfehlen. Erstmal ist der Weg alles andere als einfach - ich habe gesehen wie die Leute in der Wüste und im Meer gestorben sind. Dazu kommt das Leben im Wald, das auch nicht einfach war und Probleme mit der Polizei in Marokko und Algerien.

Es ist sehr schwer und wenn man dann in Europa ankommt, wird man nicht akzeptiert. Seit zwei Jahren bin ich jetzt schon hier und meine Situation ist noch immer unklar – man muss kämpfen um zu leben. Irreguläre Migration kann ich keinem empfehlen.

Bei uns ist es so, die Leute die schon in Europa angekommen sind, erzählen nicht die Wahrheit. Sie verstecken immer die schlechte Seite und zeigen nur die schönen Bilder auf facebook, mit schönen Frauen und mit großen Autos. Auch wenn sie in einer Höhle leben, können sie nicht zeigen wo sie leben, sondern zeigen eher schöne Bilder von schönen Straßen. Deswegen wollen die anderen auch hierher kommen, sie sehen nur die schönen Bilder, aber wenn sie herkommen, sehen sie hier die Realität und bedauern ihre Entscheidung.

Ich zeige den Leuten nicht die Klischees, sondern das was für mich die Wahrheit und die Realität ist, damit jeder für sich selbst entscheiden kann, ob das gut ist oder nicht bzw. ob man das trotzdem machen möchte. Dadurch kann meine Erfahrung vielleicht auch denjenigen helfen, die nach Europa reisen möchten. "

Diskussion "Wie offen kann Europa sein?"

Nach der Dokumentation gibt es auf den wendland-shorts die Gelegenheit, das Thema weiter zu vertiefen. Unter dem Titel "Wie offen kann Europa sein?" geht es dann um zentrale Fragen, wie diejenige, warum es immer noch keine Einwanderungsgesetze gibt. "Wir wollten zum Tag der offenen Gesellschaft nicht nur diesen Film zeigen, sondern auch die europäische Dimension des Themas zur Diskussion stellen," so Festivalleiter Dirk Roggan.

Der Film läuft im Rahmen der wendland-shorts im Herrenhaus Salderatzen am Samstag um 20.30 Uhr. Daran schließt sich (ca. 22.00 Uhr) dann die Diskussion an.

Foto / Weydemann Bros.: Standbild aus der Dokumentation. Die Überlebenden einer Mittelmeerüberfahrt kommen desillusioniert in Spanien an.

 

2017-06-12 ; von Angelika Blank (autor),
in Salderatzen 3, 29496 Waddeweitz, Deutschland

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