Thema: theater

Hieroderdaoderdort

Stefan Buchenau über ein Stück, das aus dem Chaos wächst

 

Montag, 16 Uhr. Im Theatersaal des Café Grenzbereiche sammelt sich eine bunte Truppe unterschiedlichen Alters. Man kennt sich, sitzt und klönt, einige sind stark geschminkt. Wir befinden uns auf einer Theaterprobe des „Familientheaters“ – ein Baustein des geförderten Projekts „Jung und Alt“. Mitten hinein in die lebhaften Unterhaltungen ruft Regisseurin Kerstin Wittstamm: „Hallo, bitte alle mal zuhören. Ich habe hier 14 Seiten Text, das ist natürlich noch nicht alles, aber der Rest ist schon fertig, zumindest in meinem Kopf.“ Im Nebenraum ist jemand dabei, die Blätter für alle zu kopieren, doch der Kopierer stottert, die Verteilung zieht sich hin. Draußen ist es eisig, hier drinnen wird die Stimmung langsam etwas fiebrig – es sind nur noch rund sechs Wochen bis zur Premiere von..., also, wie das Stück heißen soll, wird erst noch per Abstimmung entschieden. Vorlage ist „Die kleine Meerjungfrau“ von Hans Christian Andersen, die Geschichte einer Liebe über Grenzen hinweg. Die Meerjungfrau verliebt sich in einen Menschenprinzen, verläßt für diese Liebe das Wasser, verliert dabei ihre Sprache und lernt einiges über das Leben.

Doch was hier so leicht erzählt wird, ist natürlich längst noch kein Stück. Rund ein Jahr lang haben sich die 23 Schauspieler vorbereitet, haben, zum Beispiel, „Leben unter Wasser“ gespielt oder „Prinz und Prinzessin“. Sie haben sich Urlaubsfotos von Strand und Meer angeschaut – und natürlich auch die Kleine Meerjungfrau aus Dänemark. Sie haben überlegt, wie es wäre, eine Prinzessin zu sein (und daraus eine Spielszene improvisiert), und sie sind gemeinsam nach Hamburg ins Thalia-Theater gefahren, um eine Führung durch Technikräume und Werkstätten zu machen – eine Abenteuerreise für die meisten, denn wer weiß schon, was alles nötig ist, damit Schauspieler vorn auf der Bühne glänzen können. Dafür arbeiten im Hintergrund Schreiner, Elektriker, Metallbauer, Ton- und Lichttechniker, es gibt eine Schneiderei, Maskenbildner und noch viel mehr. Schließlich dann noch eine Vorstellung von Shakespeares „Sommernachtstraum“ und die – für viele überraschende – Erkenntnis, daß man sogar eine klassische Vorlage verändern kann und darf.

Auch darauf kam es der Regisseurin an, denn so entstehen in der Regel bei ihr die Stücke: Man nehme eine Vorlage, hier das bekannte Märchen, und spiele so lange damit herum, bis daraus eine eigene, neue Geschichte wird, in der sich alle Akteure wiederfinden können.

Doch wie bringt man so eine Geschichte auf die Bühne? Dazu braucht es, wie in jedem anderen Beruf, „Handwerk“. Und davon haben sie im Lauf der Probenzeit von verschiedenen Dozenten gelernt. Der Pantomime Lukas Spychay war da, genau wie die Tänzerin Susanne Rehbein, Christa Ilgner bietet Atemtechnik, Stimmbildung und Gesangstraining. Das ist alles gut und notwendig und vor allem die jüngeren Teilnehmer staunen, wie viele berufliche Möglichkeiten es rund um die Schauspielerei gibt. Einer macht inzwischen sogar ein Praktikum für Bühnentechnik in Platenlaase – aber es sind trotzdem nur noch sechs Wochen bis zur Premiere. Allmählich wird die Zeit knapp.

„Ich bin da ganz zuversichtlich,“ sagt Kerstin Witt-stamm. Und so, wie sie es sagt, klingt es überzeugend. „Wir proben zwar nur ein Mal pro Woche, dazu noch ein Wochenende im Februar, aber das reicht.“ Nun ja, die Zuversicht der Regisseurin in allen Ehren, doch inzwischen ist mehr als eine halbe Stunde mit der Textausgabe vergangen. Nun geht es um den Titel des Stücks. Es wird abgestimmt, das braucht Zeit... and the winner is: „hieroderdortoderda“, und dann geht die eigentliche Probe los.

Aus dem bisherigen Chaos, entsteht auf einmal eine Szene: „Stellt euch vor, hier steht eine Bank, die sieht aus wie aus Marmor, ist aber total leicht.“ Das Bühnenbild gibt es noch nicht, aber Julia da Franka arbeitet daran, genau wie am Plakatentwurf und dem Programmzettel, den Kostümen – gut, daß sie seit heute immerhin weiß, wie das Stück heißen soll. „Achtung, wir spielen jetzt die Schneeballschlacht-Szene“, ruft Kerstin Wittstamm, denn es ist immer noch zu unruhig. Die „Bank“ sind jetzt zwei schmucklose Stühle, „der Prinz“ wird von einem Mädchen gespielt, die „Meerjungfrau“ hat diese Rolle noch nie versucht, Kostüme müssen sich alle vorstellen. „Ihr wißt, worum’s geht!“, ruft die Regisseurin, „der Prinz erzählt begeistert von seinem Tauchgang und hat keine Ahnung, daß die Meerjungfrau viel besser weiß, wie es unter Wasser zugeht. Sie liebt diesen Prinzen, er dagegen...“

Und dann sitzen da zwei Mädchen in Alltagskleidung, der Prinz schwärmt vom Meer, die Meerjungfrau vergeht fast vor Liebe. Sie necken einander, eine Schneeballschlacht entsteht, es knistert vor hintergründiger Erotik – wie aus dem Nichts entsteht Theater.

Die Vorarbeiten haben sich offenbar ausgezahlt und all die Improvisationen und Gedankenspiele hat Kerstin Wittstamm nach den Proben aufgeschrieben, jedes Mal kam ein weiteres Puzzleteil dazu. Jetzt hat sie eine Menge Stückchen im Kopf, die sich in den verbleibenden Wochen zu einem Stück zusammenfügen sollen. Außerdem steht die Besetzung noch nicht endgültig fest, und natürlich möchte jede(r) seine/ihre Rolle möglichst zur Hauptrolle ausbauen – es bleibt viel zu tun, zu klären, zu beschaffen. „Haben wir eigentlich noch was von dem Kunstschnee?“, fragt sie. Kurze Diskussion mit Julia da Franka, ob sich Styroporkugeln oder Bommel von Pudelmützen besser als Schneebälle eignen. Ergebnis: „Egal, was wir nehmen, Hauptsache, es sieht kalt aus.“ Nach der Probe, im Gespräch, sagt sie, daß sie sicher ist, daß bis zur Premiere alles klappen wird. „So ein Stück ist sowieso niemals ganz fertig“, sagt sie und daß sie sich eigentlich mehr Sorgen darüber mache, ob das Ensemble wirklich die nötige Spannung aufbauen und halten kann, um insgesamt sechs Vorstellungen zu spielen. Und natürlich, ob genug Leute kommen – vier öffentliche und zwei Schulaufführungen bieten immerhin Platz für rund 700 Besucher. Zu wünschen wäre es dem Ensemble, dem Café Grenzbereiche, den Sponsoren und, nicht zuletzt, dem geneigten Publikum, denn selten gibt es so hautnah vor der Tür so gutes Theater. Telefonische Bestellung ist sicher sinnvoll.


Die Termine:

Freitag, 22. Februar: Premiere 19 Uhr, Sonnabend, 23. Februar: Nachmittagsvorstellung 15 Uhr, Abendvorstellung 19.30 Uhr, Sonntag, 24.Februar: Nachmittagsvorstellung 15 Uhr, Dienstag, 26. Februar: Schulvorstellung 10 Uhr, Mittwoch, 27. Februar: Schulvorstellung 10 Uhr.




2008-02-01 ; von Stefan Buchenau (autor),

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